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PLACEBO & NOCEBO

Die Wirkung eines Arzneimittels ergibt sich zu einem nicht zu unterschätzenden Prozentsatz aus den Erwartungen des Patienten. Diese als Placeboeffekt bezeichnete Tatsache hat eine ebenso erstaunliche dunkle Seite – den Noceboeffekt.

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Es ist immer wieder überraschend: Ein Patient profiziert von einer Behandlung, die ihm eigentlich gar nicht helfen kann, weil das verabreichte Medikament keinen Wirkstoff enthält oder weil der ärztliche Eingriff keine therapeutische Relevanz hat. Die Wirkung ergibt sich aus den Begleitumständen der Behandlung, aus der Beziehung zwischen Arzt und Patient und letztlich aus den Erwartungen des Patienten an die Therapie.

So war es in den 1950er-Jahren gängige Praxis, Angina-pectoris-Patienten mit einer Operation zu behandeln. Man öffnete ihnen den Brustkorb und band die innere Brustwandarterie ab. Durch den Rückstau sollte sich der Druck erhöhen und damit die Durchblutung in den Herzkranzgefäßen, die vor dem künstlichen Verschluss abzweigen, verbessern. Die Operation war sehr populär, da sie erfahrungsgemäß gut half.

Dann testeten Forscher der University of Kansas die Methode. Einem Teil der Patienten ritzten sie, während diese in Narkose lagen, mit dem Skalpell nur leicht über die Brust. Die Scheinoperation erwies sich als genauso hilfreich wie die richtige Operation, der Erfolg beruhte offensichtlich ausschließlich auf einem Placebo effekt. Die Operationstechnik wurde daraufhin sofort eingestellt.

Der Effekt funktioniert aber auch umgekehrt. Die Erwartung, dass etwas schädlich ist, kann tatsächlich krank machen. Wer den Beipackzettel genau studiert, wird in aller Regel mehr und stärkere Nebenwirkungen haben als derjenige, der ihn nicht liest.

Ich werde schaden Aus dem Voodookult ist bekannt, dass Menschen eine so starke Erwartungshaltung entwickeln können, dass die Worte und Handlungen eines Voodoopriesters zum Tode führen können. Dieses zugegeben extreme Beispiel zeigt, dass der Noceboeffekt genauso wirksam ist wie der Placebo effekt (placebo: lat. Ich werde gefallen), nur dass es statt zu einer positiven zu einer negativen Reaktion kommt.

Aus der Placeboforschung weiß man, dass sehr kleine und sehr große Tabletten besser wirken als mittelgroße, dass rote Tabletten besser helfen als weiße und dass Spritzen wirksamer sind als Tabletten. Werden sie von Ärzten verabreicht, wirken sie besser als die von einer Krankenschwester gesetzten Spritzen.

Der Noceboeffekt funktioniert nach demselben Prinzip. So fällt es einem Patienten, der das Röntgenbild seiner kaputten Wirbelsäule gesehen hat und dessen Schmerzen damit dokumentiert wurden, schwer, den Schmerz wieder zu vergessen. Dabei haben die klinischen Befunde nicht unbedingt etwas mit den Symptomen zu tun. Man findet bereits bei einem gesunden 30-Jährigen mit einer 75-prozentigen Wahrscheinlichkeit degenerative Veränderungen der Bandscheiben.

Vergleichbares haben Sie sicher auch schon erlebt: Wird ein Patient auf ein zwar wirkstoffgleiches, aber billigeres Präparat umgestellt, kann das Vertrauen in Arzt und Medikament verloren gehen und damit die Wirkung nachlassen. Im Grunde ist auch der Beipackzettel, zumindest so, wie er derzeit aus juristischen Gründen formuliert werden muss, ein Risiko für die Gesundheit. Selbst Placebotabletten haben Nebenwirkungen, wenn man den Patienten zuvor über mögliche unerwünschte Effekte aufklärt – auch hier wieder abhängig von Größe, Farbe und Form. Placebo und Nocebo sind zwei Seiten einer Medaille, die man nicht vernachlässigen darf, auch nicht im Beratungsgespräch in der Apotheke.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 01/12 auf Seite 53.

Sabine Bender, Apothekerin

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