DSM-5
KRANKHEITEN DER SEELE
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Das DSM heißt mit vollem Namen Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders – auf Deutsch Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen – und wird seit 1952 in unregelmäßigen Abständen von der American Psychiatric Association herausgegeben. Die amerikanische Fachgesellschaft will damit Psychiatern und Ärzten ein Klassifikationssystem an die Hand geben, mit dem sie psychische Leiden akkurat und reproduzierbar diagnostizieren können.
Dabei wirkt das DSM weit über die USA hinaus, indem es auch das von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebene und weltweit anerkannte Diagnoseklassifikationssystem ICD (Internation Classification of Diseases) beeinflusst. Nach diesem System arbeiten und rechnen auch die Ärzte in Deutschland ab.
Beide Klassifikationssysteme definieren maßgeblich, welche Abweichungen als krankhaft einzustufen sind und wirken sich somit auf das Verständnis von psychischer Gesundheit in der Gesellschaft aus. Darüber hinaus beeinflussen Änderungen der Diagnosen nicht nur die medizinische Forschung, sondern ganz praktisch auch, wofür Krankenkassen die Therapiekosten übernehmen. Im Mai soll die überarbeitete fünfte Auflage des DSM – das DSM-5 – erscheinen.
Entwicklung Das DSM ist das Standardwerk zur Diagnose von psychischen Erkrankungen und Störungen. Jede Erkrankung wird darin detailliert beschrieben und es werden ihre Kriterien definiert. Ziel ist es, diese so sicher wie möglich zu machen und Fehldiagnosen zu vermeiden. Eine klare Diagnose ist Voraussetzung für eine zielgerichtete Therapie (wobei Therapien nicht Gegenstand des DSM sind).
Bis jetzt ist das DSM-IV maßgebend, das in seiner ersten Fassung 1994 veröffentlicht wurde und damit im Wesentlichen auf dem Kenntnisstand der 1980er-Jahre beruht. In den Jahren 1999 und 2000 begann die APA mit den Arbeiten für die fünfte Ausgabe. Ausgehend von einer Reihe von Konferenzen wurden eine Task Force und 13 Arbeitsgruppen gebildet. Sie hatten die Aufgabe, alle vorhandenen DSM-Diagnosen zu sichten und, falls nötig, entsprechend neuer Erkenntnisse zu überarbeiten.
Im Jahr 2010 stellte die APA den ersten Entwurf des neuen DSM-5 auf die eigens dafür eingerichtete Internetseite www.dsm5.org und rief die (Fach-)Öffentlichkeit zur Kommentierung auf. In den beiden darauffolgenden Jahren wurde der Prozess mit der jeweils überarbeiteten Version wiederholt. Insgesamt gingen mehr als 15 000 Kommentare von Ärzten, Wissenschaftlern, Patienten, Angehörigen und Patientenvertretern ein.
Um die Auswirkungen der überarbeiteten Kriterien auf die Praxis zu beurteilen, fanden parallel Untersuchungen mit etwa 3500 Patienten in medizinischen Zentren, kleineren Krankenhäusern sowie bei niedergelassenen Ärzten statt. Nach Abschluss der Arbeiten begutachteten die Task-Force sowie zwei dafür eingerichtete Komitees die finalen Entwürfe der Arbeitsgruppen für das neue DSM-5. Im Dezember 2012 verabschiedete die APA den Entwurf offiziell.
Das ist neu Laut APA bleibt die Anzahl der beschriebenen psychischen Erkrankungen im Vergleich zum DSM-IV in etwa konstant. Die Kapitelaufteilung wurde überarbeitet: In den vorderen findet man jetzt Erkrankungen, die früh im Leben auftreten wie Autismus-Spektrum-Störungen oder Lernstörungen, während neurokognitive Störungen.
Das DSM heißt mit vollem Namen Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders – auf Deutsch Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen – und wird seit 1952 in unregelmäßigen Abständen von der American Psychiatric Association (APA) herausgegeben. Die amerikanische Fachgesellschaft will damit Psychiatern und Ärzten ein Klassifikationssystem an die Hand geben, mit dem sie psychische Leiden akkurat und reproduzierbar diagnostizieren können.
Dabei wirkt das DSM weit über die USA hinaus, indem es auch das von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebene und weltweit anerkannte Diagnoseklassifikationssystem ICD (Internation Classification of Diseases) beeinflusst. Nach diesem System arbeiten und rechnen auch die Ärzte in Deutschland ab. Beide Klassifikationssysteme definieren maßgeblich, welche Abweichungen als krankhaft einzustufen sind und wirken sich somit auf das Verständnis von psychischer Gesundheit in der Gesellschaft aus. Darüber hinaus beeinflussen Änderungen der Diagnosen nicht nur die medizinische For-schung, sondern ganz praktisch auch, wofür Krankenkassen die Therapiekosten übernehmen. Im Mai soll die überarbeitete fünfte Auflage des DSM – das DSM-5 – erscheinen.
PSYCHISCHE L im ICD-10
Kapitel 5 beinhaltet zehn Hauptgruppen:
+ Organische, einschließlich symtomatische psychische Störungen
+ Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen
+ Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen
+ Affektive Störungen
+ Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
+ Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung mit körperlichen Störungen und Faktoren
+ Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
+ Intelligenzminderung
+ Entwicklungsstörungen
+ Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
Entwicklung Das DSM ist das Standardwerk zur Diagnose von psychischen Erkrankungen und Störungen. Jede Erkrankung wird darin detailliert beschrieben und es werden ihre Kriterien definiert. Ziel ist es, diese so sicher wie möglich zu machen und Fehldiagnosen zu vermeiden. Eine klare Diagnose ist Voraussetzung für eine zielgerichtete Therapie (wobei Therapien nicht Gegenstand des DSM sind).
Bis jetzt ist das DSM-IV maßgebend, das in seiner ersten Fassung 1994 veröffentlicht wurde und damit im Wesentlichen auf dem Kenntnisstand der 1980er-Jahre beruht. In den Jahren 1999 und 2000 begann die APA mit den Arbeiten für die fünfte Ausgabe. Ausgehend von einer Reihe von Konferenzen wurden eine Task Force und 13 Arbeitsgruppen gebildet. Sie hatten die Aufgabe, alle vorhandenen DSM-Diagnosen zu sichten und, falls nötig, entsprechend neuer Erkenntnisse zu überarbeiten. Im Jahr 2010 stellte die APA den ersten Entwurf des neuen DSM-5 auf die eigens dafür eingerichtete Internetseite www.dsm5.org und rief die (Fach-)Öffentlichkeit zur Kommentierung auf.
In den beiden darauffolgenden Jahren wurde der Prozess mit der jeweils überarbeiteten Version wiederholt. Insgesamt gingen mehr als 15 000 Kommentare von Ärzten, Wissenschaftlern, Patienten, Angehörigen und Patientenvertretern ein. Um die Auswirkungen der überarbeiteten Kriterien auf die Praxis zu beurteilen, fanden parallel Untersuchungen mit etwa 3500 Patienten in medizinischen Zentren, kleineren Krankenhäusern sowie bei niedergelassenen Ärzten statt. Nach Abschluss der Arbeiten begutachteten die Task-Force sowie zwei dafür eingerichtete Komitees die finalen Entwürfe der Arbeitsgruppen für das neue DSM-5. Im Dezember 2012 verabschiedete die APA den Entwurf offiziell.
Das ist neu Laut APA bleibt die Anzahl der beschriebenen psychischen Erkrankungen im Vergleich zum DSM-IV in etwa konstant. Die Kapitelaufteilung wurde überarbeitet: In den vorderen findet man jetzt Erkrankungen, die früh im Leben auftreten wie Autismus-Spektrum-Störungen oder Lernstörungen, während neurokognitive Störungen weiter hinten ihren Platz haben. Grundsätzlich wird es anders als bislang möglich sein, Störungen und Erkrankungen in Schweregrade einzuordnen. Das ist wichtig für die Wahl der Therapie und die Kontrolle des Verlaufs.
Änderungen gab es auch betreffend einer ganzen Reihe sehr unterschiedlicher Erkrankungen und Störungen. So enthält das DSM-5 etwa die neue Kategorie Autismus-Spektrum-Störungen, die die verschiedenen Diagnosen des DSM-IV aus diesem Bereich zusammenfasst. Zudem wird in Zukunft „Binge Eating“, also unkontrollierbare Fressattacken mehrmals pro Monat, als eigene Essstörung anerkannt. Im Gegensatz zu Patienten, die unter Bulimie leiden, nehmen von der neuen Störung Betroffene keine Abführmittel und sie übergeben sich nicht.
Um einer potenziellen Überdiagnose und Überbehandlung von bipolaren Störungen bei Kindern entgegenzuwirken – diese Zahlen waren vor allem in den USA in den vergangen Jahren stark gestiegen – wurde eine neue Störung namens DMDD (Disruptive mood dysregulation disorder) in das DSM-5 aufgenommen. Daran leiden Kinder, die über einen langen Zeitraum hinweg einerseits über die Maßen betrübt und zurückgezogen, andererseits aber auch besonders reizbar und aggressiv sind. Glückspielsucht fand als eigene Diagnose Eingang in das DSM-5, Internetsucht dagegen (noch) nicht. Weitere Neuerungen betreffen unter anderem die Aufnahme von „Skin-Picking“ und dem zwanghaften Sammeln wertloser und verbrauchter Gegenstände („Hoarding“) als neue Störungen.
Bedeutung für Deutschland Veränderungen in den Diagnosekriterien des DSM sind auch für Deutschland relevant, weil das DSM einen starken Einfluss auf die ICD hat. In Deutschland dient die ICD-10 in der ambulanten Versorgung der Diagnosenverschlüsselung zur Dokumentation der Arbeitsunfähigkeit und zu Abrechnungszwecken gemäß EBM. In der stationären Versorgung wird sie im Rahmen des pauschalierenden Entgeltsystems G-DRG verwendet.
In dem Klassifikationssystem der WHO sind in 22 Kapiteln alle Krankheiten und verwandte Gesundheitsprobleme aufgelistet und die Kriterien für ihre Diagnose beschrieben; Kapitel fünf ist den psychischen Leiden gewidmet. Im Vergleich zu vorangegangenen Ausgaben hatten sich die derzeit gültigen Versionen DSM-IV und ICD-10 bereits stark angenähert.
Das neue DSM-5 sieht vor, dass anhaltende Trauer nach zwei Wochen als krankhaftes Zeichen einer Depression einzustufen ist – das DSM-IV veranschlagte dafür noch zwei Monate.
An der elften Version der ICD wird derzeit gearbeitet – sie soll 2015 erscheinen. Bereits jetzt ist klar, dass die Organisations-struktur des DSM-5 und der ICD-11 dann identisch sein werden. Aber manchmal bedarf es nicht einmal des Umwegs über die ICD: Laut der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie werden Diagnosen in der diagnostischen Praxis auch in Deutschland zum Teil nach DSM verschlüsselt. So würden bei ADHS-Patienten teilweise die Kriterien des DSM-IV angewendet.
Kritik am DSM-5 Der wohl schärfste und prominenteste Gegner ist Allen Frances. Mittlerweile emeritiert, war er seinerzeit als Vorsitzender der Task Force maßgeblich an der Erstellung des DSM-IV beteiligt. Seiner Ansicht nach wird das DSM-5 zu einer starken Zunahme an unnötigen und ungenauen Diagnosen führen und viele Menschen als psychisch krank erklären, die es eigentlich gar nicht sind. Dies liegt laut Allen unter anderem daran, dass die Auswirkungen, die die veränderten Diagnosekriterien in der Praxis haben werden, nicht ausreichend berücksichtigt und untersucht wurden.
Die Zunahme der Diagnosen wird, so der Fachmann, zu einer massiven Zunahme von Verschreibungen unnötiger Medikamente sowie zu einer Vergeudung von knappen Ressourcen im Gesundheitssystem führen – abgesehen von den negativen persönlichen Auswirkungen für die Betroffenen. In seinem Blog listet Frances – neben vielen anderen Punkten – die aus seiner Sicht zehn schlimmsten Fehler des DSM-5 auf. Die ersten beiden lauten:
- Die Disruptive mood dysre-gulation disorder DMDD ist seiner Ansicht nach noch nicht ausreichend untersucht, um in das DSM aufgenommen zu werden. Frances befürchtet, dass DMDD nach ADHS, Autismus und bipolaren Störungen die nächste Modediagnose für Kinder werden könnte.
- Er postuliert, dass normale Trauer in Zukunft als Depression missdiagnostiziert werden wird. Hintergrund ist, dass bislang die Diagnose Depression über einen gewissen Zeitraum nicht gestellt werden sollte, wenn die Ursache für die Symptome offensichtlich ein aktueller Trauerfall war.
Diese so genannte „Bereavement exclusion“ ist im DSM-5 entfallen. Frances befürchtet, dass in Zukunft zu früh Medikamente eingesetzt werden könnten, die in dieser Situation möglicherweise mehr schaden als nützen.
»Das DSM wirkt sich auf das Verständnis von psychischer Gesundheit aus.«
Exkurs ICD-10 Die gesamte Klassifikation des ICD-10 kann auf verschiedenen Internetseiten kostenlos eingesehen werden, zum Beispiel unter www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/index.htm. Psychische und Verhaltensstörungen, mit denen sich das DSM befasst, kommen nur in einem der 22 Kapitel des ICD-10 vor.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 03/13 ab Seite 140.
Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin