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Intelligenz

MESSBAR ODER NICHT?!

Intelligenz ist die Summe der kognitiven Fähigkeiten – darüber herrscht Einigkeit. Doch wie entstehen diese Fähigkeiten, wie misst man sie, wie beeinflussen sie unser Leben? Auf diese Fragen sucht die Forschung seit über 100 Jahren Antworten.

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Fragt man Menschen danach, was sie mit Intelligenz assoziieren, wird man Antworten wie „schnelle Auffassungsgabe“, „ist schlau“ oder „weiß viel“ erhalten. Das zeigt, dass jeder zwar eine Vorstellung davon hat, was Intelligenz ist und dass es etwas mit geistigen Fähigkeiten zu tun hat. Es zeigt aber auch, wie schwammig der Begriff eigentlich ist.

Intuitiv Probleme lösen Intelligenz bezeichnet die Fähigkeit, Neues schnell verarbeiten zu können. Das heißt, je intelligenter ein Mensch ist, desto einfacher und rascher findet er Lösungen für unbekannte Probleme. Intelligenz hat daher also zuerst einmal nichts mit Erfahrung oder antrainiertem Wissen zu tun. Sie kann aber sehr wohl durch Lernen beeinflusst werden. Das „Denkvermögen“ ist aber keine Erfindung unserer Zeit. Philosophische Auseinandersetzungen mit Denken und Verstand gab es in allen Hochkulturen seit der Antike. Doch erst Anfang des 19. Jahrhunderts versuchte man, dieses Denkvermögen als „Intelligenz“ wissenschaftlich zu messen. Dabei wird die Forschung des französischen Pädagogen Alfred Binet als der Beginn der heutigen Intelligenzforschung gesehen.

Erster Intelligenztest 1905 veröffentlichte Binet zusammen mit seinem Kollegen Théodore Simon einen Test mit 30 nach Schweregrad gestaffelten Aufgaben in den Bereichen Logik, Lösen von Alltagsproblemen und Gedächtnisspanne. Den Durchschnittswert bildete dabei das „Grundalter“, in dem alle Aufgaben richtig gelöst wurden, und das mit dem Lebensalter nicht unbedingt korrelieren musste. Mit jeder bewältigten schwereren Aufgabe einer höheren Altersklasse wurde zum „Grundalter“ ein bestimmter Faktor hinzu gezählt. Heraus kam dann das „Intelligenzalter“.

Allerdings konnte dieser Test nur bis zu einem Alter von 15 Jahren durchgeführt werden, danach konnte Binet keine altersspezifischen Aufgaben mehr finden. Er postulierte daher, dass die Entwicklung der Intelligenz mit 15 Jahren abgeschlossen sei. Der „Binet-Simon-Test“ ist heute noch Grundlage für alle Intelligenztests. Mittlerweile ermittelt man aber einen Intelligenzquotienten. Dabei geht man davon aus, dass die Intelligenz in der Bevölkerung normal verteilt ist. Diese Normalverteilung beziffert man mit 100. Ein IQ unter 100 ist daher unter-, einer über 100 überdurchschnittlich.

 g-Faktor nach Spearman Dem britischen Psychologen Charles Spearman fiel 1923 bei einer Untersuchung verschiedener Intelligenztests etwas Eigenartiges auf: Wenn die einzelnen Testmodule auch unterschiedlich gut beantwortet wurden, so korrelierten sie doch miteinander. Wer in einigen Testmodulen überdurchschnittlich gut abschnitt, der schnitt auch im ganzen Test eher gut ab. Andersherum waren Probanden, die einzelne Testblöcke unterdurchschnittlich gut beantworteten, im ganzen Test eher schlecht. Die Korrelation war zwar gering, jedoch signifikant genug, dass Spearman daraus den Schluss zog, dass es einen übergeordneten Intelligenzfaktor geben müsse. Er nannte diesen Faktor den Generalfaktor und begründete damit die Faktorentheorie in der Intelligenzforschung.

Hierarchie der Faktoren Spearmans Theorie wurde weiterentwickelt. So entstanden Modelle, die davon ausgingen, dass einzelne kognitive Leistungen zwar spezifische Intelligenzfaktoren darstellten, sie alle aber von dem übergeordneten Generalfaktor begrenzt würden. Der Psychologe Raymond Bernard Cattell entwickelte 1971 eine spezielle Faktorentheorie. Er unterschied die genetisch bedingte „fluide Intelligenz“ von der erworbenen „kristallisierten Intelligenz“.

Während die fluide Intelligenz Problemlösung, Auffassungsgabe und Situationsorientierung umfasst, basiert die „kristallisierte Intelligenz“ auf der Erfahrung und dem angeeigneten Wissen. Somit konnte der Begriff differenzierter betrachtet werden, jedoch wurde dadurch auch eine Diskussion angeheizt, die bis heute eines der Hauptprobleme der Intelligenzforschung darstellt.

„Nature“ oder „Nurture“? Ist Intelligenz angeboren oder erworben? Kann Intelligenz durch das Milieu beeinflusst werden? Das Thema wird in Fachkreisen hitzig diskutiert, denn je nachdem, wie Studienergebnisse interpretiert werden, kann sich das unmittelbar auf die Lebenssituation der Menschen auswirken. Das extremste Beispiel dafür waren die Rassegesetze der Nationalsozialisten, die übrigens von führenden Psychologen wie Cattell und Spearman unterstützt wurden. Spätere Untersuchungen in den USA schienen zu zeigen, dass bestimmte ethnische Gruppen und Mitglieder sozial niedrigerer Schichten weniger intelligent wären. Auch dies gefährliche Ergebnisse, die diskriminierend interpretiert wurden.

»Wiederholt man Intelligenztests, wird man niemals dasselbe Ergebnis bekommen.«

Tatsächlich ist Intelligenz zu einem geringen Teil erblich, sie kann jedoch durch äußere Faktoren signifikant beeinflusst werden. Diese Erkenntnis führte dazu, Frühförderungsprogramme einzuführen, um die Chancengleichheit zu erhöhen. Bewiesen ist mittlerweile auch, dass ein Jodmangel in der Schwangerschaft intelligenzmindernd wirkt, ebenso wie andere Risikofaktoren, so zum Beispiel Alkohol oder Drogen. Doch die Frage nach Genetik oder Milieu trennt die Forscher bis heute in zwei Lager.

Mit Vorsicht genießen Wie Denken genau funktioniert, können wir bisher nur im Ansatz verstehen. Dazu kommt, dass Intelligenz etwas sehr Individuelles ist. Die kognitiven Fähigkeiten sind darüber hinaus auch noch von der jeweiligen Tagesform abhängig. Wiederholt man Intelligenztests, wird man niemals dasselbe Ergebnis bekommen. Das ist jedoch eine Grundvoraussetzung für hieb- und stichfeste wissenschaftliche Ergebnisse.

Die Psychometrie, also die Wissenschaft des psychologischen Messens, wird immer eine „weiche“ Wissenschaft bleiben. Unter diesem Gesichtspunkt muss man auch die Intelligenzforschung kritisch sehen. Gleiches gilt damit auch für Intelligenztests. Sie werden heute häufig durchgeführt, um die Eignung von Menschen für einen bestimmten Beruf zu testen. Dabei decken sie unterschiedliche Arten von kognitiven Fähigkeiten ab.

Meist werden das logische Denken, die sprachlichen Fähigkeiten, das Abstraktionsvermögen und manchmal auch die praktische Intelligenz getestet. Allerdings gibt es nicht den „einen“ Intelligenztest, vielmehr existiert eine Fülle von Tests und auch der Begriff „IQ“ ist daher nicht als Maßstab zu sehen. Tests können also nur eine Tendenz widerspiegeln, als Bewerbungsinstrument sind sie überhaupt nur dann zugelassen, wenn standardisierte Tests unter Aufsicht eines Psychologen durchgeführt werden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 02/14 ab Seite 126.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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