Herz © SergeyNivens / iStock / Thinkstock
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Repetitorium

KORONARE HERZKRANKHEIT – TEIL 3

Zur Akuttherapie – primär zur Vorbeugung aber auch zur Behandlung – eines Angina pectoris-Anfalls existieren weitere medikamentöse Strategien. Die verschiedenen Medikamentenklassen werden hier vorgestellt.

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Neben der Prognoseverbesserung einer KHK (siehe Repetitoriumsteil 2) spielt die Symptomlinderung eine entscheidende Rolle, insbesondere aber die Verhinderung von Angina pectoris-Anfällen. Hierfür stehen

  • Nitrate („Nitro-Verbindungen“, Salpetersäureester)
  • Betarezeptorenblocker
  • Kalziumkanalblocker
  • ein If-Ionenkanalblocker (Ivabradin) sowie
  • ein Piperazinderivat (Ranolazin) neben
  • sonstigen Koronartherapeutika zur Verfügung.

Während Betablocker und in eingeschränktem Maße wohl auch Kalziumkanalblocker zusätzlich die KHK-Prognose verbessern, zielen Nitrate (= Stickstoffmonoxid-Donatoren) sowie neuere Substanzen wie Ivabradin und Ranolazin auf Anfallsvermeidung und symptomatische Therapie ab (= ohne Prognoseverbesserung, also kein positiver Effekt auf das Fortschreiten der Grunderkrankung).

Betarezeptorenblocker Wegen ihrer gleichzeitigen Prognoseverbesserung sind Beta-Adrenorezeptorblocker Basistherapie bei einer KHK und grundsätzlich erste Wahl. Sie lindern oder befreien bei langfristiger Gabe von Anginapectoris- Beschwerden, tragen zur Belastungstoleranz – auch bei körperlicher und emotionaler Belastung – bei. Aufgrund ihrer kardioprotektiven (herzschützenden) Wirkung sind sie auch sehr sinnvoll zur Sekundärprävention nach einem Herzinfarkt (Näheres siehe Repetitoriumsteil 2). Beta-1- selektive Rezeptorenblocker wie Bisoprolol und Metoprolol werden hierbei bevorzugt, da sie eher „kardioselektiv“ sind und keine intrinsische sympathomimetische Aktivität (ISA), also keine messbaren agonistischen Effekt an anderen Betarezeptoren, aufweisen.

Kalziumkanalblocker Eher selten werden seitens der Ärzte heutzutage Kalziumkanalblocker – oder Kalziumantagonisten, wie man sie früher etwas ungenau nannte – zur KHK-Behandlung verordnet. Sie dienen jedoch durchaus zur langfristigen Verbesserung der Symptomatik – und womöglich auch der Prognose. Diese Medikamentengruppe lässt sich grob in zwei Typen einteilen: Kalziumkanalblocker vom Dihydropyridintyp (Nifedipin-Typ, etwa Nifedipin, Nitrendipin, Felodipin, Amlodipin) besitzen eine starke gefäßerweiternde Wirkung (Vasodilatation) der Arteriolen, was den Blutdruck recht schnell abfallen lässt (Nachlast-Senkung) und Koronarspasmen aufhebt.

Solche vom Nicht- Dihydropyridintyp (Verapamil- oder Diltiazem-Typ) verlangsamen infolge des reduzierten Kalziumionen-Einstroms am Herzmuskel die Schlagkraft (negativ-inotrope Wirkung) sowie die Schlagfrequenz (negativ-chronotrope Wirkung). Dies bewirkt eine direkte Verringerung der Herzarbeit sowie des Sauerstoffbedarfs des Herzens und auch der Blutdruck sinkt. Der Diltiazem-Typ vereinigt praktisch beide Mechanismen, zeigt also Gefäßdilatation und Schlagkraft/frequenz- Senkung – bei gleichzeitig vergleichsweise günstigem Nebenwirkungsprofil.

Unerwünschter Blutdruckabfall bis hin zu Schwindel oder gar Ohnmacht, Beschleunigung oder Verlangsamung des Herzschlages, im Extremfall Herzrasen (Notarzt rufen!), Schwellungen der Beine (Ödembildung), allergische Hautreaktionen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Obstipation (Verstopfung) sind beschriebene Nebenwirkungen der Substanzklasse. Je nach vermuteter Ursache des Angina-pectoris-Anfalls (etwa hoher Blutdruck, schneller Pulsschlag, Gefäßverkrampfung, chronische Angina pectoris), kommt der für die jeweilige Situation geeignete Kalziumkanalblocker zum Einsatz.

So ist der Nifedipin-Typ insbesondere zur Therapie der – allerdings seltenen – Prinzmetall-Angina relevant. Ansonsten konnten etwa bei einer instabilen Angina pectoris, bei Präinfarktsyndrom oder bei schon akutem Herzinfarkt die Kalziumkanalblocker (Nifedipin-Typ) die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen; hier wurde seitens der Arzneimittelkommission sogar eine Kontraindikation ausgesprochen. Lassen sich die Angina-pectoris-Symptome durch Betarezeptoren- und/oder Kalziumkanalblocker nicht ausreichend kontrollieren, stehen drei weitere Wirkstoffe zur Verfügung.

Diese entlasten durch unterschiedliche Wirkmechanismen den Herzmuskel. Die schnellwirksamen Nitrate haben hierbei zusätzlich die Funktion im akuten Angina-pectoris-Anfall unmittelbar die Symptome zu lindern. Nitrate erweitern die Herzkranzgefäße, heben Koronarspasmen auf und versorgen das Herz mit mehr Sauerstoff (Nachlast-Senkung). Gleichzeitig haben sie eine entspannende Wirkung auf die Muskelfasern in den Venen, die das Blut zum Herzen zurück transportieren. Als Folge fließt das Blut langsamer zum Herzen zurück. Es muss dadurch weniger pumpen, verbraucht weniger Sauerstoff und wird auf diese Weise entlastet (Vorlast-Senkung).

Im Fachjargon heißt dies dann: Es sinkt die Vor- und im geringeren Maße auch die Nachlast des Herzens, womit der Sauerstoffbedarf beziehungsweise der -verbrauch gesenkt wird. Das Engegefühl und die Schmerzen in der Brust werden gelindert. Nitrate sind dabei typische Prodrugs; im Körper entsteht schnell Stickstoffmonoxid (NO). Neben der Vasodilatation hat NO unter anderem zusätzlich auch Thrombozytenaggregations- hemmende Effekte. Voraussetzung für die gute, schnelle Wirksamkeit ist ein tägliches Nitrat-freies Intervall von mindestens acht bis zehn Stunden. Ansonsten entwickelt sich schnell eine unerwünschte Nitrat-Toleranz.

Zu den NO-Donatoren gehören neben Molsidomin (darf nur noch in höherem Lebensalter und bei Patienten, bei denen andere Pharmaka unverträglich oder nicht ausreichend wirksam sind, verschrieben werden; vorwiegend sinnvoll bei Patienten mit nächtlichen Angina pectoris-Anfällen; hat Vorteil deutlich geringerer Nitrat-Toleranzentwicklung; zur Vorbeugung und Dauerbehandlung geeignet) die Wirkstoffe Glyceroltrinitrat (GTN), Isosorbiddinitrat (ISDN), Isosorbidmononitrat (ISMN) und Pentaerythrityltetranitrat (PEN). Da die Nitrate sehr schnell wirksam sind, kommen sie meist als Spray, Tropfen oder Zerbeißkapseln bei akuten Angina pectoris-Anfällen zum Einsatz.

VOLKSWIRTSCHAFTLICHER KOSTENFAKTORKHK

Fakt ist: Die koronare Herzkrankheit ist von immenser volkswirtschaftlicher Bedeutung. Die medikamentöse Dauertherapie mit mehreren Medikamenten, aber auch die breite Anwendung der invasiven Eingriffe (PTCA und Stent, Bypass-OP) stellen beachtliche Kostenfaktoren dar. Da ökonomische Erwägungen das Gesundheitswesen immer mehr bestimmen (werden), ist eine Reduktion dieser Gesundheitsausgaben durch Förderung und Anregung zu gesundheitsbewusstem Verhalten / Lebensstil äußerst erstrebenswert. Zum Leidwesen der Apotheker hat der Gesetzgeber allerdings noch nicht verstanden, dass die pharmazeutische Beratung und Betreuung hierzu viel beitragen könnte.

Sie sind für diesen Fall erste Wahl als „Notfallmedikament“ zur Anfallskupierung. Laut nationaler und internationaler Leitlinien zur Therapie der KHK sollte jeder Patient ein Akutnitrat bei sich tragen und im Umgang damit geschult sein. Umfragen zeigen jedoch, dass weniger als die Hälfte der KHKPatienten dem Rechnung tragen – und so im Notfall eines Angina pectoris-Anfalls nicht schnell handeln können. Neben dem sekundenschnellen Kupieren eines Angina-pectoris- Anfalls haben die Akutnitrate noch einen zweiten Nutzen: Sie steigern dosisabhängig die Angina-Schwelle und helfen so, einen Anfall zu vermeiden, wenn sie prophylaktisch vor körperlichen oder psychischen Belastungen eingesetzt werden.

Als vorbeugende, symptomatische Maßnahme bei einer belastungsabhängigen Angina pectoris werden zusätzlich auch länger wirksame Darreichungsformen, etwa Transdermale Therapeutische Systeme (TTS) verwendet. Für diesen Einsatz sind sie allerdings – ähnlich wie Kalziumkanalblocker – eher Therapeutika der zweiten Wahl, beispielsweise wenn Betarezeptorenblocker kontraindiziert sind. Die Nebenwirkungen sind weitgehend Folge der gefäßerweiternden Wirkung.

So können – insbesondere zu Behandlungsbeginn – häufig Kopfschmerzen („Nitratkopfschmerz“), etwas seltener Schwächegefühl, Hitzewallungen, Übelkeit und Hautrötung auftreten. Auch ein stärkerer Blutdruckabfall ist möglich. Nimmt der KHK-Patient – was aufgrund der Ursache durchaus häufiger vorkommen kann – zudem Phosphordiesterase (PDE)-5-Hemmer (etwa Sildenafil) als Potenzmittel ein, muss bei gleichzeitiger Nitrat-Gabe zudem mit weiterer massiver Gefäßerweiterung und damit lebensbedrohlichem Blutdruckabfall gerechnet werden.

If-Ionenkanalblocker (Ivabradin) Seit dem Jahr 2006 steht als Reservemedikament zur Behandlung einer stabilen KHK bei einer Betablocker- (oder Kalziumkanalblocker)- Unverträglichkeit oder -unwirksamkeit für Patienten mit normalem Sinusrhythmus und einer Herzfrequenz von mehr als 70 Schlägen pro Minute ein Schrittmacherkanal- Hemmer (If-Kanal-Blocker), gerne auch als Herzfrequenzsenker bezeichnet, zur Verfügung. Ivabradin verlangsamt den Puls ohne die Kraft des Herzmuskels zu verringern – und unterstützt so die Herzarbeit.

Die orale Dosierung beträgt zweimal täglich fünf Milligramm. Im Dezember 2014 informierte ein Rote-Hand-Brief aufgrund des Risikos von schweren Bradykardien (zu langsamer Herzschlag) und dem erhöhten Risiko von Vorhofflimmern über strengere Sicherheitshinweise, die Empfehlung einer regelmäßigen klinischen Überwachung und weitere Kontraindikationen (nicht bei schwerer Leberinsuffizienz, keine gleichzeitige Einnahme der Kalziumkanalblocker Verapamil oder Diltiazem).

Piperazinderivate (Ranolazin) Bei Unverträglichkeit oder nicht ausreichender Wirksamkeit von Beta- oder Kalziumkanal- Blockern kann alternativ oder ergänzend zu diesen auch Ranolazin vom Arzt verschrieben werden. Dieser in den USA seit 2006, in der EU seit 2008 gegen KHK (stabile Angina pectoris) zugelassene Wirkstoff verbessert die Durchblutung in den kleinen Gefäßen und entspannt den Herzmuskel, sodass diesem wieder mehr Sauerstoff zur Verfügung steht. Die Wirkung ähnelt damit der von Kalziumkanalblockern, ohne jedoch auf Blutdruck und Herzfrequenz einen Einfluss zu haben. Die Dosierung beträgt hier zweimal täglich 375 bis 750 Milligramm. Häufigste Nebenwirkungen sind Schwindel, Kopfschmerzen, körperliche Schwäche und Übelkeit. Bei stark eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion ist Ranolazin nicht einsetzbar.

Substanzen ohne ausreichend belegte Prognoseverbesserung Weitere medikamentöse Maßnahmen umfassen die Grippeschutzimpfung, peri- und postmenopausale Hormontherapie, Chelattherapie, Homöopathie, Phytotherapie, Vitaminsupplementierung oder Sauerstofftherapie. Die Wirksamkkeitsnachweise sind dabei sehr unterschiedlich. So empfiehlt die STIKO (Ständige Impfkommission) die Influenza- Impfung explizit für ältere Personen ab 60 Jahren sowie Erwachsene mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge chronischer Herz-Kreislauf-Erkrankungen – da tatsächlich dadurch das Sterben an einem koronaren Ereignis reduziert werden konnte.

Hingegen kann eine Hormontherapie definitiv nicht zur Prävention einer KHK empfohlen werden. Für alle anderen genannten Therapien existiert keine Datenlage, die eine Wirkung tatsächlich glaubhaft dokumentiert. Allerdings kann eine Coenzym Q10-Supplementierung durchaus sinnvoll sein, da klinische Studien wiederholt einen deutlichen Zusammenhang zwischen verminderten Coenzym Q10-Spiegeln und Herzinsuffizienz ergeben haben.

Zudem führt die Gabe der Statine (siehe Repetitoriumsteil 2: Prognoseverbessernde Medikamente – Lipidsenker) zu einem Abfall des Coenzym Q10- Plasmaspiegels um 25 bis 50 Prozent. Und bei Coenzym Q10-Mangel ist die Energiebereitstellung für den Herzmuskel trotz optimaler Substratspielge massiv gestört. Auch eine Folsäuresupplementierung könnte erwogen werden, da hierdurch eine Verbesserung der endothelialen Dysfunktion (Funktionsstörung der inneren Schicht der Gefäße) erreicht wird.

Kathetergestützte und chirurgische Behandlung Je nach Erfolg der medikamentösen Behandlung und Schweregrad der koronaren Herzkrankheit kommen auch Eingriffe wie eine Ballondilatation mit Stent-Setzung (PTCA = Percutane Transluminale Coronare Angioplastie) oder eine Bypass-Operation infrage. Bei einer PTCA wird ein Katheter durch die Blutgefäße bis zur verengten Stelle vorgeschoben, ein an der Katheterspitze befindlicher Ballon aufgeblasen, die verengte Stelle dadurch aufgedehnt und ein Stent (meist röhrchenförmiges Metallgitter) eingesetzt.

Bei einer Bypass- OP wird die eigentliche Koronarstenose belassen und durch körpereigene Gefäße chirurgisch überbrückt. Beide Methoden haben die Verbesserung der Durchblutung des Herzmuskels (Revaskularisation) zum Ziel und werden durch eine medikamentöse Begleittherapie unterstützt. Die Entscheidung, welche Methode im individuellen Fall am besten geeeignet ist, wird abhängig vom genauen Befund sowie vorliegender Begleiterkrankungen von Kardiologe und Patient gemeinsam getroffen.

Pharmazeutische Betreuung Noch herrscht auch in Deutschland eine große Variationsbreite in der Versorgungsqualität. Hinzu kommt: Patienten, die an einer KHK leiden, haben nicht immer Schmerzen. Das verführt dazu, die bewährten Medikamente auch einfach abzusetzen oder „zu vergessen“. Die Therapiemitarbeit von KHK-Betroffenen zu verbessern und ihnen schließlich zum Selbstmanagement ihrer Krankheit zu führen, sollte und kann Mitaufgabe der pharmazeutischen Betreuung von KHK-Patienten in der Apotheke sein. Statt dem passiven Patienten steht heute der aktive Manager seiner Krankheit im Fokus – und es ist darauf hinzuarbeiten, dass der KHK-Kranke dies auch wird.

In „Herzgruppen“ (etwa organisiert von den Landesverbänden der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation – DGPR) wird als begleitete Selbsthilfegruppe die „Mündigkeit“ der KHK-Betroffenen geweckt und gestärkt. Durch Beratung und Aufklärung können fehlerhafte Arzneimitteleinnahme und die damit verbundenen unerwünschten Arzneimittelwirkungen vermieden werden, der Patient beispielsweise zur permanenten Mitnahme seines Nitrates immer wieder aufgefordert werden.

Blutdruckmessung, Cholesterinmessung und Unterstützung bei der Nikotinentwöhnung sind Punkte, die von der aktiven PTA angeregt beziehungsweise als Kontrollfunktion begleitet oder durchgeführt werden können. Machen Sie dem KHK-Patienten immer wieder deutlich: Es ist wissenschaftlich belegt, dass die regelmäßige Einnahme der Medikamente einen Zuwachs an Lebenszeit bringt und Herzinfarkte vermeiden hilft.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 12/16 ab Seite 86.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

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