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Wanzen

PLÖTZLICH VAMPIR

In Deutschland leben rund 900 Wanzenarten. Eine von ihnen: Psallus varians. Diese Weichwanze gelangte jüngst zu zweifelhaftem Ruhm. Denn anstatt friedlich an Pflanzen und Blattläusen zu saugen, machten sich die Tierchen auf einmal über Menschen her.

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Auf der Mauer, auf der Lauer, sitzt `ne kleine Wanze…“ Seit Generationen wird das berühmte Kinderlied über die kleinen Insekten mit Begeisterung geträllert. Doch die Tierchen, denen das Lied gewidmet ist, sind nicht ganz so beliebt. Eine echte Plage sind vor allem die blutrünstigen Bettwanzen, die sich nachts tückisch über ihre menschlichen Opfer hermachen, um sich an deren Blut zu laben.

Seit diesem Sommer ist jedoch auch eine andere, eigentliche harmlose Wanzenart bei uns in Verruf geraten: Die auch in Deutschland heimische Weichwanze mit dem klangvollen Namen Psallus varians. Obwohl sie nur etwa drei bis vier Millimeter groß ist, versetzte sie im Juni ganze Landstriche in Aufregung. Denn plötzlich fielen die Insekten, die eigentlich an Baumpollen oder Blattläusen saugen, über Menschen her.

Vor allem in den Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen gab es jede Menge Meldungen über Überfälle durch die gierigen Tierchen oder gar durch ganze Wanzenschwärme. Aber auch anderenorts, etwa im Wartburgkreis , traten die Tiere gehäuft auf. Ihren überraschten Opfern fügten die Wanzen schmerzhafte Stiche zu, die starken Juckreiz und mitunter sogar Entzündungen – vermutlich allergische Reaktionen – verursacht haben sollen.

Liegt’s am Wetter? Doch warum die Weichwanzen plötzlich in erheblichem Ausmaß über Menschen herfielen, darüber rätseln selbst Experten. Eine Erklärung für das seltsame Verhalten: Die extremen Wetterkapriolen im Juni mit ausgeprägter Schwüle und Starkregen habe die Insekten zu diesem untypischen Verhalten veranlasst.

Das massenhafte Auftreten der Weichwanzen in größeren Schwärmen in diesem Sommer und die damit verbundene Suche nach neuen Nahrungsquellen, hänge vielleicht auch mit den sehr milden Wintern der letzten beiden Jahre zusammen, vermuten Experten. Wahrscheinlich hätten es die Tierchen gar nicht auf das Blut des Menschen abgesehen, das für sie ohnehin unverdaulich sein dürfte, sondern seien auf die Lymphflüssigkeit und Salze unserer Haut aus, so Roland Bellstedt vom Thüringer Entomologenverband.

Doch bei all dem sommerlichen Wanzen-Wirrwarr gab es auch beruhigende Nachrichten. Zum einen heilten die unmittelbar schmerzhaften Wanzenstiche nach wenigen Tagen spurlos ab, und zum anderen stellte sich schnell heraus: Als Krankheitsüberträger ist Psallus varians nicht bekannt.

Frühsommer-Plage Die Weichwanzenart Psallus varians ist eine von 26 bei uns heimischen Arten der Gattung Psallus. Typischerweise vermehren sich die rötlich- bis grau-braunen Tierchen in den Monaten Mai und Juni stark und tauchen in den darauf folgenden Sommermonaten nur noch vereinzelt auf. Bevorzugt lebt die Weichwanzenart, die in Europa und über Kleinasien bis in den Kaukasus verbreitet ist, an Eichen.

Aber auch an Buchen, Weiden, Birken und anderen Laubbäumen tritt sie auf; gelegentlich ist Psallus varians auch auf Nadelgehölzen zu finden. Zu den üblichen Nahrungsquellen gehören Baumpollen und Blattläuse. Wie alle Wanzenarten besitzt Psallus varians stechend-saugende Mundwerkzeuge, mit denen die Insekten Säfte saugen können. Am Wanzenkopf befindet sich ein mehrteiliger Rüssel, Rostrum genannt.

Welt der Wanzen Wanzen sind Sechsbeiner, die sich bei der Entwicklung von einer winzigen Larve zum erwachsenen Tier (Imago) meist fünf Mal häuten. Anders als bei Käfern oder Schmetterlingen gibt es bei Wanzen jedoch kein Puppenstadium, Experten sprechen von unvollständiger Metamorphose. Weltweit besiedeln Wanzen, die zur Ordnung der Schnabelkerfe gehören, praktisch alle Lebensräume: Es gibt beispielsweise Land-, Erd-, Baum- und Wasserwanzen; Spezies, die es warm und trocken lieben und solche, die feuchte Standorte bevorzugen.

Auch die Wasserläufer, die sich mit ihren Mittelbeinen blitzschnell über Wasseroberflächen bewegen können, gehören zur großen Wanzenfamilie. Unter ihnen gibt es sogar Arten, die – als einzige Insekten – ständig auf dem Ozean leben. Rund um den Globus sind rund 40 000 Wanzenarten bekannt, darunter Vegetarier, Aasfresser, Räuber und auch „Gemischtkostler“. Die Gemeinsamkeit: Wanzen nehmen nur Flüssignahrung zu sich. In Deutschland sind rund 900 Wanzenarten bekannt – doch nur die allerwenigsten von ihnen haben es auf das Blut von Mensch und Tier abgesehen.

Zu den Ektoparasiten gehört die Bettwanze, auch Hauswanze genannt, aus der Familie der Plattwanzen. Die extrem flachen, rotbrauen Parasiten suchen ihre Nahrung beim Menschen, lassen sich aber auch das Blut von Haustieren, Vögeln und Fledermäusen schmecken. Am Tag verstecken sie sich in engen Spalten und Ritzen – zum Beispiel zwischen Matratzen, unter Tapeten und hinter Bilderrahmen. Deshalb bleiben sie für das menschliche Auge oft unsichtbar. Erst in der Nacht begeben sich Bettwanzen auf Beutetour. Haben sie zugestochen, bleiben beim Menschen oft stark juckende Quaddeln auf der Haut zurück.

Lange Zeit galt die Bettwanze bei uns praktisch als ausgerottet, doch als unbeliebtes Urlaubsmitbringsel gelangte sie aus anderen Ländern wieder zurück in unsere Schlafzimmer. Während die Bettwanze sicherlich ein äußerst unangenehmer Zeitgenosse ist, gibt es auch unzählige Wanzenarten, die durchaus hübsch anzusehen und interessant zu beobachten sind. Dazu zählen zum Beispiel der intensiv grün gefärbte Buntrock und die rot-schwarze Ritterwanze, die 2007 sogar zum „Insekt des Jahres“ gekürt wurde.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/16 ab Seite 136.

Andrea Neuen-Biesold, Freie Journalistin

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