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Krankheiten berühmter Persönlichkeiten

LIEBER KRANK REGIEREN ALS GAR NICHT

Winston Churchill gilt als bedeutendster britischer Staatsmann des 20. Jahrhunderts. Und als Inbegriff zäher und unbezwingbarer Robustheit. Tatsächlich war er in entscheidenden Stunden jedoch sehr krank.

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Und zwar kränker als sein Doktor zugeben wollte oder durfte. Es war die Zeit des Zweiten Weltkrieges. England wurde von einer deutschen Invasion bedroht und benötigte eine politische Führung, die hundertprozentig bei Kräften war.

Mit Churchills Vorgänger, dem krebskranken Premierminister Neville Chamberlain , hatte man diesbezüglich negative Erfahrungen gemacht. Deshalb beschloss das Parlament, dem neuen Staatschef Winston Churchill (geboren am 30. November 1874 in Woodstock), der zur Rettung Englands berufen wurde, einen „medizinischen Aufpasser“ zu schicken: Dr. Charles McMoran, Präsident des Royal College of Physicans.

Dieser betreute seinen „Patienten“ im Regierungssitz Downing Street 10, auf dem Privatsitz Chartwell House, in Washington (Dezember 1941) sowie auf den großen Konferenzen von Teheran (November / Dezember 1943), Jalta (Februar 1945) und Potsdam (Juli / August 1945).

Auf über 250 000 Reisekilometern war der Leibarzt an Churchills Seite. Die beiden Männer, die anfangs nur von Amts wegen zusammen waren, wurden mit der Zeit zu guten Freunden, McMoran letztlich sogar zu einem von Churchills engsten Vertrauten – auch in politischen Dingen.

Schwindende Gesundheit Churchill gehörte zu den politischen Führern, die förmlich aufblühen, wenn politische Krisen größer werden – und das sah man ihm anfangs auch körperlich an. Zwar rauchte Churchill viel, trank gerne Whiskey, körperliche Ertüchtigung lehnte er geflissentlich ab („no sports“), statt dessen pflegte er gutes Essen („Man soll dem Leib etwas Gutes bieten, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen“), aber außer gelegentlicher Behandlung der resultierenden Dyspepsie hatte McMoran zunächst recht wenig zu tun – nur allmorgendlich seinem fülligen „Patienten“ den Puls zu fühlen.

»Man soll dem Leib etwas Gutes bieten, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen.«

Dies änderte sich im Dezember 1941. Bei einem Amerika-Aufenthalt (Churchill traf den amerikanischen Präsidenten Roosevelt im Weißen Haus, Japan hatte inzwischen Pearl Harbor bombardiert, Hitler den USA den Krieg erklärt) erlitt der Premier beim Öffnen eines verhakten Fensters eine Herzattacke. Der herbeiberufene Dr. McMoran erkannte zwar die Koronarinsuffizienz sofort und hätte seinem Patienten nach den Geboten der Schulmedizin unmittelbar sechs Wochen Bettruhe verordnen müssen.

Um der Welt jedoch „keinen Invaliden mit krankem Herzen und ungewisser Zukunft“ zu präsentieren und aus Furcht vor „verhängnisvollen Folgen“ für den damals kritischen Kriegsverlauf, verheimlichte er jedoch die Diagnose sowohl dem Patienten selbst wie der Regierung. Und so hetzte der herzkranke Churchill weiter über den Erdball.

VORSCHAU
In unserer Serie „Krankheiten berühmter Persönlichkeiten“ stellen wir Ihnen demnächst folgenden Menschen vor:
+ Franz Kafka

Im Januar 1943 kehrte er von einer Konferenz in Casablanca mit einer Lungenentzündung nach London zurück. McMoran verabreichte Sulfonamide – und die Hatz um den Globus ging weiter. Besorgniserregender Kräfteschwund machte sich erstmals auf der Konferenz von Teheran (1943) bemerkbar. Churchill sagte nach seinen Verhandlungen mit dem amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt (1882 bis 1945) und dem russischen Diktator Josef Stalin (1878 bis 1953) zu McMoran: „Ich habe das Gefühl, dass ich völlig verbraucht bin.“ Kein Wunder: Er hatte sich erneut eine Lungenentzündung zugezogen, klagte über Herzrasen und zunehmende Gedächtnislücken.

Die Hinweise auf eine fortschreitende Arteriosklerose mehrten sich, zudem zeigten sich deutliche Zeichen einer Depression. Außer Sulfonamiden, dem Lieblingsmedikament McMorens, erhielt Churchill jedoch keine Therapie. Der Regierung telegrafierte der Arzt nur: „Der Premierminister musste einige Tage mit einer Erkältung das Bett hüten.“ In klarer Bagatellisierungsstrategie erwähnte er Herzinsuffizienz und Depression mit keinem Wort.

In Jalta (auf der Krim, Februar 1945), wo sich die siegreichen Staatsführer Roosevelt, Stalin und Churchill anschickten, die neue Friedensordnung zu begründen, wussten nur die jeweiligen Leibärzte, welche die insgesamt 700 Mann starke Delegation begleiteten, wie schlecht es den drei Staatschefs tatsächlich ging. Schon vor der Konferenz wirkte Churchill fahrig, lustlos, unkonzentriert und verbraucht. McMoran, mittlerweile als Lord Moran in den Adelsstand erhoben, schrieb in seinem 1966 nach Churchills Tod veröffentlichten Buch „Der Kampf ums Überleben“: „Er hatte Probleme, den Verhandlungen zu folgen.“

Der Wille zur Macht Wenige Monate nach Beendigung des zweiten Weltkrieges, noch während der Potsdamer Konferenz, wählten die erschöpften Briten ihren verbrauchten Retter ab und beriefen den Sozialisten Clement Attlee (1883 bis 1967) an seine Stelle. Churchill war tief gekränkt, brach in Tränen aus und seine Depressionen verschlimmerten sich, berichtet McMoran.

Im August 1949 erlitt Churchill einen ersten leichten Schlaganfall, etwas später kam es zu einer Hirnschädigung (Aphasie), die dem scharfzüngigen Redner kurzzeitig das Sprachvermögen raubte. Erstaunlicherweise muss dies nochmals seine Kräfte und seinen Machtwillen forciert haben, denn im Oktober 1951 schaffte er die Rückkehr an die Macht, seine Wiederwahl als Premierminister.

Doch sein Körper war der Bürde des Amtes nicht mehr gewachsen. Im Februar 1952 erlitt er einen weiteren Schlaganfall, von Lord Moran als „gewisse Labilität des Hirnkreislaufes“ bagatellisiert, im Juni 1953 folgte ein weiterer, stärkerer, der ihn zum vorübergehenden Rückzug aus den Regierungsgeschäften zwang. Er war teilweise gelähmt, hatte Sprachschwierigkeiten. Doch wieder erfuhren die Briten nicht die volle Wahrheit über seinen Gesundheitszustand. Zwei Jahre später, 1955, drängten ihn seine Parteifreunde schließlich doch zum vorzeitigen Rücktritt.

Das letzte Dämmer-Jahrzehnt In den letzten zehn Jahren vor seinem Tod, der am 24. Januar 1965 eintrat, dämmerte Churchill diesem mehr oder weniger entgegen, hatte weitere Schlaganfälle, die ihm Sprache und schließlich auch Erinnerung raubten. „Ich bin ein Wrack, das nur noch atmet und ausscheidet“, erkannte er in einer seiner selbst als „black dog“ bezeichneten häufigen Depressionen vor seinem Tod. Er wurde 91 Jahre alt.

Eines soll jedoch nicht unerwähnt bleiben: Uns in Erinnerung ist Winston Churchill vor allem als großer Staatsmann. Dabei war er aber auch ein glänzender Redner und begnadeter Schriftsteller. 1953 – zu Zeiten seines zweiten Premier-Amtes – erhielt er für seine Meisterschaft in der historischen und biographischen Darstellung sogar den Nobelpreis für Literatur.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/15 ab Seite 144.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Fachjournalistin

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