verschimmeltes Brot© maerzkind / iStock / Getty Images Plus
Schimmel ist nicht nur für Brote gefährlich, sondern auch für Corona-Patienten.

Pandemie | Mukormykose

GRUSEL-PILZ SETZT SICH AUF CORONA-INFEKTION – UND TÖTET

Der Regisseur eines Horror-Films könnte sie nicht besser erfinden: Schimmelpilze dringen in den Körper ein, vermehren sich dort, fressen sich durch alle Gewebsarten, bis sie schließlich im Gehirn ankommen und zum Tod führen. Die Krankheit greift gerade in Indien im Zuge der Corona-Pandemie um sich.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Das Immunsystem ist durch COVID-19 geschwächt, gleichzeitig bereiten ihr falsch eingenommene Medikamente den Weg: Die Mukormykose, eigentlich eine seltene Krankheit, sattelt sich auf den von der Pandemie geschwächten Körper. Der hochgefährliche Pilz dringt bei den meisten zuerst in die Nasennebenhöhlen ein, frisst sich von dort aus innerhalb kürzester Zeit durch Knochen, Nerven und Blutgefäße. 

Rund 5000 Fälle in Indien gemeldet

Verursacht wird die Mukormykose durch Schimmelpilze, die vor allem im Boden wachsen, wo sie totes, organisches Material zersetzen, Holz etwa. Die Sporen der Pilze werden mit dem Wind weitergetragen; werden sie eingeatmet oder gelangen sie in eine Wunde, kann es zu Infektionen kommen. Dies passiert allerdings in der Regel nur Menschen mit eingeschränktem Immunsystem oder schlecht eingestelltem Diabetes. Ohne Behandlung führt eine solche Mykose innerhalb kurzer Zeit zum Tod. Gerade in Indien infizieren sich viele damit. Grund dafür ist falsch dosiertes Cortison – eingenommen aus Angst vor Corona – und Unwissen über die Gefahr.

Noch fehlen Zahlen, wie viele Menschen in Indien genau betroffen sind, bekannt sind rund 5000 Fälle. Und das Problem betrifft nicht nur Indien: Auch Pakistan, Bangladesch und Bhutan haben das gleiche Problem. Klar aber ist: Die Medikamente gegen Mukormykose werden knapp. Oliver Cornely, Leiter des Europäischen Exzellenzzentrums für Invasive Pilzinfektionen an der Universitätsmedizin Köln, betreibt das weltweit einzige Register für seltene Pilzerkrankungen. Er schätzt, dass in Deutschland rund hundert Fälle pro Jahr auftreten; unter COVID-Erkrankten ist ihm hierzulande jedoch kein einziger Fall bekannt.

Dass die Erkrankung Indien so sehr heimsucht, hat mehrere Gründe. Pilze kommen in der Region zum einen wahrscheinlich häufiger vor. Zum anderen wohnen dort viele Menschen mit einem unkontrollierten Diabetes; dieser verschafft dem Pilz Zutritt zum Körper. „Bei einem hohen Blutzuckerspiegel wird auf der Oberfläche der Schleimhautzellen in den Atemwegen ein Rezeptor exprimiert, an den sich der Pilz anheften kann.“, sagt Cornely. „Von dort aus fängt er an zu wachsen und frisst sich durch alles durch.“

Cortison als Wegbereiter

Hauptverursacher ist aktuell jedoch nicht der Diabetes. Sondern ein Medikament, das in niedriger Dosierung bei einer COVID-19-Erkrankung Abhilfe schafft: Cortison. In Deutschland kommt es erst zum Einsatz, wenn ein Patient einen ausgeprägten Sauerstoffmangel hat. „In Indien hat aber nicht jeder einen Arzt, der ihm das sagen kann“, erklärt Cornely. 

Auch kann man das Mittel dort in kleinen Läden einfach so kaufen – ohne Anleitung. Was dabei viele nicht wissen; Cortison hat eine im Zusammenhang mit der Pilzerkrankung gefährliche Nebenwirkung: Es steigert den Blutzuckerspiegel. Gleichzeitig reguliert es das Immunsystem herunter. Dadurch bereitet es, in zu großen Mengen genommen, den Pilzsporen den Weg in den Körper.

Die Therapie ist aufwendig, die Medikamente werden knapp. Zumal es gilt, schnellstmöglich zu handeln, bevor der Pilz das Gehirn erreicht. Er wächst nämlich vollkommen schmerzlos, da er die Nerven, die er erreicht, einfach zerstört. „Mir hat ein Patient erzählt, dass er morgens aufgewacht ist und auf einem Auge auf einmal blind war. Sein Sehnerv war zerstört“, erinnert sich Cornely.

Eigentlich ist ein Team aus Hals-Nasen-Ohren-Chirurgen, Augenspezialisten und Neurologen notwendig, um die Betroffenen zu behandeln. Doch ein solches medizinisches Spezialteam gibt es gerade in ländlichen Regionen nicht. Außerdem ist die schiere Anzahl der Patienten zu viel, um mehrere dieser aufwändigen Operationen pro Woche zu bewerkstelligen: „Das kann keine Klink mal eben zusätzlich bewältigen, nirgendwo“, sagt Cornely. 

Hinzu kommt: Die Mukormykose ist „nur“ eine kleine Epidemie, die aus der großen entstanden ist. Allein am Donnerstag vergangener Woche lag die Anzahl an SARS-CoV-2-Infektionen in Indien bei 250 000, die Anzahl der Todesfälle bei mehr als 4000. 

Quelle: www.spiegel.de
 

×