© DIE PTA IN DER APOTHEKE
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Berühmte Apotheker

PIONIER MODERNER CHEMIE

Johann Wolfgang von Goethe war tagelang sein Gast. Auch lieferte er unter anderem verschiedene Gläser, die Goethe für seine Farbenlehre-Versuche benötigte: Die Rede ist von Apotheker Wolfgang Caspar Fikentscher.

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Erste deutsche Chemiefabrik Statt sich um eine eigene Apotheke zu bemühen, begann Wolfgang Caspar Fikentscher dort allerdings mit äußerst beschränkten Mitteln in einem Winkel des väterlichen Hauses noch 1788 Chemikalien und Präparate für den Handel zu erzeugen – mit dem Ziel guter, stets gleichbleibender Qualität. Phosphor, Salpeter- säure, Benzoesäure und rotes Quecksilberpräzipitat waren erste Erzeugnisse. Deren Absatz war so ermutigend, dass er schon nach einem halben Jahr ein eigenes Laboratorium außerhalb Redwitz erbauen konnte. Eine Reise nach Prag, Wien und Salzburg förderte seinen Geschäftsbetrieb zusätzlich: Fikentscher arbeitete intensiv an langjährigen Beziehungen zu den bedeutendsten deutschen Drogerie-Handlungen, um seine Chemikalien gewinnbringend zu vertreiben.

Der Absatz seiner Produkte stieg so stark an, dass er sein Laboratorium innerhalb von sechs Jahren zu einer ansehnlichen Fabrik ausbauen konnte, die damit zu den ältesten, wenn nicht gar der ältesten chemischen Fabrik Deutschlands zählt. Der Wohlstand stellte sich so schnell ein, dass Wolfgang Caspar Fikentscher schon 1794/95 außerhalb des Mauerrings von Marktredwitz ein großes, repräsentatives, klassizistisches Wohnhaus errichten ließ. Selbst heutzutage sticht dieses Gebäude als „Neues Rathaus“ – mittlerweile im Ort – sofort ins Auge. Kurz nach dem Wohnhausbau heiratete der erst 26-Jährige im Jahr 1796 Margaretha Barbara Grüner aus dem benachbarten Wunsiedel. Vier Söhne und fünf Töchter gingen aus der Ehe hervor.

Geschäftstüchtiger Glashütten-​Bauer 1814 wurde Fikentscher zusätzlich Mitbegründer einer Glashütte, in die – letztlich vorangetrieben durch seinen Sohn Friedrich Christian Fikentscher, der bei Trommsdorff Chemiekurse besucht hatte – das neue, vorteilhafte Verfahren von Ferdinand Gehlen (1775 bis 1815) mit Glaubersalz als Schmelzmittel eingeführt wurde. Gleichzeitig forcierte er absichtlich dieses Verfahren, um seinen Absatz an Glaubersalz zu erhöhen. Seine Glashütte erzeugte schönes Fensterglas für den Handel, aber auch besonders dauerhafte Glasgefäße, die nicht nur in seiner chemischen Fabrik Anwendung fanden. Unter anderem führte diese faszinierende Arbeit sogar den Dichterfürsten Johann Wolfang von Goethe im August 1822 in die heiligen Hallen der frühen Chemiefabrik beziehungsweise der Glashütte.

Goethe berichtete in seinem Tagebuch sowie in „Notiertes und Gesammeltes“: „Hier wird im Großen das schwefelsaure Quecksilber mit zugesetztem Kochsalz bereitet (Muriate suroxigéne de Mercure). Das zurückbleibende Natron wird zur Glasfabrikation verwendet. Auch kristallinische Weinsteinsäure wird auf das Reinlichste im Großen verfertigt … das Ganze ist so eingerichtet, daß, nach handelsmännischen Bestellungen, die größten Parthien in kurzer Zeit gefertigt werden können.“ Fikentscher lieferte Goethe entoptische Spezialgläser für dessen Versuche im Rahmen seiner „Farbenlehre“. Zwischen 1825 und 1836 errichtete Fikentscher zudem vier Bleikammern zur Herstellung von Schwefelsäure. Diese musste zuvor größtenteils vom Ausland bezogen werden.

So konnte er sie jedoch wesentlich preisgünstiger anbieten als die Konkurrenz. 1825 erhielt er zudem die Regierungs-Genehmigung zum Bezug von billigerem Kochsalz, sodass die Herstellung von Glaubersalz und Chlorkalk wesentlich rentabler wurde. Er überzeugte viele Papiermüller von der Güte der Methode, Chlorkalk zum Bleichen von Lumpen zu verwenden, was wiederum den Verbrauch von Chlorkalk erheblich steigerte. Die Produkte von Fikentschers Marktredwitzer Chemiefabrik, die in für damalige Zeit sehr großen Mengen herstellt wurden, gingen ins In- und Ausland bis nach Russland und die Türkei.

Politische Ambitionen Bis 1806 forcierte Fikentscher allein Familie und Ausbau der Chemikalien- und Glasfabrikation. Dann kam – kein Wunder für einen Unternehmer seiner Güte – parallel die Politik hinzu. 1806 wurde er vom Magistrat zum Mitglied der geschworenen Gemeinde, 1809 zum Bürgermeister von Marktredwitz gewählt, ein Amt, das er bis 1824 innehaben sollte. Am 27. November 1827 rückte Wolfgang Caspar Fikentscher für den verstorbenen Felix Silbermann als Abgeordneter der Klasse V (übrige Grundbesitzer) in die Kammer der Abgeordneten der bayerischen Ständeversammlung nach – und setzte unter anderem einen Antrag durch, dass die Regierungsgenehmigung zum Bezug billigeren Kochsalzes auf alle chemischen Produzenten ausgedehnt wurde. Bis 1834 blieb er bayerischer Landtagsabgeordneter. Am 7. März 1837 starb Wolfgang Caspar Fikentscher in seinem Heimatort.

Umweltskandal im Grenzort zur DDR Nach seinem Tod führten seine Söhne Matthäus Wilhelm (1802 bis 1882) und Friedrich Christian Fikentscher (1799 bis 1864) – bis zu dessen Ausscheiden 1848 und der Gründung einer eigenen Glashütte in Zwickau (1845) – die Chemische Fabrik Marktredwitz weiter. 1891 verkauften die Fikentscher-Erben die Chemiefabrik an die Brüder Oskar Bruno und Curt Bernhard Tropitsch, welche die Produktion auf Quecksilber-Präparate und verschiedene Pflanzenschutzmittel für die Landwirtschaft umstellten. 1985 wurde dann einer der größten Umwelt-​Skandale Deutschlands, ja ganz Europas aufgedeckt: Nicht nur das Betriebsgelände der Chemischen Fabrik Marktredwitz (CFM), welches nie aus dem Ort Marktredwitz heraus verlegt worden war, selbst der Erdboden rund um das Werk sowie der angrenzende Bach Kösseine waren hochgradig mit Quecksilber verseucht. Die Fabrik wurde von den Aufsichtsbehörden geschlossen, Betriebsgelände und Umgebung grundlegend saniert. Heute steht hier das Kösseine-Einkaufszentrum.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/19 ab Seite 66.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

Im oberfränkischen Marktredwitz ist er wohlbekannt: Apotheker Wolfgang Caspar Fikentscher sowie seine Nachkommen, insbesondere sein Sohn Friedrich Christian Fikentscher (1799 bis 1864). Erst kürzlich, im April 2019, übergaben die Nachfahren von Wolfgang Caspar Fikentscher Dokumente der Markredwitzer Familie dem Stadtarchiv – und erinnerten damit an den Pionier moderner Chemie. Am 3. Mai 1770 in eben jenem Marktredwitz als Sohn des geachteten Bäckermeisters Peter Fikentscher und dessen Frau Katharina (geb. Miedel) geboren, besuchte Wolfgang Caspar vor Ort die lateinische Vorbereitungsschule.

Mit 12 Jahren kam er für ein halbes Jahr zu seinem Onkel Dr. Miedel, der eine Apotheke besaß. Diese für den kleinen Fikentscher sehr prägende, interessante Zeit hatte sichtbar großen Einfluss auf seine Berufswahl. Denn eineinhalb Jahre später begann er in Nürnberg in der Paradies-Apotheke bei Apotheker Georg Christoph Merkel seine Apothekerlehre. Merkel war gewissenhaft, dienststreng, den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen – etwa den Lavoisier´schen Entdeckungen – zugetan, stellte nicht nur viele Medikamente selbst her, sondern machte auch zahlreiche Laborversuche, was Fikentscher in der schweren, entbehrungsreichen Ausbildung sehr zugute kam. 1788 bestand er die Apothekengehilfen-Prüfung – und ging zurück in seine Heimatstadt.

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