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Seltene Erkrankungen von A bis Z

PROGRESSIVE SUPRANUKLEÄRE BLICKPARESE

Die PSP gehört zu den neurodegenerativen Erkrankungen und trifft vorwiegend ältere Menschen. Weil Nervenzellen im Gehirn untergehen, werden die Augenbewegungen langsamer.

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Unsere Augen bewegen sich normalerweise blitzschnell. Zum Beispiel, wenn wir ein Buch lesen oder ein Objekt plötzlich in unserem Gesichtsfeld auftaucht. Dafür führen sie rasche, ruckartige Bewegungen aus, sogenannte Sakkaden. Denn wir können nur mit dem zentralen Punkt unserer Netzhaut, der Fovea, scharf sehen – deshalb müssen unsere Augen der Zeile beziehungsweise dem Objekt permanent folgen.

Die Sakkaden werden durch Nervenzellen im Hirnstamm koordiniert. Bei der Progressiven Supranukleären Blickparese gehen die Neurone, die für die Koordination der willkürlichen Sakkaden zuständig sind, zugrunde. In der Folge kommt es zu einer fortschreitenden Lähmung (Parese) der Augenbewegungen. „Supranukleär“ bezieht sich auf den betroffenen Bereich des Hirnstamms. Die Abkürzung PSP steht für den englischen Namen „Progressive Supranuclear Palsy“. Nach ihren Erstbeschreibern wird die Erkrankung auch Steele-Richardson-Olszewski-Syndrom genannt.

Vielfältige Symptome Aber nicht nur die für die Augenbewegung verantwortlichen, sondern auch eine ganze Reihe weiterer Neurone im Gehirn sterben ab. Daher leiden Patienten mit PSP unter einer Vielzahl unterschiedlicher Symptome: Ähnlich wie bei Parkinson wird ihr Gang zunehmend unsicher, Probleme mit dem Gleichgewicht werden stärker, sie stürzen öfter, vor allem nach hinten. Dazu kommt eine zunehmende Muskelsteifheit, die wiederum dem Rigor bei Parkinsonpatienten ähnelt. Durch die verlangsamten Augenbewegungen fallen alle Aktivitäten mit der Zeit immer schwerer.

Schreitet die Erkrankung fort, so kommen in der Regel Schluck- und Sprechstörungen dazu. Viele Betroffene leiden unter Schlafstörungen, das Denken ist verlangsamt. Noch vor den beschriebenen Symptomen lassen sich bei vielen Betroffenen Persönlichkeitsveränderungen beobachten: Sie werden gereizt und aggressiv. Dies lässt sich im Anfangsstadium der Erkrankung möglicherweise durch eine Ungehaltenheit über die eigene Langsamkeit und nachlassenden Fähigkeiten erklären.

ÜBERSICHT
In unserer Serie „Seltene Erkrankungen A bis Z“ stellen wir Ihnen demnächst folgende Themen vor:
+ Rett-Syndrom
+ Sarkoidose
+ Transverse Myelitis
+ Ullrich-Turner-Syndrom
+ von Hippel-Lindau Erkrankung (VHL)
+ Williams-Beuren-Syndrom
+ Xanthinurie

Im fortgeschrittenen Stadium können sich bei PSP eine Demenz, Störungen der Impulskontrolle (z. B. Lachen oder Weinen in unangemessenen Situationen) und Depressionen entwickeln. Manche Patienten können ihre Augenlider nicht mehr kontrollieren, beispielsweise bleiben sie über einen längeren Zeitraum krampfartig geschlossen. Im Durchschnitt versterben Patienten etwa sieben bis zehn Jahre nach Ausbruch der Erkrankung. Schwerwiegende Komplikationen umfassen Kopfverletzungen und Knochenbrüche als Folge von Stürzen sowie Lungenentzündungen infolge der Schluckstörungen. Letztere stellen die häufigste Todesursache bei PSP-Patienten dar.

Ursache: unbekannt? Laut PSP-Gesellschaft leben in Deutschland etwa 12 000 Menschen mit der Erkrankung. Sie tritt in aller Regel zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr auf. Warum die Nervenzellen untergehen, ist bislang noch nicht verstanden. Der Untergang findet besonders in der Substantia nigra statt – und damit teilweise in der gleichen Region, die auch bei Morbus Parkinson betroffen ist. Vor allem in frühen Stadien kommt es deshalb immer wieder vor, dass PSP-Patienten zunächst fälschlicherweise die Diagnose Parkinson erhalten.

Untersucht man Gewebeproben aus Gehirnen von PSP-Patienten, so findet man in den Nervenzellen krankhafte Ablagerungen von Tauproteinen – innerhalb der neurodegenerativen Erkrankungen wird PSP daher den sogenannten Tauopathien zugerechnet. In diese Gruppe fällt auch die Alzheimererkrankung, Parkinson dagegen ist keine Tauopathie. Zwar haben Wissenschaftler mittlerweile einige Gene identifiziert, die bei PSP-Patienten verändert sind. Eine Erbkrankheit im klassischen Sinn ist die Erkrankung aber nicht. Schließlich werden vorausgegangene Viruserkrankungen, Schadstoffe aus der Umwelt und freie Radikale als Ursachen für die PSP diskutiert.

Diagnose Eine PSP sicher festzustellen ist vor allem zu Beginn der Erkrankung nicht einfach. Der Arzt stellt die Diagnose aufgrund des typischen Erscheinungsbildes. Eine MRT-Untersuchung kann hilfreich sein, weil bei PSP-Patienten bestimmte Veränderungen im Gehirn auftreten können. Außerdem können so andere Erkrankungen ausgeschlossen werden.

Behandlung Eine Heilung der PSP ist nicht möglich. Jedoch kann das Fortschreiten einzelner Symptome mit Medikamenten verlangsamt werden. Vor allem zu Beginn der Erkrankung sprechen viele Patienten auf Parkinsonmedikamente an, allerdings verlieren diese mit der Zeit ihre Wirkung. Verkrampfungen der Augenlider lassen sich mit Botulinumtoxin lindern.

Depressionen, Schlafstörungen und weitere Beschwerden lassen sich zum Teil medikamentös bessern. Über eine Magensonde (PEG) lassen sich bei schweren Schluckstörungen die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme ergänzen. Eine wichtige Rolle spielen Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 07/14 ab Seite 76.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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