© Maridav / stock.adobe.com
© Maridav / stock.adobe.com

Antidote

PROST!!!

Hier ist Alkohol ausdrücklich erwünscht, ja sogar ärztlich verordnet! Schnaps als Medizin? Das kann doch nur ein Scherz sein, oder? Nein, ist es nicht! In diesem Fall kann Alkohol Leben retten.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Vorsicht, Alkohol ist nicht gleich Alkohol! Wir meinen immer Ethanol, wenn wir von Alkohol sprechen – ob in Bier, Wein, einem leckeren Cocktail oder hochkonzentriert als „Klarer“. Je nach Konsumverhalten und aufgenommener Menge wirkt er berauschend, enthemmend oder macht euphorisch, aber er verlangsamt auch die Reaktionen und macht fahruntüchtig. Vom Kater nach zu viel Alkohol mal gar nicht zu reden. Alkohol ist bei uns gesellschaftlich akzeptiert, leicht erhältlich und vergleichsweise günstig. Die Grenze zwischen Genuss und Sucht ist oftmals fließend und schwierig zu erkennen. Pharmakologisch ist Ethanol eigentlich ein Narkotikum, wird aber als solches nicht eingesetzt.

Auch andere Alkohole haben ähnliche Wirkungen, sie sind aufgrund ihrer guten Lipidlöslichkeit leicht ZNS-gängig. Nicht selten wird in den Medien von Vergiftungen mit gepanschtem Alkohol berichtet, wobei die meisten Fälle auf alkoholische Zubereitungen mit diversen Fuselalkoholen, aber vor allem mit Methanol, zurückzuführen sind. Methanol, in der chemischen Industrie ein billiges Lösungsmittel für Lacke und Harze, dient als Kraftstoff und ist unter anderem in Frostschutzmitteln enthalten. Die innerliche Anwendung ist jedoch sehr gefährlich, kann sogar tödlich sein. Methanol-Vergiftungen sind in Deutschland eher selten. In Ländern mit hohen Preisen für Spirituosen oder einer großen Anzahl an Alkohol-Abhängigen recht häufig auf. Bei der Herstellung von „Selbstgebranntem“ kann nämlich durch unsachgemäße Destillation anstatt Ethanol Methanol abdestilliert werden.

Warum ist Methanol so gefährlich? Methanol hat ein C-Atom, Ethanol hat zwei, die funktionelle Gruppe (OH-Gruppe, alkoholische Gruppe, Hydroxy-Gruppe) ist gleich, chemisch unterscheiden sie sich lediglich durch die Anzahl der C-​Atome. Der Biotransformationsweg von beiden ist gleich, sie werden von denselben Enzymen, der Alkoholdehydrogenase und der Aldehyddehydrogenase, oxidativ abgebaut. Die Ethanol-Metabolite, Acetaldehyd und Essigsäure, können vom Körper gut entsorgt werden. Beim Methanol-Abbau entstehen jedoch Metabolite, die auf den menschlichen Organismus schädlich wirken. Methanol wird oxidativ durch die Alkoholdehydrogenase zu Formaldehyd biotransformiert.

Formaldehyd wird dann von der Aldehyddehydrogenase zu Ameisensäure oxidiert, die zu einer schwerwiegenden Azidose mit Stoffwechselentgleisung führen kann. Hier liegt der Unterschied „nur“ an diesem einen C-Atom. Auch im Verlauf der Vergiftung gibt es Unterschiede. Methanol zeigt eine höhere Hydrophilie als Ethanol. Die Symptome der Vergiftung treten zeitversetzt ein. Grundsätzlich erfolgt die Resorption von Methanol im Vergleich zu Ethanol erst circa drei Stunden nach oraler Aufnahme. Die Vergiftungskaskade verläuft in drei Phasen, deren zeitlicher Ablauf stark von der aufgenommenen Menge und vom Allgemeinzustand des Vergifteten abhängt. Methanol kann bereits bei einer einmaligen Gabe von 30 bis 100 Milliliter (ml) tödlich wirken.

Zunächst zeigt sich das narkotische Stadium, wobei die berauschende Wirkung von Methanol geringer ist als bei Ethanol. Dem Vergifteten geht es kurz besser (Latenzphase). Danach treten Kopfschmerzen, Schwäche, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel und eine beschleunigte Atmung auf. Diese Symptome sind auf die metabolische Azidose zurückzuführen. Dadurch kommt es auch zur Schädigung von Nerven, insbesondere des Sehnervs, der in circa zehn Prozent irreversibel degeneriert wird. Die Erblindung wird durch Lichteinwirkung beschleunigt. Retinaödeme (Ödeme an der Netzhaut) sind reversibel und an den auftretenden Sehstörungen erkennbar. Unbehandelt führt eine Atemlähmung zum Tode. Methanol kann bis zu seiner Elimination bis zu 30 Stunden im Körper verbleiben, bedingt durch den langsamen Abbau zeigen sich die Vergiftungserscheinungen häufig erst nach einigen Tagen.

Therapie Erste Maßnahme ist Erbrechen auslösen. Die extrem langsame Resorption bedingt, dass mit gutem Ergebnis noch größere Mengen an Methanol aus dem Magen herausgeholt werden konnten. Dann erfolgt eine orale Gabe von 120 bis 150 ml Ethanol 40 % (V/V). Beide Alkohole, Ethanol wie Methanol, konkurrieren um dasselbe oxidativ wirkende Enzymsystem, jedoch hat Ethanol eine höhere Affinität zur Alkoholdehydrogenase sowie zur Aldehyddehydrogenase und wird bevorzugt biotransformiert. Es gilt nun Zeit zu gewinnen. Mittels Ethanol-Infusionen wird der Ethanol-​Spiegel dauerhaft (bis zu fünf Tage lang) auf einem Promille gehalten. Solange die Enzyme mit Ethanol beschäftigt sind, findet keine Metabolisierung von Methanol statt und es entsteht auch keine toxische Ameisensäure.

Methanol wird nach und nach über die Niere ausgeschieden oder wird zu einem kleinen Teil als Kohlendioxid über die Lunge abgeatmet. Unterstützend erfolgt eine hochdosierte Gabe von Folsäure, damit die Oxidation von bereits vorhandener Ameisensäure zu CO2 beschleunigt wird. Zur Behandlung der Azidose können Injektionen oder Infusionen von Natriumhydrogencarbonat- und Dinatriumhydrogenphosphat-Lösungen gegeben werden. Bei schweren Vergiftungen kann die Elimination von Methanol und seiner Metabolite durch eine Hämodialyse unterstützt werden. Wichtig ist der Zeitfaktor, wie bei jeder Vergiftung, denn schnelles Handeln kann Leben retten. Deshalb sollte schon bei geringstem Verdacht auf eine Methanol-Vergiftung der Notarzt gerufen werden.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/19 ab Seite 68.

Bärbel Meißner, Apothekerin

×