Zwei Maronenröhrlinge nebeneinander im Wald© Eileen Kumpf iStock / Getty Images Plus
Was sich diese Pilze wohl zu erzählen haben?

Mykologie

SINGENDE PILZE UND IHR GEHEIMES NETZWERK

Pilze sprechen miteinander. Von dieser These überzeugt ist zumindest der Informatiker Andrew Adamatzky, der die Kommunikationsstrategien mehrerer Pilzsorten erforschte und dazu die elektrischen Impulse ihrer fadenförmigen Ausläufer, der Myzel, erforschte.

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„Ein Männlein steht im Walde, ganz still und stumm“ – von wegen. Der gemeine Fliegenpilz ist, wie auch seine andersfarbigen Kollegen, keineswegs sprachlos. Er redet mit ihnen, indem er elektrische Impulse über seine Ausläufer schickt, die man anderswo als Wurzeln bezeichnen würde.

Wenn es denn mit den Pilzen nicht etwas schwierig wäre: Sie sind ja weder Tier noch Pflanze, sondern irgendetwas dazwischen. Myzel heißt das Gebilde, das aussieht wie ein Knäuel aus herunterhängenden Wollfäden und das sich über Kilometer erstrecken kann. Der größte Pilz der Welt ist ein uralter Hallimasch in Oregon. Sein unterirdisches Netzwerk erstreckt sich über fast tausend Hektar Wald, er gilt als größter Organismus der Welt.

Das Network im Waldboden

Man wusste schon länger: Bäume nutzen das Netzwerk der Pilze, um Informationen zu Blattläusen auszutauschen, davon hat Peter Wohlleben in seinen Bestsellern zum Wald bereits ausführlich berichtet. Wenn einzelne Exemplare Läuse hatten, teilten sie das den anderen mit, die daraufhin ihre Abwehrmechanismen hochfuhren. Die Frage ist nur: Handelt es sich bei solchen Beobachtungen tatsächlich um echte Kommunikation?

Der Direktor des Unconventional Computing Laboratory an der University of the West of England in Bristol geht davon aus. Für eine Studie schloss er Elektroden an vier verschiedene Pilzarten an: an den Speisepilz Enoki (Flammulina velutipes), den giftigen Australischen Geisterpilz (Omphalotus nidiformis), den weit verbreiteten und Holz zersetzenden Gemeinen Spaltblättling (Schizophyllum commune) und die gelborange Puppen-Kernkeule (Cordyceps militaris), der so heißt, weil er auf toten Puppen von Schmetterlingen wächst.

Ein Vergleich der elektrischen Signalspitzen in Stärke und Abständen zeigte dabei, dass jeder Pilz ein eigenes Muster aufwies. Die Dauer der elektrischen Aktivität variiert zwischen einer und 21 Stunden, die Amplituden zwischen 0,03 und 2,1 Millivolt. Solche Spannungsspitzen, die man auch Spikes nennt, werden als Hauptmerkmal von Neuronen bezeichnet. Ist das nun Zufall?

Ist es schon Sprache oder nur Informationsübertragung?

Adamatzky wiegt ab: Die Ähnlichkeit könnte zwar nur phänomenologisch sein, schreibt er im Fachmagazin der Royal Society, aber sie deute doch immerhin auf die Möglichkeit hin, dass Myzel-Netzwerke Informationen über die Interaktion von Spikes in einer Art und Weise umwandeln, die der von Neuronen ähnlich sind. Er wollte dann noch wissen, ob es irgendwelche besonderen Muster innerhalb der elektrischen Signalspitzen gab – und er verglich sie mit denen von menschlicher Sprache. Als er die Informatik, die Mathematik und die Linguistik zur Analyse dazu nahm, kam er zu dem Schluss: Nimmt man an, dass die Signale Silben und Wörtern entsprechen, ähnelten die komplexen Muster denen von Sätzen der menschlichen Sprache. Die Verteilung der Wortlängen stimmt nämlich in etwa überein

Die Anordnung der Signalspitzen erscheint nicht zufällig, merkte Adamatzky an: So haben manche der Pilze das beachtliche Vokabular von bis zu 50 Wörtern; das Kernvokabular bestehe allerdings aus nicht mehr als 15 bis 20 Wörtern. Die besten Rhetoriker sind laut der Studie die Gemeinen Spaltblättlinge; sie formen komplexe Sätze. Auch die Puppen-Kernkeule ist sprachentechnisch ziemlich weit.

Natürlich gibt es auch Wissenschaftler, die an den Forschungsergebnissen zweifeln. Der britische Wissenschaftler Daniel Bebber vermutet, dass die rhythmischen Muster der Signalübertragung eher denen ähneln, die beim pulsierenden Nährstofftransport  von Pilzen entstehen. Die Interpretation von „Sprache“ sei ein wenig überschwänglich, moniert er: Es brauche noch etliche Studien, bis man Pilze bei Google Translate finde, meint er.

Auch Adamatzky ist selbstkritisch: Er glaubt nicht so schnell an einen Übersetzungserfolg. Bei Pilzen gebe es noch viel zu forschen, man stehe ganz am Anfang: „Wir haben es ja noch nicht mal geschafft, die Verständigung von Katzen und Hunden zu entschlüsseln, obwohl wir seit Jahrhunderten mit ihnen leben.“

Ein brasilianischer Komponist mochte nicht so lange warten, bis die Wissenschaft endlich so weit ist: Er nutzte die elektrischen Impulse von Schleimpilzen für die Entstehung von Musik am Computer.

Quelle: Der Spiegel

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