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Politik

LIEFERENGPÄSSE BEI MEDIKAMENTEN

Öffentliche Apotheken und vor allem Krankenhausapotheken kämpfen immer wieder mit Arzneimittelengpässen. Die Ursachen sind vielfältig, eine Lösung der Probleme ist deshalb schwierig.

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Während öffentliche Apotheken vor allem mit der Verfügbarkeit von Rabattarzneimitteln kämpfen, sind bis zu einem Prozent der von Krankenhausapotheken zum Teil dringend benötigten Arzneimittel vorübergehend nicht lieferfähig, darunter Zytostatika, Spezialpräparate für die Lungenreifung Frühgeborener und notfallmäßig eingesetzte Kreislaufmittel. Meist gelingt es zwar, auf vergleichbare Arzneimittel auszuweichen oder bei kurzfristigen Lieferengpässen durch entsprechende Lagerhaltung Vorsorge zu treffen.

Ursachen Diese sind so vielfältig wie die betroffenen Arzneimittel. In Frage kommen insbesondere Produktions- und Qualitätsprobleme, komplizierte und zeitaufwändige biotechnologische Herstellungsverfahren für Wirkstoffe, Lieferengpässe bei Rohstoffzulieferern auf dem Weltmarkt, nicht ausreichende Produktionskapazitäten und Bündelung von Produktionsstandorten, Fehleinschätzung in der Produktionsplanung, Nachfrageschwankungen, Reduzierung der Lagerbestände, Rabattverträge und zunehmender Preisdruck sowie Produktionseinstellung oder Marktrücknahme als unternehmerische Entscheidung.

Was tun? Grundsätzlich ist es Apotheken gemäß den Bestimmungen des § 73 des Arzneimittelgesetzes gestattet, Versorgungslücken durch Einzelimport zu schließen. Einzelimport durch Apotheken von hier nicht zugelassenen oder registrierten Arzneimittel ist dann statthaft, wenn sie sich im Herkunftsland rechtmäßig im Verkehr befinden, nur in geringen Mengen und auf besondere Bestellung einzelner Personen bezogen werden und im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis abgegeben werden.

Das Verbringen aus der Europäischen Union bedarf einer Verschreibung, wenn das Arzneimittel einen nach deutschem Recht verschreibungspflichtigen Drittstaaten hingegen muss grundsätzlich eine ärztliche Verschreibung vorliegen, und es dürfen hier zu Lande keine Medikamente mit demselben Wirkstoff und vergleichbarer Wirkstärke zur Verfügung stehen. Da Arzneimittel jedoch in der Regel für den Weltmarkt produziert werden und bei Lieferengpässen meist die weltweite Lieferkette betroffen ist, gelingt es nicht immer, die Versorgungslücke zu schließen. Dann bleibt bei lebenswichtigen und nicht austauschbaren Arzneimitteln nur eine Kontingentierung.

Wie im Fall des längerfristigen, herstellungsbedingten Lieferengpasses des pegylierten liposomalen Doxorubicins Caelyx, über den ein Rote Hand Brief die Fachkreise bereits Mitte 2011 informierte. Vorhandene Bestände sollen ausschließlich für bereits begonnene Therapien verwendet und keine neuen Patienten mit dem Zytostatikum behandelt werden. Zwar gibt es im Arzneimittelgesetz einen normierten Auftrag zur Sicherstellung einer angemessenen und kontinuierlichen Bereitstellung von in Deutschland in den Verkehr gebrachten Arzneimitteln. Doch dieser Auftrag geht ins Leere, wenn − wie in diesem Fall − die Störung der Verfügbarkeit eines Arzneimittels außerhalb des Verantwortungsbereichs des pharmazeutischen Unternehmers liegt. Zudem sind den Behörden die Hände gebunden.

Zwar sah der Entwurf eines Zweiten Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (16. AMG-Novelle) eine Befugnis für zuständige Behörden vor, bei einem Versorgungsmangel Anordnungen zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten und kontinuierlichen Bereitstellung von Arzneimitteln zu erlassen. Doch wurde sie im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens wieder gestrichen.

Zu viele Fragen konnten wegen der Eilbedürftigkeit der 16. Novelle in der Kürze der Zeit nicht geklärt werden. Denn die Regelung soll nicht für jeden Lieferengpass gelten, sondern nur für erhebliche Versorgungsmängel und nur bei schwerwiegenden Erkrankungen. Gegebenenfalls soll die angedachte Regelung in einem späteren Gesetzgebungsverfahren wieder aufgegriffen werden.

Frühe Nutzenbewertung Diese führte in der jüngeren Vergangenheit in Einzelfällen zudem dazu, dass pharmazeutische Unternehmer neue Arzneimittel für andere EU-Länder ausliefern, nicht aber hier zu Lande auf den Markt bringen, weil in Deutschland nach ihrer Auffassung die Auswahl der Vergleichstherapie eine nicht ausreichende Berücksichtigung des Nutzens und − daraus resultierend − einen nicht wirtschaftlichen Erstattungspreis zur Folge hätte.

So geschehen bei dem neuen oralen Antidiabetikum, dem Dipeptidylpeptidasehemmer Linagliptin (Trajenta ®). Bis auf weiteres vom deutschen Markt genommen wurde zudem die Blutdrucksenkerkombination Rasilamlo®, weil im Zuge der Nutzenbewertung Daten gefordert wurden, die im Rahmen der Zulassungsstudien nicht erhoben wurden. Neue Probleme drohen aufgrund der EU-Fälschungsrichtlinie. Ab Juli 2013 ist ein neues Importzertifikat für Wirkstoffe mit erweitertem Inhalt erforderlich, das wichtige Zulieferländer wie China und Indien nicht ausstellen wollen. Dreiviertel der benötigten Wirkstoffe kommen aus Drittstaaten.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/12 ab Seite 94.

Dr. Michael Binger, Hessisches Sozialministerium

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