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Rückenschmerzen

NICHT NUR EIN MECHANISCHES PROBLEM

Weil Rückenschmerzen meist mehr als eine Ursache haben, sollte man sie ganzheitlich betrachten und multimodal behandeln. Dabei spielt der Betroffene selbst eine aktive und zentrale Rolle bei seiner Genesung.

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Kreuzschmerzen sind häufig: In einer Umfrage des Robert Koch- Instituts gab je nach Region bis zur Hälfte aller Befragten an, dass sie aktuell unter Rückenschmerzen litten. Etwa ein Drittel hatte in dem Jahr zuvor mindestens drei Monate fast täglich Probleme. Laut der Deutschen Rückenschmerzstudie leiden sieben Prozent unter schweren und neun Prozent unter erheblich behindernden Schmerzen. Angesichts dieser weiten Verbreitung wundert es nicht, dass Rückenschmerzen neben großem persönlichen Leid auch hohe Kosten verursachen:

Allein die direkten Kosten für das Gesundheitssystem beliefen sich im Jahr 2008 laut einem Bericht des Deutschen Bundestags auf rund neun Milliarden Euro – das entspricht etwa vier Prozent der direkten Kosten für alle Krankheiten. Dazu kamen weitere 51 Milliarden Euro an indirekten Kosten durch Produktivitätsausfall aufgrund von Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit. Vor allem, wenn Patienten länger als zwölf Wochen krankgeschrieben sind, sinken ihre Chancen, dass sie in ihr altes Leben zurückfinden: Nur etwas mehr als die Hälfte nehmen innerhalb von zwei Jahren ihre alte Arbeit wieder auf.

Unspezifische Kreuzschmerzen Bei der absoluten Mehrheit aller Menschen mit „Rücken“, nämlich bei über vier von fünf Betroffenen, lassen sich keine körperlichen Veränderungen zum Beispiel an den Bandscheiben als Ursache für die Beschwerden identifizieren. Diese Patienten leiden definitionsgemäß an „unspezifischen“ Rückenschmerzen. Dass sich so selten ein anatomisches Korrelat findet, lässt bereits erahnen, dass ein rein mechanisches Rückenbild zu kurz greift und es daneben – gerade bei der Chronifizierung – weitere Ursachen geben muss. Neun von zehn Rückenpatienten sind nach vier Wochen wieder schmerzfrei, aber etwa zehn Prozent sind es auch nach über zwölf Wochen nicht.

Das bio-psycho-soziale Schmerzmodell Experten gehen heute davon aus, dass bei der Entstehung von Schmerz biologische, psychologische und soziale Faktoren zusammenspielen. Die biologischen sind dabei die bekannten anatomisch- mechanischen, also einseitige Belastung, Schonhaltung, Muskelverspannung, Entzündung und Co. Unter die psychologischen Faktoren fallen die Einstellung zu den Beschwerden sowie die Ängste und Sorgen diesbezüglich.

»Experten gehen heute davon aus, dass bei der Entstehung von Schmerz biologische, psychologische und soziale Faktoren zusammen spielen.«

Vielleicht fühlt der Betroffene sich hilflos, sieht keine Chancen auf Besserung und/oder entwickelt Vermeidungsstrategien. Schließlich spielen auch soziale Faktoren wie etwa die Zufriedenheit mit der Arbeit oder dem Leben generell eine Rolle im Schmerzgeschehen. Zwar mag es einen biologischen Auslöser für die Rückenschmerzen gegeben haben, aber an ihrem Fortbestehen sind häufig psychosoziale Faktoren entscheidend beteiligt.

Die übliche Therapie aus Schmerzmitteln, Massage und Krankengymnastik sowie auch Operationen bringen deshalb in diesen Fällen nicht den erhofften Erfolg. Für fehlgeschlagene Rückenoperationen gibt es sogar einen medizinischen Fachbegriff: das Failed Back Surgery Syndrome, kurz FEBS.

Tipps Diese Zusammenhänge liegen auch der Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) Kreuzschmerz zugrunde. Sie empfiehlt bei akuten Kreuzschmerzen, sofern keine Hinweise auf einen gefährlichen Verlauf bestehen, alle Aktivitäten des Alltags – auch die körperlichen – so weit wie möglich beizubehalten. Falls nötig, können dafür vorübergehend entzündungshemmende Schmerzmittel angewendet werden. Zudem sollen Patienten eine Beratung erhalten, die über die gute Prognose und die Bedeutung körperlicher Aktivität aufklärt.

Spezielle Krankengymnastik ist in diesem Stadium nicht nötig; Schonung, gar im Sinne von Bettruhe, kontraproduktiv. Auch von Bildgebung wird abgeraten, wenn nichts auf mögliche Komplikationen hindeutet, weil sie Kosten verursacht, gegebenenfalls mit einer Stahlenbelastung einhergeht, aber keine therapeutischen Konsequenzen hat.

Wenn nach vierwöchiger leitliniengerechter Behandlung keine Besserung eintritt, spricht man von subakutem, nach zwölfwöchiger Dauer von chronischem Kreuzschmerz. Auch hier gilt: Nicht schonen, sondern alle (auch körperlichen) Aktivitäten so weit wie möglich beibehalten – falls nötig mithilfe von Schmerzmitteln. In diesem fortgeschrittenen Stadium ist nun eine Bewegungstherapie angesagt. Die progressive Muskelrelaxation wird als Entspannungsverfahren empfohlen, Massage kann angewendet werden, ebenso wie Manipulation beziehungsweise Mobilisation.

Eine wichtige Rolle spielen Schulungsmaßnahmen (Edukation/Beratung), auch eine kognitive Verhaltenstherapie wird empfohlen. Patienten mit chronischem nichtspezifischen Kreuzschmerz sollten laut NVL Kreuzschmerz, wenn die bisherigen Therapien keinen Erfolg gebracht haben, in einem multimodalen Programm behandelt werden. Hierbei werden verschiedene Therapiebausteine den individuellen Bedürfnissen des Patienten entsprechend aus verschiedenen Fachrichtungen kombiniert und aufeinander abgestimmt. Sie bestehen neben medizinischen und physischen auch aus verhaltenstherapeutischen sowie, abhängig von den individuellen Bedürfnissen, weiteren Komponenten.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 07/15 ab Seite 110.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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