Herbstzeit ist Pilze-Zeit. Beim Sammeln sollte man sich aber wirklich sicher sein, was für Pilze in das Körbchen wandern. © miriam-doerr / iStock / Getty Images Plus

Pilzvergiftungen

VORSICHT VERWECHSLUNGSGEFAHR

Täubling, Champignon oder doch giftiger Grüner Knollenblätterpilz? Jetzt ist wieder Pilzsaison und kleine wie große Hobby-Sammler streifen durch deutsche Wälder. Jeder kleine Zweifel bei der Bestimmung sollte dabei gegen den Verzehr sprechen, denn die Folgen können schwerwiegend sein.

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Rund 80 Anfragen hat das Giftinformationszentrum Nord an der Uniklinik Göttingen bereits erhalten, allein für den Monat August. Darunter auch Anfragen zum hochgiftigen Grünen Knollenblätterpilz. Co-Leiter Andreas Scharper kann jedoch beruhigen, denn Todesfälle habe es laut seiner Angaben gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa) noch keine gegeben. Da der Pilz neben Täubling und Champignon auch anderen essbaren Pilzsorten, die im Ausland gedeihen, ähnelt, kam es in den vergangenen Jahren häufig zu Vergiftungs- und leider auch zu Todesfällen unter Asylsuchenden oder Zuwanderern. Neben unwissenden Sammlern seien laut Scharper vor allem kleine Kinder gefährdet, die die Pilze unbedacht in den Mund steckten.

Todeskappe
Mehr als 90 Prozent aller tödlich verlaufenden Pilzvergiftungen gehen auf das Konto des Grünen Knollenblätterpilzes, bereits die Aufnahme von 50 Gramm ist lebensbedrohlich. Seinen Namen „deathcap“ – Todeskappe – hat er daher nicht von ungefähr. In Deutschland ist er unter dem Namen Grüner Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) bekannt und zählt zur Gattung der Wulstlinge (Amanita). Der Fruchtkörper dringt zunächst mit einem halbkugeligen Hut durch den Boden, bei Reife flacht dieser zu einem Schirm mit teils eingerissenen Rändern ab, wobei ein Durchmesser von bis zu zwölf Zentimeter (cm) erreicht wird. Er ist grün-bräunlich gefärbt, die freien Lamellen auf der Hutunterseite und das Sporenpulver erscheinen weißlich. Am bis zu zehn cm langen Stiel findet sich ein flüchtiger weißer Ring, bricht man den Stiel ab zeigt sich ein brüchiges und längsfaseriges Steilfleisch. Absolut charakteristisch ist die knollige Basis, ebenso wie sein angenehm süßlicher Geruch, der an Invertzucker erinnert. Die Fruchtkörper erscheinen zwischen Juli und Oktober, besonders nach trockenen Sommern mit anschließenden ergiebigen Regenfällen. Dabei wächst der Pilz nicht nur in Wäldern sondern auch in Parkanlagen, häufig in der Gesellschaft von Eichen oder Buchen. Im Tausch gegen nahrhafte Zuckerverbindungen liefert er den Bäumen Wasser und Nährsalze – eine klassische Symbiose. Durch die freien Lamellen und vor allem die umhüllte Knolle an der Stielbasis des Pilzes ist der Grüne Knollenblätterpilz eigentlich gut zu erkennen. Doch genau diese Knolle kann sich im lockeren Boden verbergen, daher sollte jeder Lamellenpilz vorsichtig aus dem Boden gehebelt und nicht mit dem Messer abgeschnitten werden.

Amatoxin-Syndrom
Der Knollenblätterpilz enthält neben den weniger gefährlichen Phallotoxine die hochgiftigen Amatoxine. Von diesen cyclischen Oligopeptiden sind acht Vertreter bekannt, die wichtigsten Vertreter sind alpha-, beta- und gamma-Amanitin. Aufgrund ihrer cyclischen Struktur sind die Peptide außergewöhnlich stabil und überleben dadurch sowohl Kochen und Trocknen als auch den Angriff der Proteasen des Magen-Darm-Trakts. Sie werden in der Leber verstoffwechselt, wo sie das tödliche Amatoxin-Syndrom auslösen. Das besonders hinterlistige daran: die Organschädigung tritt erst relativ spät ein, sodass der Betroffene nicht immer sofort einen Zusammenhang zwischen dem Auslöser und den auftretenden Symptomen erkennt. Während einer trügerischen Erholungsphase verbinden sich die Amanitine mit der RNA-Polymerase, die Transkription wird gehemmt, die Zellteilung gestört. Wichtige Strukturproteine, Hormone, Enzyme oder Rezeptorproteine werden nicht mehr gebildet, Zellalterungsprozesse in ihrem Fortschritt nicht mehr gebremst. Das hat verschiedene, lebensbedrohliche Auswirkungen auf den Organismus. Die Vergiftung tritt dabei in zwei Stadien auf:

Die gastrointestinale Phase
Nach ein bis zehn Stunden führen die harmloseren Phallotoxine zu unangenehmen und typischen Magen-Darm-Beschwerden: kolikartige Magenschmerzen, wässriger Durchfall und Erbrechen – bei hohen Flüssigkeitsverlusten oder labilen Patientengruppen (Kleinkinder, Senioren, chronisch Kranke) kann es bereits an dieser Stelle zu einem hypovolämischen Schock kommen, der aber durch Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr behandelt werden kann. Nach drei bis vier Tagen erholt sich der Betroffene wieder und fühlt sich erst einmal besser.

Die hepatorenale Phase
Wer an dieser Stelle noch von einer fulminant verlaufenden Lebensmittelvergiftung ausgegangen ist, für den besteht spätestens jetzt unbehandelt Lebensgefahr. Denn nach vier bis sechs, in Extremfällen sogar erst nach zehn Tagen, tritt die Wirkung der Amatoxine ein. Durch den plötzlichen, massenhaften Zerfall von Hämoglobin stellt sich eine Gelbsucht ein, die Nieren versagen, verursachte Leberschäden beeinträchtigen das blutbildende und das blutungsgerinnende System, es kann zu inneren Blutungen kommen; Leberenzyme steigen an, harnpflichtige Substanzen sammeln sich durch das Nierenversagen an.

Wegen der langen Latenzzeit sind Pilzreste nicht mehr nachweisbar, doch Amatinin lässt sich im Urin des Betroffenen nachweisen. Weiteres typische Diagnostikparameter ist der gering Gehalt des blutgerinnenden Proteins Antithrombin III. Falls die Aufnahme der Pilze noch nicht lange her ist, wird der Magen entleert und medizinische Kohle verabreicht. Dies ist aber wie erwähnt selten, da Betroffene häufig erst ab der hepatorenalen Phase in die Klinik kommen. Die Amanitin-Wirkung kann durch die Gabe von Silibinin, dem wirksamen Bestandteil des Silymarin-Komplexes aus den Früchten der Mariendistel, gemeinsam mit Penicillin G abgeschwächt werden. Die Wirkstoffe verhindern das weitere Eindringen von Amanitin in die Leberzellen. Gerinnungsfaktoren können substituiert werden, bei fortschreitendem Leberversagen kann letztlich nur noch eine Transplantation helfen. Bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz wird ein Hämodialyseverfahren eingeleitet.

Trotz seiner Giftigkeit besitzt der Grüne Knollenblätterpilz eine große Bedeutung für den Naturhaushalt, denn er ist ein wichtiger Symbiont für Bäume und Sträucher. Um auf seine Vielfältigkeit als auch auf seine Lebensraumgefährdung durch den Menschen aufmerksam zu machen, wurde er durch die Deutsche Gesellschaft für Mykologie zum Pilz des Jahres gewählt.

Myzetismus Neben echten Pilzvergiftungen durch den Verzehr von Giftpilzen, auch Myzetismus vom griechischen Wort mykes für Pilz genannt, können auch Lebensmittelvergiftungen durch verdorbene oder zu lang oder falsch gelagerte Speisepilze auftreten. Weitere „unechte“ Pilzvergiftungen sind Unverträglichkeitsreaktionen, deren genaue Mechanismen noch nicht aufgeklärt sind, sowie allergische Reaktionen auf Pilze. Sogar allein die Angst vor giftigen Pilzen kann, auch wenn keine giftigen Bestandteile konsumiert wurden, zu vergleichbaren Symptomen einer Pilzvergiftung führen. Schwermetalle, Pflanzenschutzmittel oder radioaktives Material können einen Pilz zwar ungenießbar machen, zählen jedoch nicht zu den Pilzvergiftungen. In Europa gelten von denen etwa 5000 bekannten Großpilzen 150 als giftig. Am bekanntesten sind neben dem Grünen Knollenblätterpilz der Gifthäubling (Galerina marginata), der Kegelhütige Knollenblätterpilz (Amanita Virosa), der Orangefuchsige Raukopf (Cortinarius Orellanus), der Spitzgebuckelte Raukopf (Cortinarius Rubellus) und der Fliegenpilz. Häufige Symptome nach dem Verzehr giftiger Pilze sind:

  • Übelkeit und Erbrechen,
  • Benommenheit, Verwirrtheitszustände, Wahrnehmungsstörungen, Rausch,
  • Schweißausbrüche,
  • Schwindel,
  • Herzrasen,
  • Durchfall, Magenschmerzen,
  • asthmatische Atembeschwerden.

Die Schwere der Symptome, sowie deren Auftreten ist abhängig von dem jeweiligen Pilzgift. So führen muscarinhaltige Pilze nach der Aufnahme fast direkt zu Übelkeit und Erbrechen, während Gyromitrin aus der Frühjahrslorchel (Gyromitra esculenta) zu Mattigkeit, Kopfschmerzen und anderen ZNS-Symptomen (Verwirrtheit, Rausch, Krampfanfälle) führt (Gyromitra-Syndrom). Das Uniklinikum Regensburg verzeichnete bereits im August eine hohe Zahl an Vergiftungsfällen, generell nehme die Zahl an Pilzvergiftungen zu. Grund sehen die Experten hier neben gesteigerter Migration und Tourismus auch in Pilzbestimmungs-Apps. „Viele unserer Patienten haben ihre gesammelten Pilze durch eine App bestimmt, konnten dadurch aber dennoch nicht alle giftigen Sorten identifizieren“, erklärt Dr. Stephan Schmid, Ärztlicher Leiter der Intensivstation 92. Das kann auch Bernhard Oswald, Pilzsachverständiger aus Wenzenbach, bestätigen: „Apps zu verwenden, um einen Pilz zu bestimmen, kann lebensgefährlich sein! (…) das Schwammerl kann auch mal anders ausschauen, als es normalerweise aussieht“. Von Bestimmungs-Apps wird daher dringend abgeraten, Pilzratgeber können unterstützend eingesetzt werden, laut Oswald sei man mit drei bis vier Büchern auf der sicheren Seite. Auch ein Pilzsachverständiger kann helfen, Kontaktdaten für seine Region findet man unter www.dgfm-ev.de/service/pilzsachverstaendige und unter

https://www.pilze-bayern.de/index.php/pilzberatung/liste-bayr-pilzberater.

Wie verhalten im Notfall?
Natürlich ist Prävention das beste Mittel, um sich vor Pilzvergiftungen zu schützen: Nur Pilze sammeln und verzehren, die man sicher erkennt, madige und alte Pilze stehen lassen, beim Kauf im Zweifelsfall nachfragen, ob die Pilze kontrolliert wurden und gegebenenfalls einen geprüften Pilzsachverständigen nach Rat fragen. Trotzdem kann es immer wieder zu Situationen kommen, in denen schnelles Handeln gefragt ist, sei es im eigenen oder im Interesse seiner Mitmenschen. So treten Vergiftungen vor allem durch den Verzehr zu alter Pilze beziehungsweise zu lange oder falsch gelagerter Pilze auf – sowohl aus eigener Sammlung als auch durch den Verkauf oder die Weiterverarbeitung, beispielsweise im Restaurant. Auch der Genuss roher oder ungenügend gegarter Pilze kann gesundheitsschädlich sein, lediglich der Zuchtchampignon, der Steinpilz und einige wenige Speisepilzarten sind roh genießbar, alle weiteren sind im rohen Zustand giftig. Und natürlich durch Giftpilze, die aus Versehen gesammelt, zubereitet und gegessen wurden. Dann sollten folgende Sofortmaßnahmen unverzüglich eingeleitet werden:

  1. Arzt oder Giftinformationszentrale kontaktieren!
    Eine Liste der Giftnotrufzentralen und Giftinformationszentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz finden Sie unter: https://www.bvl.bund.de/DE/01_Lebensmittel/03_Verbraucher/09_InfektionenIntoxikationen/02_Giftnotrufzentralen/lm_LMVergiftung_giftnotrufzentralen_node.html
  2. Pilzreste sichern!
    Reste der Mahlzeit, Küchenabfälle vom Pilze putzen oder gar Erbrochenes – jeder Hinweis kann helfen, den potenziellen Giftpilz zu identifizieren und eine geeignete Therapie einzuleiten.
  3. Keine Hausmittel!
    Manche Mythen halten sich hartnäckig, doch es gibt kein vernünftiges Hausmittel gegen Pilzvergiftungen. Weder Milch noch Salzwasser helfen, sie können die Prognose sogar negativ beeinflussen. Nur bei Verdacht auf eine schwerwiegende Vergiftung und wenn der Weg ins nächste Krankenhaus sehr lang ist, kann Medizinalkohle (ein Gramm pro Koligramm Körpergewicht in 400 Milliliter aufgeschwemmt) oder Erbrechen empfohlen werden. Am besten folgt man den Anweisungen der Fachleute der Giftinformationszentren oder einem Arzt.

Farina Haase,
Apothekerin/Redaktion

Quellen:
https://www.dgfm-ev.de/pilz-des-jahres/2019-gruener-knollenblaetterpilzhttps://www.pharmazeutische-zeitung.de/vorsicht-vor-dem-knollenblaetterpilz/https://www.dgfm-ev.de/pilzesammeln-und-vergiftungen/vergiftungen/hilfe-bei-pilzvergiftungen
https://www.br.de/nachrichten/bayern/klinik-warnt-vor-giftpilzen-viele-patienten-auf-intensivstation,RaXVytU
https://www.mittelbayerische.de/themenwelten/gesundheit-nachrichten/vorsicht-beim-pilzesammeln-24093-art1821479.html
https://flexikon.doccheck.com/de/Amatoxin
https://www.medizin.de/ratgeber/amatoxin-syndrom-vergiftung-durch-den-knollenblaetterpilz.html
http://www.pilzkunde.de/index.php/pilze-themen/giftpilze
https://www.beobachter.ch/gesundheit/krankheit/pilzvergiftung-myzetismus

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