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Wundheilung

PRIMA VERSORGUNG

Pflaster drauf und fertig – so verfahren viele, die sich eine Hautverletzung zugezogen haben. Doch damit diese komplikationslos heilen kann, braucht sie mehr, insbesondere ein günstiges Heilklima.

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Beim Umpflanzen des Kaktus nicht aufgepasst und in die Stacheln gegriffen, beim Radfahren gestürzt und das Knie aufgeschlagen, am Abend zu lange in High-Heels getanzt und prompt eine dicke Blase am Fuß zugezogen – kleine Wunden gehören zum Leben und wohl jeder hat schon Bekanntschaft mit ihnen gemacht. Bei Bagatellverletzungen begeben sich viele Menschen nicht in die Arztpraxis, sondern verarzten die vermeintlich unspektakuläre Blessur lieber selbst.

Zahlreiche Kunden kommen mit Schürf-, Schnitt-, Risswunden und anderen Schrammen aber auch in die Apotheke, um sich geeignete Antiseptika, Verbandsmaterialen und Wundheilsalben zu besorgen. Gut so, denn eine sinnvolle Wundversorgung mit modernen Hilfsmitteln und geeigneten Therapeutika kann maßgeblich zu einer raschen und komplikationslosen Wundheilung beitragen. Und umgekehrt gilt: Wer bei der Wundversorgung schludert oder gravierende Fehler begeht, riskiert Entzündungen, Schmerzen und vielleicht sogar eine gefürchtete Wundinfektion. Das gilt es zu verhindern!

Feine Unterschiede Medizinisch betrachtet verbirgt sich hinter einer Wunde eine Läsion, die durch eine Durchtrennung oder oberflächliche Beschädigung der Haut oder Schleimhaut entsteht. Dabei kommt es zu einer Unterbrechung des Zusammenhangs von Körpergeweben. Die Definition macht bereits klar, dass Wunde nicht gleich Wunde ist.

Experten unterscheiden einerseits zwischen akuten und chronischen Wunden. Wie der Name bereits vermuten lässt, treten akute Wunden meist plötzlich auf, entstehen in der Regel in nicht vorgeschädigter Haut und zeichnen sich durch einen guten Heilungsverlauf aus. Das heißt: Abhängig von Größe, Art der Verletzung und Lokalisation ist die Blessur bei fachgerechter Behandlung nach Tagen bis Wochen wieder verheilt.

Anders bei chronischen Wunden: Davon sprechen Mediziner, wenn eine Wunde innerhalb eines Zeitraums von etwa vier bis zwölf Wochen trotz fachgerechter Behandlung keine adäquate Heilungstendenz zeigt. Häufig entstehen chronische Wunden bei Patienten mit Durchblutungsstörungen. Dekubitus, diabetisches Fußsyndrom und Unterschenkelgeschwüre infolge venöser oder arterieller Durchblutungsstörungen sind klassische Beispiel chronischer Wunden.

Verschluss in Phasen Grundsätzlich ist der gesunde menschliche Körper in der Lage, entstandene Wunden wieder zu verschließen. Der äußerst komplexe Prozess, bei dem das verletzte Gewebe durch neues ersetzt wird und sich die Wunde allmählich schließt, wird als Wundheilung bezeichnet. Sie verläuft in mehreren, sich zeitlich überlappenden Phasen und beginnt schon bald nach der Verletzung.

»Ein feuchtes Wundmilieu kann den Heilungsprozess deutlich beschleunigen.«

Los geht der Wundheilungsprozess mit der sogenannten Exsudationsphase, auch Entzündungs- oder Reinigungsphase genannt. Sie dient der Blutstillung und Reinigung der Wunde. Bei blutenden Verletzungen, etwa Schnittoder Platzwunden, muss der Körper zunächst Schadensbegrenzung betreiben, sprich die Blutung stoppen, um den Blutverlust zu begrenzen. Die ersten Reaktionen auf eine Hautverletzung sind daher: Blutstillung und Gerinnung durch Blutplättchen (Thrombozyten), Erythrozyten und Bestandteile des Gerinnungssystems. Dann wandern Fresszellen in das Wundgebiet ein, um eingedrungene Keime und zerstörte Zellen zu entfernen.

Auf die Wundreinigung folgt die Granulationsphase, die dem Aufbau von Granulationsgewebe dient. Ist die Wunde sauber, muss der Defekt mit Ersatzgewebe aufgefüllt werden. Dieser Prozess beginnt mit der Einsprossung feinster Blutgefäße (Kapillaren) in das Wundgebiet zur Sicherstellung der Ernährung. In zeitlicher Abhängigkeit dazu entwickelt sich dann ein vorläufiges Füllgewebe, das sogenannte Granulationsgewebe. Sein Aufbau wird maßgeblich von Bindegewebszellen (Fibroblasten) unterstützt: Sie produzieren eine Vorstufe von Kollagen, das schließlich zu festen Kollagenfasern ausreift.

In der sogenannten Reparations- und Epithelisierungsphase, die der Ausreifung, Narbenbildung und dem Überwachsen der Wunde mit Epithelzellen dient, zieht sich die Wunde zusammen. Das Granulationsgewebe wird immer wasserund gefäßärmer, fester und bildet sich zu Narbengewebe um. Die Bildung oberflächlicher Hautzellen, die die Wunde wieder bedecken (Epithelisierung), bringt die Wundheilung zum Abschluss.

Bleibende Erinnerung Was dauerhaft zurückbleibt, ist die Narbe. Während oberflächliche Verletzungen, etwa kleine Schürfwunden, meist narbenlos abheilen, kommt es bei tieferen, blutenden Schnitt-, Bisswunden und ähnlichen Verletzungen zur Narbenbildung. Grundsätzlich gilt: Narben entstehen, wenn eine Verletzung nicht nur die Oberhaut (Epidermis) durchtrennt, sondern auch die darunter liegende Lederhaut (Dermis) in Mitleidenschaft zieht.

Das Narbengewebe, das im Rahmen des Wundheilungsprozesses gebildet wird, ist zwar recht robust, jedoch kein vollwertiger Ersatz für das ursprüngliche, gesunde Gewebe. Denn Narbengewebe ist weniger elastisch und belastbar als das „Original“, Schweiß- und Talgdrüsen fehlen. Typischerweise hat eine frische Narbe zunächst eine rötliche Farbe. Je stärker sich das Bindegewebe jedoch strafft, umso blasser, flacher – und somit auch unauffälliger – wird sie.

WAS IST ES?
Abhängig von den Ursachen unterscheidet die Medizin zwischen mechanischen, thermischen, chemischen, durch Bestrahlung hervorgerufenen und iatrogenen Wunden. Letztgenannte werden durch den Arzt verursacht, beispielsweise während einer Operation. Zur großen Gruppe der mechanischen Wunden zählen unter anderem Schnitt-, Schürf-, Biss-, Kratz-, Quetsch- und Platzwunden. Thermische Wunden entstehen durch Einwirkung von Hitze (Verbrennung) oder Kälte (Erfrierung). Hinter chemischen Wunden verbergen sich Verätzungen durch Säuren oder Laugen. Die Auflistung zeigt: Nur wenige Wunden sind eher „harmlos“ und Fälle für die Selbstbehandlung.

Leider jedoch nicht immer: Störungen im Wundheilungsprozess können dazu führen, dass die Narbe zu einem echten Problemfall wird. Werden beim Wundverschluss zu viele Bindegewebsfasern gebildet, entstehen über das Hautniveau erhabene und verdickte, sogenannte hypertrophe Narben. Verdickte, stark erhabene Narben, die zudem weit über den ursprünglichen Wundbereich hinausragen, werden als Wulstnarben (Keloide) bezeichnet.

Die Behandlung von hypertrophen Narben und Keloiden gehört in die Hände eines erfahrenen Dermatologen. Gewöhnliche strichförmige und helle Narben, die auf Hautniveau liegen, sind hingegen ganz normale Folgen der Wundheilung und bedürfen keiner Behandlung.

Echte Störenfriede Wie gut, rasch und komplikationslos die natürliche Wundheilung vonstattengeht, hängt von zahlreichen Faktoren ab. In erster Linie natürlich von Art und Ausmaß der Verletzung, etwa von ihrer Größe, Tiefe und vom Grad der Verschmutzung. Aber auch persönliche Einflussfaktoren spielen eine bedeutende Rolle. Bekannt ist, dass bestimmte Personengruppen ein höheres Risiko haben, dass Wunden nur zögerlich heilen oder chronisch werden.

Dazu zählen etwa Menschen mit Grunderkrankungen wie Diabetes, arteriellen oder venösen Durchblutungsstörungen, aber auch Patienten mit geschwächtem Immunsystem, etwa durch eine Immunschwäche- oder Krebserkrankung. Bei älteren Menschen heilen Wunden insgesamt langsamer als in jungen Jahren. Das liegt unter anderem an einer schlechteren Hautdurchblutung und daran, dass die generelle Fähigkeit des Körpers, Schäden zu reparieren, mit zunehmendem Alter nachlässt. Neue Zellen und Blutgefäße bilden sich jetzt langsamer.

Auch zahlreiche Arzneimittel können die Wundheilung stören: Etwa Immunsuppressiva, die die Immunabwehr des Körpers unterdrücken, Zytostatika, die die Zellteilung hemmen, Gerinnungshemmer und Glukokortikoide. Nicht zuletzt hat auch die Ernährung Einfluss auf die Wundheilung. So gibt es beispielsweise einen Zusammenhang zwischen unzureichender Kalorien- und Eiweißzufuhr und dem Auftreten von Wundheilungsstörungen.

Auf der anderen Seite kann eine ausgewogene, vollwertige Kost die natürliche Wundheilung unterstützen. Sie sollte nicht nur Eiweiß, Fette und Kohlenhydrate in einem ausgewogenen Verhältnis liefern, sondern auch eine gute Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen sicherstellen.

Wichtig für die Wundheilung sind unter anderem die Vitamine B6, Folsäure und Pantothensäure sowie die Spurenelemente Zink und Selen. Vitamin C ist für den Aufbau von Bindegewebe von Bedeutung, Vitamin A für die Bildung von Zellmembranen, Vitamin K ist an der Blutgerinnung beteiligt und Eisen transportiert Sauerstoff in die Zellen. All das macht deutlich: Eine Mangelernährung mit unzureichender Kalorien- und Vitalstoffzufuhr kann für eine schlechte Wundheilung mitverantwortlich sein.

Fachgerecht verarztet Wer sich eine frische Wunde zugezogen hat, sollte die Blessur sofort fachgerecht versorgen, um Komplikationen und Beeinträchtigungen der Wundheilung zu verhindern. Schwerwiegende Verletzungen, etwa Verbrennungen mit Blasenbildung, Platzwunden im Kopfbereich oder Bisswunden, sind grundsätzlich kein Fall für die Versorgung in Eigenregie, sondern sollten umgehend vom Arzt begutachtet, fachgerecht gesäubert und versorgt werden.

Bagatellverletzungen hingegen können meist in den eigenen vier Wänden „verarztet“ werden. Dabei gilt: Die Wunde zunächst mit klarem Leitungswasser (in Trinkqualität) säubern. Verschmutzte Wunden sollten zudem mit einem geeigneten Desinfektionsmittel behandelt werden, wobei nach dem Motto „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“ zu verfahren ist. Oft reicht eine einmalige Desinfektion der Wunde mit einem modernen Wundantiseptikum zur Abtötung oder Wachstumshemmung von Mikroorganismen.

Bewährte farblose antiseptische Substanzen wie Octenidin oder Polihexanid verfügen über ein breites Wirkspektrum und zeichnen sich durch eine insgesamt gute Verträglichkeit aus. In der Regel ist das Auftragen oder Aufsprühen dieser Antiseptika nicht mit brennenden Schmerzen verbunden. Zum Einsatz kommen können bei oberflächlichen Hautverletzungen auch Povidon-Iod-Zubereitungen (PVP-Jod), die sich ebenfalls durch ein breites Wirkspektrum, einen schnellen Wirkeintritt und eine recht gute Verträglichkeit auszeichnen.

SELBSTMEDIKATION ODER ARZT?
Kleine Schrammen und Bagatellverletzungen, etwa leichte Verbrennungen, einfache Schürf- und Schnittwunden, können oft gut auf eigene Faust behandelt werden. Grundsätzlich zum Arzt schicken müssen Sie Ihre Kunden jedoch …
+ mit chronischen Wunden
+ mit großflächigen, tiefen und/oder stark blutenden Wunden
+ bei stark verunreinigten Wunden
+ bei Bisswunden (hohe Infektionsgefahr!)
+ wenn ein Fremdkörper (z. B. Glassplitter oder Holzstück) in der Wunde steckt
+ wenn es sich um einen immungeschwächten Menschen oder Diabetiker handelt
+ wenn das verwundete Hautareal geschwollen ist, schmerzt, eitert oder es andere Hinweise auf eine Infektion gibt
+ wenn unklar ist, ob ausreichender Tetanusschutz besteht

Zu berücksichtigen ist jedoch, dass PVP-Jod für bestimmte Personengruppen (z. B. bei Schilddrüsenerkrankungen, in der Schwangerschaft) kontraindiziert ist. Sinnvoll ist im Beratungsgespräch zudem der Hinweis, dass die braune Lösung Textilien verfärben kann.

Feucht ist besser Während unsere Großmütter davon überzeugt waren, Wunden würden „an der Luft“ am besten heilen, weiß die moderne Medizin es besser: Richtig ist, dass ein feuchtes Wundmilieu auch vielen kleineren Blessuren sehr gute Bedingungen für ein schnelles und komplikationsloses Abheilen bietet und zu einem besseren Narbenergebnis beitragen kann.

Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge kann ein feuchtes Wundmilieu den Heilungsprozess deutlich beschleunigen und Schorfbildung verhindern. Gut so, denn obwohl Schorf als natürliche Wundabdeckung gilt, kann er die Heilung stören und den Wundverschluss erschweren. Auch die körpereigene Wundreinigung funktioniert unter feuchten Bedingungen besser, sodass es seltener zu Infektionen und Entzündungen kommt. Weitere Vorteile für Patienten: Das feuchte Milieu kann dazu beitragen, dass die Wundheilung schmerzärmer verläuft und ein kosmetisch besseres Ergebnis erzielt werden kann.

Vor diesen Hintergründen ist es kein Wunder, dass Wundauflagen heute häufig auf dem Prinzip der feuchten Wundheilung basieren. Schon seit langem spielen hydroaktive Wundauflagen eine bedeutende Rolle bei chronischen Wunden. Doch auch in die Versorgung kleinerer Alltagsblessuren haben sie mittlerweile Einzug gehalten, etwa in Form von Wundpflastern mit hydroaktiven Eigenschaften, die meist mehrere Tage auf der Wunde bleiben können.

Auch hydroaktive Wund- und Heilgele zum Auftragen auf die verletzte Hautregion basieren auf den Prinzip der feuchten Wundheilung. Um das Abheilen kleiner, oberflächlicher Blessuren zu unterstützen, können auch Wundheilsalben gute Dienste leisten, etwa mit Dexpanthenol oder pflanzlichen Wirkstoffen wie Hamamelis oder Calendula.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 02/15 ab Seite 58.

Andrea Neuen-Biesold, Freie Journalistin

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