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Schmerz

LEBENSWICHTIGES WARNSIGNAL

Sie gehören zu den unschönen Begleiterscheinungen des Lebens – entweder treten sie als kurzfristiges Symptom auf oder besitzen in chronischer Form einen Krankheitswert.

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Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit tatsächlicher oder drohender Gewebeschädigung einhergeht oder von betroffenen Personen so beschrieben wird, als wäre eine solche Gewebeschädigung die Ursache. So lautet die Definition der “International Association for the Study of Pain”.

Akute Schmerzen haben eine notwendige Schutzfunktion und signalisieren dem Organismus Schädigungen und zu hohe Beanspruchungen. Bestehen sie jedoch ohne weitere Auslöser fort, haben sie ihre Warnfunktion verloren. In Deutschland leiden mehr als zwölf Millionen Menschen unter chronischen Schmerzen. Für die Patienten ist die Situation sehr belastend. Oft steuern die Schmerzen das Verhalten und können in Depressionen oder sogar im Suizid enden.

Schmerzleitung Wenn Reize Schwellenwerte überschreiten, treten Schmerzen auf. Sie werden über das nozizeptive System des Organismus weitergegeben. Die Impulse gelangen über das Rückenmark in die verschiedenen Gehirnbereiche, wo sie registriert und lokalisiert werden. Die Nozizeption beschreibt die Aktivität der Nervenzellen, hingegen stellt der Schmerz die bewusste Erlebenskomponente dar. In der Haut, in Gelenken, Muskeln und Organen befinden sich zahlreiche Nozizeptoren .

Man unterscheidet solche für mechanische Reize, chemosensible Nozizeptoren, die auf chemische Substanzen reagieren, und Thermo-Nozizeptoren, die bei Temperaturanstieg aktiviert werden. Dabei liegt die Schmerzschwelle bei etwa 45 °C. Nozizeptoren, die nur auf eine Art der Einwirkung reagieren, bezeichnet man als unimodal. Polymodale Sinneszellen springen auf verschiedene Informationen an. Zum Beispiel werden die meisten Hautrezeptoren durch chemische und mechanische Auslöser aktiviert.

GATE-CONTROL-THEORIE
Ronald Melzak und Patrick Wall entwickelten diese Theorie in den 1960er-Jahren. Sie erklärt, warum nicht alle Schmerzsignale das Gehirn erreichen. Im Hinterhorn des Rückenmarks soll sich ein Nervenmechanismus befinden, der als Tor fungiert. Dadurch kann die Schmerzweitergabe blockiert oder ermöglicht werden. Steigen Signale über die feinen Nervenfasern nach oben, wird das Tor geöffnet. Bei einer Aktivität der dickeren Fasern oder bei vom Hirn kommenden Impulsen bleibt es verschlossen. Nicht-schmerzhafte Reizungen (z. B. eine Tastberührung) verlaufen über die dicken Fasern: Das Tor bleibt zu. Bei schmerzhaften Stimulationen wie Verbrennungen erfolgt die Weiterleitung über die dünnen Fasern und das Tor ist für die Signale durchlässig. Der Schmerz gelangt zum Gehirn und wird wahrgenommen.

Bei der Schmerzentstehung werden Substanzen aus den geschädigten Zellen abgesondert. Sie machen die Rezeptoren empfindlicher oder wirken schmerzerzeugend. Bradykinin ist die wichtigste schmerzauslösende Substanz. Bei Inflammationen liegen zusätzlich Entzündungsmediatoren wie Histamin und Prostaglandine vor. Ferner werden vermehrt Opioidrezeptoren gebildet, um Schmerzprozesse zu blockieren.

Der Körper verfügt auch über ein schmerzhemmendes System. Es verhindert die Reizweiterleitung im Rückenmark und Gehirn. Dies geschieht über Botenstoffe: Nervenzellen, die an der Schmerzhemmung beteiligt sind, setzen körpereigene Opioide (Endorphine) frei. Sie beeinflussen die Ausschüttung von Neurotransmittern, die eine Rolle bei der Reizleitung spielen.

Der Organismus kann ein Schmerzgedächtnis entwickeln, wenn Schmerzen über einen längeren Zeitraum bestehen und unbehandelt bleiben. Dieses fördert spontane Schmerzen, Allodynie (Reaktion durch Reize, die normalerweise keine Schmerzen verursachen) oder Hyperalgesie. Davon spricht man, wenn die Nozizeptoren derart sensibilisiert sind, dass die entzündeten Gewebebereiche eine übermäßige Empfindlichkeit aufweisen.

Zentrale Schmerzverarbeitung In den Spinalganglien des Rückenmarks liegen die Zellkörper der Nozizeptoren (erstes Neuron der Schmerzbahn). Glutamat und die Substanz P sind die Botenstoffe der Schmerzrezeptoren. Letzterer ist ein Neuropeptid, das durch die Erzeugung von Aktionspotenzialen freigesetzt wird. Er ist für die Entstehung von mittelstarken bis starken Schmerzen verantwortlich.

Der Zellkörper des zweiten Neurons der Schmerzbahn liegt im Hinterhorn des Rückenmarks. Zwei Arten von Nervenzellen sind hier für die Weiterleitung der Impulse zuständig: die zum Gehirn aufsteigenden Strangzellen und die Interneuronen, die an der Auslösung von Schutzreflexen beteiligt sind. Eine zusätzliche Funktion ist die Verschaltung mit hemmenden, absteigenden Bahnen aus dem Gehirn.

Die Axone der Strangzellen verlaufen durch das Rückenmark in die verschiedenen Hirnbereiche. Die Information trifft dort auf die Formatio reticularis. Von hier aus wird das Schmerzgeschehen in der gesamten Hirnrinde aktiviert. Besonders das so genannte periaquäduktale Grau, eine Ansammlung von Nervenzellkörpern, sendet absteigende, schmerzhemmende Impulse. Weitere beteiligte Gehirnbereiche sind der Hypothalamus und das limbische System.

Der Zellkörper des dritten Neurons befindet sich entweder in der Formatio reticularis, in den verschiedenen Kernen des Thalamus oder in den Colliculi superiores oder inferiores (Schaltstellen für optische beziehungsweise akustische Reflexe im Mittelhirn). Vom Thalamus aus verlaufen Axone dieser dritten Nervenzellen in die verschiedenen Kortexbereiche.

NICHT-MEDIKAMENTÖSE THERAPIE
Dazu gehören Verfahren wie Akupunktur oder Biofeedback-Methoden. Bei Letzterer wird der biologische Vorgang über eine apparative Einrichtung an den Patienten zurückgemeldet. Durch diese Information kann der Betroffene willentlich auf den Prozess einwirken. Biofeedback kann beispielsweise bei Migräne oder chronischen Rückenschmerzen erfolgreich angewendet werden. Häufig finden diese Verfahren in Kombination mit anderen Methoden wie Entspannungstrainings oder Verhaltenstherapien statt.

Eine wichtige Rolle spielen dabei der primäre und der sekundäre somatosensorische Kortex. Hier werden Dauer, Intensität und Ort des Schmerzreizes verarbeitet. Die Inselrinde, ein eingesenkter Abschnitt der Großhirnrinde, scheint vor allem für die Schmerzprojektion der Eingeweide zuständig zu sein. Zudem vermutet man eine Beteiligung am Schmerzgedächtnis. Motivationale und emotionale Aspekte des Schmerzprozesses laufen im Gyrus cinguli, einem Bestandteil des limbischen Systems, ab.

Vielfältige Formen Schmerzen können auf verschiedene Weise in Erscheinung treten: Chronische Schmerzen bestehen laufend und haben ihre Warnfunktion verloren. Die häufigsten Arten sind Kopf-, Gelenk- und Rückenschmerzen. Haben die Patienten etliche erfolglose Behandlungsversuche hinter sich, bezeichnet man dies als so genannte Schmerzkarriere. Der Schmerz verselbstständigt sich, sodass eine medikamentöse Therapie keinen Erfolg mehr hat. In diesen Fällen kann ein Schmerzmittelgebrauch leicht in einem Missbrauch enden, obwohl die Medikamente kaum Linderung für die Patienten bringen.

Übertragene Schmerzen werden durch die Fasern der Eingeweide aktivier. Dabei wird der Schmerz aus den inneren Organen in Bereiche der Körperoberfläche geleitet. Die Ursache ist eine Verschaltung über das Rückenmark. Projizierte Schmerzen Bei Reizung einer peripherem nozizeptiven Faser werden die Schmerzen in ihr Versorgungsgebiet projiziert – Beispiel Bandscheibenvorfall. Wird durch die Verschiebung der Bandscheibe ein schmerzleitender Nerv im Sakralmark gereizt, können die Schmerzen an Stellen wie an den Knöcheln oder im Unterschenkel auftreten. Phantomschmerzen treten meist nach Amputationen auf und fühlen sich an, als wären sie an der fehlenden Gliedmaße lokalisiert. Unfälle, Nervenerkrankungen oder chirurgische Eingriffe kommen als Auslöser in Betracht.

Medikamentöse Therapie Man unterscheidet bei den schmerzhemmenden Arzneimitteln die Gruppen der opioidartigen und nicht-opioidartigen Analgetika. Zur ersten Kategorie gehören die Opiate (Morphin; die Alkaloide des Opiums mit morphinartigem Effekt; synthetische Verbindungen wie Methadon). Außerdem wirken körpereigene Substanzen (Endorphine oder Enkephaline) an den Opioidrezeptoren. Häufig werden chronische Schmerzen (z. B. Tumorschmerzen) mit Opiaten behandelt. Dabei soll die für den Patienten optimale Dosis ermittelt werden, die in einer gleichbleibenden Konzentration über einen langen Zeitraum beibehalten werden kann.

Morphin kann oral, subkutan oder intravenös verabreicht werden. Eine sehr einfach zu handhabende Form ist die Therapie über Pflaster, die den Wirkstoff über die Haut an den Organismus abgeben. Auch über Infusionen mit implantierbaren, programmierbaren Pumpen kann die Gabe stattfinden. Opiate wirken auf das zentrale und das vegetative Nervensystem. Neben der schmerzhemmenden Wirkung haben sie Effekte wie Atemdepression, Verengung der Pupillen oder Hustenblockade.

Zur zweiten Gruppe gehören nahezu alle antipyretischen Analgetika. Sie sind sich in Bezug auf ihre chemische Struktur und auf ihre Wirkung ähnlich. Die meisten dieser Stoffe hemmen die Prostaglandinsynthese. Diese Gewebshormone sind an entzündlichen und schädigenden Prozessen beteiligt. Sie haben außerdem eine schmerzfördernde Wirkung. Nichtopioidhaltige Substanzen wirken nicht zentral, sondern vorwiegend in der Peripherie. Unerwünschte Begleiterscheinungen können beispielsweise Schädigungen an den Schleimhäuten des Magen-Darm-Traktes sein.

Lokalanästhetika wie Lidocain oder Procain blockieren die Bildung und Weiterleitung von Aktionspotentialen an schmerzleitenden Nervenfasern. Sie können auf die Haut aufgetragen werden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Wirkstoff vor dem Eintreten des Nervs in das Rückenmark zu applizieren. Die periphere Schmerzleitung wird dann unterbrochen.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/12 ab Seite 74.

Martina Görz, PTA und Fachjournalistin (FJS)

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