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Sterbehilfe

KEIN LEIDEN AM LEBENSENDE

Das Thema sorgt für kontroverse und emotionsgeladene Debatten und wirft viele Fragen auf. Was ist bei uns erlaubt, was verboten? Welche gesetzlichen Neuregelungen sind in Sicht?

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Eine unheilbare Krankheit, ein langer Leidensweg, kaum zu ertragende Schmerzen – viele Menschen wünschen sich in Frieden sterben zu dürfen, wenn das Leben als unerträglich empfunden wird. Auch in Deutschland möchten zahlreiche Schwerstkranke selbst bestimmen, wann für sie der richtige Todeszeitpunkt gekommen ist. Andere wiederum wünschen sich zumindest, beim Sterben medizinisch so umfassend begleitet zu werden, dass sie am Ende des Lebens keine Qualen erleiden müssen.

Maßnahmen, die das Sterben erleichtern und sich auf den Todeseintritt auswirken, werden unter dem Oberbegriff „Sterbehilfe“ zusammengefasst. In der Praxis verbergen sich hinter Sterbehilfe jedoch sehr unterschiedliche Handlungen – legale und strafbare, in weiten Teilen der Gesellschaft akzeptierte und umstrittene, gesetzlich klar geregelte und rechtlich eher schwammige.

Was bedeutet was? Nach einer gängigen, vor allem im juristischen Sprachgebrauch verwendeten Definition wird im Wesentlichen zwischen aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe unterschieden. Eine Sonderform ist die Beihilfe zum Suizid.

Aktive Sterbehilfe: Sie wird auch als „Tötung auf Verlangen“ oder „aktive direkte Sterbehilfe“ bezeichnet. Gemeint ist damit die gezielte Tötung mit einer tödlichen Substanz auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten, um diesem einen baldigen, schmerzfreien Tod zu ermöglichen. Hierbei führt nicht der Patient selbst, sondern ein anderer die Handlung aus, die zum Tode führt. Aktive Sterbehilfe durch die Gabe tödlicher Dosen verschiedener Medikamente oder Injektionslösungen (z. B. Insulin, Kaliumchlorid) ist in Deutschland per Strafgesetzbuch (§ 216) verboten und wird mit sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet.

Passive Sterbehilfe: Dahinter verbirgt sich das Unterlassen, Be- grenzen oder der Abbruch lebenserhaltender oder lebensverlängernder Maßnahmen. Zur passiven Sterbehilfe zählt zum Beispiel der Verzicht auf Reanimation, Beatmung, Dialyse, Medikamentengabe, künstliche Ernährung oder Flüssigkeitszufuhr. Andere, von vielen Gruppierungen bevorzugte Bezeichnungen für diese Form der Sterbehilfe sind „Therapieverzicht“, „Therapieabbruch“ oder „Sterben lassen“. Nicht strafbar ist die passive Sterbehilfe, sofern sie dem erklärten oder auch mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Sie ist auch ohne Einwilligung des Patienten straflos, wenn der Sterbeprozess nicht mehr aufzuhalten und der Tod in kurzer Zeit zu erwarten ist.

Indirekte Sterbehilfe: Sie umfasst die aus ärztlicher Sicht notwendige Verabreichung schmerzlindernder und/oder sedierender Medikamente bei einem todkranken oder sterbenden Menschen, durch die – als unbeabsichtigte Nebenwirkung – der Eintritt des Todes beschleunigt wird. Bei der indirekten Sterbehilfe handelt es sich also um Maßnahmen zur Leidensverhinderung bei Inkaufnahme einer Lebensverkürzung. Ein anderer Begriff für diese Art der Sterbehilfe ist „Behandlung am Lebensende“. Die indirekte Sterbehilfe ist rechtlich unstrittig, wenn sie ärztlich begründet und dem (mutmaßlichen) Willen des Patienten entspricht.

Beihilfe zum Suizid: Beihilfe zum Selbstmord leistet ein Mensch, der einen anderen dabei unterstützt, sich selbst zu töten. Denkbar ist beispielsweise, dass der Helfer tödlich wirkende Medikamente bereitstellt, die der Suizident dann selbst zu sich nimmt. Grundsätzlich gilt bisher: Da die Selbsttötung bei uns nicht strafbar ist, bleibt auch die Beihilfe zum Suizid straffrei. Es gibt jedoch Ausnahmen von dieser Regelung, etwa dann, wenn unterlassene Hilfeleistung oder ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz vorliegt. Die Muster-Berufsordnung der Bundesärztekammer untersagt die ärztliche Beihilfe zum Suizid. Diese Ordnung wurde aber nicht von allen Landesärztekammern in dieser Eindeutigkeit übernommen.

Blick über den Zaun In den meisten europäischen Nachbarländern ist die aktive Sterbehilfe ebenfalls verboten. Ausnahmen bilden die Niederlande, Belgien und Luxemburg, wo sie straffrei bleibt. 2002 ließen die Niederlande als erstes Land der Welt die aktive Sterbehilfe zu, der Arzt muss jedoch Vorgaben erfüllen, unter anderem feststellen, dass der Sterbewillige keine Aussicht auf Besserung seines Zustandes hat und sein Leiden kaum erträgt. Zudem muss der Patient absolut zurechnungsfähig sein. Treffen Arzt und Patient gemeinsam die Entscheidung, dass aktiv Sterbehilfe geleistet werden soll, muss ein zweiter Mediziner zustimmen. Ähnliche Gesetze existieren seit 2002 auch in Belgien und seit 2009 in Luxemburg.

WEITERFÜHRENDES
Ausführliche Informationen über Sterbehilfe und Sterbebegleitung aus unterschiedlichen Blickwinkeln bekommen Interessierte unter anderem hier:
+ Deutscher Hospiz- und Palliativverband e. V. www.dhpv.de  
+ Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften www.drze.de  
+ Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin www.dgpalliativmedizin.de  
+ Bundesärztekammer www.bundesaerztekammer.de
+ Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben www.dghs.de  

Eine umfangreiche Broschüre zur Patientenverfügung hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (www.bmjv.de) herausgegeben.

In der Schweiz ist die aktive Sterbehilfe strafbar, der assistierte Suizid hingegen legal, sofern der Helfer nicht persönlich vom Tod des Patienten profitiert. Bekannt sind in der Schweiz die umstrittenen Suizidhilfeorganisationen Dignitas und Exit, die ihren Mitgliedern Ärzte in der Schweiz vermitteln, die bereit sind, zum Tode führende Medikamente zu verschreiben. In manchen europäischen Ländern sind auch Formen der Sterbehilfe verboten, die bei uns nicht strafrechtlich geahndet werden. So ist in Österreich beispielsweise die Beihilfe zur Selbsttötung eine Straftat und in Polen ist Sterbehilfe prinzipiell verboten.

Neues Gesetz in Sicht Seit dem letzten Jahr wird in Deutschland eine heftige Debatte über eine gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe geführt. Gegenstand der Diskussion ist nicht die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe, die bei uns weiterhin verboten bleiben soll. Im Zentrum der Diskussion steht vielmehr die Beihilfe zum Suizid. Vielen politischen Gruppierungen schwebt vor, die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung gesetzlich zu verbieten, andere setzen sich hingegen für die Legalität nicht-kommerzieller Sterbehilfevereine ein. Gesetzlich geregelt werden soll auch die Rolle von Ärzten, mit dem Ziel, für Mediziner mehr Rechtssicherheit zu erreichen.

» Seit dem letzten Jahr wird in Deutschland eine heftige Debatte über eine gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe geführt. «

Während die einen Stimmen fordern, Ärzten die Hilfe zum Suizid explizit gesetzlich zu erlauben, lehnen andere entsprechende Gesetzesentwürfe ab. Die Bundesärztekammer bleibt bei ihrem klaren Nein zur Suizidbeihilfe. Der Deutsche Ethikrat lehnt eine gesetzliche Regulierung der Suizidbeihilfe durch Ärzte mehrheitlich ab und spricht sich für ein Verbot der organisierten Beihilfe zum Suizid aus. In diesem Herbst soll im Bundestag über das neue Sterbehilfegesetz abgestimmt werden. Damit greift die Politik ein Thema auf, dass die Menschen sehr bewegt.

Das verdeutlichen auch die Ergebnisse einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der DAK-Gesundheit, für die Anfang letzten Jahres gut 1000 Menschen im Alter von 14 bis 60 Jahren befragt wurden. Ihr zufolge möchten im Falle einer schweren Erkrankung 70 Prozent der Deutschen für sich selbst die Möglichkeit haben, zum Beispiel auf ärztliche Hilfe bei der Selbsttötung zurückgreifen zu können.

Laut Umfrage wünschen die Ostdeutschen mit 82 Prozent häufiger die Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe als die Westdeutschen mit 67 Prozent. Außerdem interessant: 79 Prozent der Befragten fänden es gut, wenn der Deutsche Bundestag entscheiden würde. Die Zustimmung ist in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen mit 86 Prozent deutlich größer als bei den über 60-Jährigen mit 74 Prozent.

In Würde sterben Bereits Ende April hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Palliativversorgung für Schwerstkranke gebilligt. Einigkeit herrscht in weiten Kreisen von Politik und Gesellschaft nämlich darüber, dass es wichtig ist, die Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland künftig noch weiter auszubauen, um Todkranken eine umfassende und würdige Sterbebegleitung zu ermöglichen. Als Sterbebegleitung definieren Experten die umfassende Betreuung eines sterbenden Menschen, wobei dessen körperliche, seelische und soziale Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen.

Sterbebegleitung beinhaltet unter anderem auch eine wirksame Schmerztherapie. Im Gegensatz zur Sterbehilfe leistet die Sterbebegleitung nicht „Hilfe zum Sterben“, sondern „Hilfe beim Sterben“. Unabhängig von ihrer ganz persönlichen Einstellung zur Sterbehilfe ist es für sehr viele Menschen von enormer Bedeutung, über ihr Lebensende mitbestimmen zu können – auch dann, wenn sie selbst nicht mehr in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen. Hier leistet die sogenannte Patientenverfügung gute Dienste. Dabei handelt es sich um eine schriftliche Vorausverfügung für den Fall, dass es einem selbst nicht mehr möglich ist, seine Angelegenheiten zu regeln, etwa, weil man im Koma liegt oder unter fortschreitender Demenz leidet.

Festgelegt wird in einer Patientenverfügung, ob und wie man in gewissen Situationen – etwa im Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit – ärztlich behandelt werden möchte. In der Patientenverfügung kann beispielsweise geregelt werden, ob in bestimmten Fällen lebenserhaltende und lebensverlängernde Maßnahmen durchgeführt oder unterlassen werden sollen. Wichtig ist es, eine Patientenverfügung so konkret wie möglich zu verfassen. Seit 2009 ist die Verbindlichkeit der Patientenverfügung nach deutschem Recht gesetzlich geregelt. Ärzte und Angehörige müssen sich an den Willen des Patienten halten. Allerdings kann niemand in einer Patientenverfügung einfordern, dass aktive Sterbehilfe geleistet wird – denn die ist bei uns nun einmal verboten.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 08/15 ab Seite 110.

Andrea Neuen-Biesold, Freie Journalistin

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