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Ohne Wirkung

RESISTENZEN

Antibiotika haben vielen schweren Infektionen ihren Schrecken genommen. Doch das ehemalige Wundermittel droht nun selbst zum Problem zu werden.

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Am 28. September 1928 revolutionierte eine verschimmelte Petrischale die Medizingeschichte. An diesem Tag bemerkte der schottische Mikrobiologe Alexander Fleming, dass eine seiner Staphylokokkenkulturen mit einem Schimmelpilz verunreinigt war, der alle Bakterien in seiner Nähe abgetötet hatte. Wie Fleming herausfand, produzierte dieser Penicilliumpilz ein natürlich vorkommendes Antibiotikum, das der Forscher Penicillin nannte. Auf dieser Entdeckung basieren letztlich alle heute verfügbaren Antibiotika, auch wenn sie teilweise andere Wirkmechanismen besitzen.

Wie wirken Antibiotika? Antibiotikum kommt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie „gegen das Leben“. Natürliche Antibiotika sind Stoffwechselprodukte von Pilzen und einigen Bakterien, wie etwa Streptomyceten. Sie töten bakterielle Keime in ihrer unmittelbaren Umgebung. Mittlerweile werden Antibiotika meist künstlich hergestellt. Je nach Wirkstoff wird dabei entweder die Vermehrung der Bakterien blockiert, oder das Antibiotikum löst ihre Zellwand auf und zerstört sie dadurch. Somit helfen diese Medikamente unserem Immunsystem, lebensbedrohliche bakterielle Infektionen zu bekämpfen.

Antibiotika sind für Mensch und Tier meist gut verträglich, da sie sich sehr gezielt gegen Moleküle richten, die nur in den Bakterien vorkommen. So besteht etwa die Zellwand dieser Keime aus Murein, einem Zucker, den man in keinem anderen Organismus findet.

Nebenwirkungen kontra Resistenzbildung Trotzdem kann es bei Antibiotika Nebenwirkungen geben, denn sie zerstören nicht nur krank machende, sondern auch nützliche Bakterien, die zum Beispiel für eine funktionierende Darm- oder Hautflora unerlässlich sind. Auch können Allergien häufige Nebenwirkungen einer Antibiotikakur sein, genau wie Magen-Darm-Probleme.

Da andere Darmbakterien abgetötet werden, kann sich zum Beispiel in seltenen Fällen das gegen viele Antibiotika resistente hochtoxische Bakterium Chlostridium difficile so stark vermehren, dass es die Darmwände auflösen und die Blutbahn überschwemmen kann, was zu einer lebensbedrohlichen Sepsis führt. Aus Angst vor Nebenwirkungen tendieren viele Patienten dazu, ihr Antibiotikum abzusetzen, sobald sie beschwerdefrei sind. Doch dann kann die Infektion wieder aufflammen und eine weitere Antibiotikagabe erforderlich machen – eventuell mit einem neuen Wirkstoff, sofern die Keime nicht mehr auf den ersten ansprechen.

Denn jedes Mal, wenn man ein Antibiotikum einnimmt, entstehen auch Bakterien, die dagegen resistent sind. Dabei spielt ihre sehr schnelle Vermehrung eine Rolle. Zur Teilung müssen sie ihre DNS verdoppeln, wobei sich immer wieder Fehler in die neuen Gene einschleichen, die dazu führen, dass einzelne Bakterien gegen Antibiotika resistent werden. Diese Gene können zudem an andere Bakterienstämme weitergeben werden und diese ebenfalls widerstandsfähig machen. Besonders gefährlich werden bereits resistente Erreger, wenn man ihnen durch eine Antibiotikagabe die Konkurrenz nimmt: Da die herkömmlichen Bakterien abgetötet werden, bleiben nur die resistenten Keime übrig, die sich nun ungehindert vermehren können.

Viele Gründe für ResistenzenDas Problem der resistenten Bakterienstämme hat in den vergangenen Jahren zugenommen, schon weil Antibiotika viel zu häufig unnötig verschrieben werden. So zeigt eine Studie der Universität Bremen vom Februar, dass deutsche Ärzte jährlich 300 Tonnen Antibiotika verordnen.

Danach würden vor allem Kinder zu stark mit Antibiotika belastet. Jedes zweite Kind erhielte das Medikament unnötig, wie etwa bei viralen Infektionen, bei denen Antibiotika gar nicht wirken. Außerdem werden häufig Breitbandantibiotika verschrieben, die sich gegen eine Vielzahl unterschiedlicher Bakterien richten. Das ist manchmal sinnvoll, da nicht jedes Antibiotikum jedes Bakterium bekämpft, und man mittlerweile mit immer mehr resistenten Keimen rechnet.

ANTIBIOTIKA SINNVOLL EINSETZEN
►Vom Arzt abklären lassen, ob es sich wirklich um eine bakterielle Infektion handelt. Gegen Viren wirken Antibiotika nicht.
►Infektionen bis zu drei Tagen mit Hausmitteln bekämpfen. Erst dann oder wenn dramatische Verschlechterungen eintreten, sollte über eine Antibiotikagabe nachgedacht werden. Gerade die bei Kindern häufigen Mittelohrentzündungen lassen sich gut mit sanfter Medizin in den Griff bekommen.
►Wenn eine Antibiotikatherapie angezeigt ist: Medikament unbedingt über die ganze Zeit hinweg einnehmen!

Im Vergleich zu einem spezifisch wirkenden Antibiotikum tötet ein Breitbandantibiotikum aber auch mehr der nützlichen Keime ab und ermöglicht damit mehr resistenten Bakterien, sich ungestört zu vermehren. Experten befürchten, dass das Problem der Resistenzen bald nicht mehr zu kontrollieren ist. Bakterieninfektionen könnten dann, wie vor siebzig Jahren, wieder zu einem tödlichen Problem werden.

Antibiotika in der Nahrung In der Tiermast werden Antibiotika in großen Mengen zur Vorbeugung gegen Krankheiten eingesetzt, wodurch sich in den Tieren ebenfalls resistente Bakterien vermehren können. So fand man etwa im Auftauwasser von Masthähnchen den als „Krankenhauskeim” bekannten MRSA-Erreger – und zwar in jeder dritten Probe. Bei mangelnder Küchenhygiene können solche Bakterien dann leicht in den menschlichen Organismus gelangen. Außerdem verbleiben im Fleisch der Tiere Antibiotikarückstände, die durch den Verzehr dann wieder im menschlichen Körper landen – unbemerkt und unkontrolliert.

 MRSA und NDM-1 Immer häufiger berichten Medien über Todesfälle durch Krankenhauskeime. Besonders gefürchtet ist der bereits erwähnte Methicillin-resistente Staphylococcus aureus-Stamm . Etwa 35 000 Deutsche infizieren sich jährlich damit, etwa 1500 sterben daran. Neue „Supererreger”, Bakterien mit dem Gen NDM-1, sind sogar gegen sämtliche Antibiotika außer Tigecyclin und Colestin resistent – beides „Notfallantibiotika”, die aufgrund ihrer gefährlichen Nebenwirkungen und dem erhöhten Mortalitätsrisiko nur sehr selten eingesetzt werden. NDM-1 ist vor allen Dingen in Indien und Pakistan verbreitet, wird aber durch den Trend des Krankenhaustourismus (z. B. Schönheitsoperationen) mittlerweile auch in andere Länder eingeschleppt.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 06/12 ab Seite 72.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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