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Marketing

MAL WAS ANDERES

Ein Apothekenbesuch auf einer Durchreise machte kürzlich aus mir einen echten Fan. Was auf den ersten Blick uneigennützig und freigiebig schien, war genau genommen sehr pfiffiges Marketing.

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Das kennen Sie bestimmt: Sie starten zu einer Reise, ganz gleich ob kurz oder lang, und werden dieses unangenehme Gefühl im Bauch nicht los: „Irgend etwas habe ich bestimmt vergessen.“ Neulich im Zug – ich sollte einige Tage geschäftlich unterwegs sein – ging es mir genau so. Aber kaum lasse ich mich auf meinem reservierten Sitz im Großraumwagen nieder, fällt mir es mir siedend heiß ein: Ich habe meine Gesichtscreme vergessen. Blöde. Denn Waschen ohne anschließendes Eincremen mag meine Haut gar nicht. Was tun?

Apothekenstandort: Bahnhof In einer kleineren Stadt muss ich umsteigen – eine halbe Stunde Aufenthalt; die Gelegenheit, noch rasch meine Creme zu kaufen? Ich mache mich auf den Weg raus aus dem Bahnhof. Eine Kneipe, eine Imbissbude, eine Spielhalle, aber keine Drogerie zu sehen. Alles ziemlich trist.

Doch an der nächsten Ecke: eine Apotheke! Also rasch hinein und die Situation geschildert. Als Kaufwunsch nenne ich „eine kleine Tube Gesichtscreme für trockene, empfindliche Haut bitte“. Der Apotheker hört aufmerksam zu, verschwindet ins Hintere der Apotheke – und bringt mir vier Gratisproben mit den Worten „Wird das reichen für Ihre Kurzreise?“

Kundin begeistert Ich bin baff – er will meinen Fehler dadurch gutmachen, dass er mir Creme schenkt? Damit habe ich nicht gerechnet. Schließlich hatte ich ja sehr deutlich gesagt, dass ich auf der Durchreise sei und damit eher keine potenzielle „Alltagskundin“. Aber er meint es ernst und so bedanke ich mich begeistert und erwerbe für den Rest der Fahrt noch ein paar Weingummis. Ich verlasse die Apotheke als Fan. Und wann immer ich nun wieder mal einen etwas längeren Umsteigeaufenthalt in dieser Stadt habe, schaue ich dort vorbei – irgendeine Kleinigkeit gibt es immer zu besorgen.

Problemlösung im Vordergrund Nun kann die Moral der Geschichte natürlich nicht lauten „Verschenken Sie lieber Gesichtscreme, als sie zu verkaufen“. Der Kern ist ein anderer: Dieser Apotheker hat sich als Problemlöser verstanden und so gehandelt. Er hat sich nicht an meinem vordergründig geäußerten Kaufwunsch „Gesichtscreme“ orientiert. Er hat vielmehr quasi zwischen den Zeilen den Wunsch erkannt: „Ich brauche eine Zwischenlösung für mein Problem „unterwegs ohne Creme““.

Fifty-fifty Für diese Zwischenlösung wäre der Verkauf einer normalen Packungsgröße ‚der Standard‘ gewesen. Da es in jedem Fall eine Marke gewesen wäre, die ich sonst nicht verwende, hätte er damit eine 50:50-Chance gehabt: Sie hätte mir gefallen können und er hätte mich möglicherweise als zukünftige Kundin für diese Creme gewonnen. Sie hätte mir aber auch missfallen können – und ich hätte diesen Einkauf als echten Fehlkauf mit den entsprechenden begleitenden negativen Gefühlen in Erinnerung behalten.

Win-win Durch das Schenken der Produktproben konnte er nur gewinnen: Mit der Geste des Schenkens erfreut und begeistert er mich und die Creme löst für einige Tage mein Problem. Wenn sie mir für den längeren Gebrauch nicht gefällt, bleibt die Erinnerung an eine tolle Geschenksituation. Wenn sie mir gefällt, kommt zusätzlich der nächste Creme-Einkauf dazu. Es kann sich also lohnen, im Kundengespräch genau zuzuhören, dabei den Kern einer Situation zu erfassen und auch mal eine ungewöhnliche, überraschende Lösung zu präsentieren.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/14 auf Seite 30.

Verena Gertz, Marketingfachfrau

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