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Verhaltensauffälligkeiten Bei Kindern

KEIN GRUND ZUR PANIK

Stottern die Kinder, sind Eltern häufig besorgt. Allerdings geht die Sprechunflüssigkeit nur bei wenigen in ein chronisches Stottern über. In der Regel verschwinden die Beschwerden nach einer gewissen Phase wieder.

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D-d-d-darf ich einen Apfel haben? – Wenn Kinder stottern, sind sie meist angespannt und strengen sich stark an, die Wörter herauszubringen. Manchmal brechen sie den angefangenen Satz einfach ab, weil es ihnen nicht gelingen will, ihn zu äußern. Beim Stottern, auch Balbuties genannt, handelt es sich um eine motorisch bedingte Sprechstörung, bei welcher der Redefluss unterbrochen ist. Betroffene bleiben immer wieder an Wörtern hängen, wiederholen Laute oder sind verbal komplett blockiert.

Entwicklungsstottern In der Regel beginnt das Stottern ohne offensichtliche Ursache im Kleinkindalter zwischen zwei und fünf Jahren. Die Kinder befinden sich zu diesem Zeitpunkt in einer Phase, in der Denken und Sprechen nicht miteinander Schritt halten können. Sie wiederholen dann bestimmte Begriffe solange, bis ihnen das gesuchte Wort wieder eingefallen ist (Ich-ich-ich-ich habe Hunger.). Eltern sollten sich darüber zunächst einmal keine Sorgen machen, denn das kindliche Stottern ist normal und legt sich in den meisten Fällen von alleine wieder.

Es ist wichtig, dass die Zuhörer nicht auf die Verzögerungen reagieren („Überleg erst, bevor du sprichst.“), sondern aufmerksam aufpassen, was der Sprössling zu sagen hat. Bedenklich ist es allerdings, wenn ältere Kinder einzelne Laute permanent wiederholen. In diesem Fall hat sich das Stottern manifestiert und Betroffene entwickeln ein Störungsbewusstsein. Bemerken Eltern, dass ihre Kinder im Schulalter plötzlich eine Störung des Sprechflusses aufweisen, sollten sie sich spätestens nach zwei bis drei Monaten oder bei einer deutlichen Verschlechterung sofort Hilfe suchen.

Konsultiert die Familie frühzeitig eine Sprachberatung oder eine fachkundige logopädische Therapie, legt sich die Sprechstörung bei den meisten Jungen und Mädchen wieder. Ohne jegliche Unterstützung von außen wird jedoch aus dem anfangs klonischen rasch ein tonisches Stottern. Bei der klonischen Form werden Worte und Laute wiederholt, beim tonischen Stottern ist die Sprechmuskulatur zusätzlich verkrampft, sodass während des Redens Pausen eingelegt werden.

Außerdem gibt es Mischformen aus beiden Varianten – abhängig von der überwiegenden Form spricht man dann vom klonisch-tonischen oder tonisch-klonischen Stottern. Im Verlauf der Zeit werden die Laute durch Bewegungen der Arme, Beine und des Oberkörpers begleitet, außerdem entwickeln Heranwachsende Kommunikationsängste und zeigen Vermeidungsverhalten, indem sie sich beispielsweise nicht mehr am Unterricht beteiligen. In emotionalen und sozialen Situationen (Unterhaltungen mit Lehrern) verstärken sich die Symptome, während sie beim Flüstern, Singen oder beim Sprechen mit Tieren abnehmen.

Verschiedene Ursachen Die Gründe dafür, dass einige Kinder zu stottern beginnen und andere nicht, sind noch nicht eindeutig geklärt. Man vermutet als Auslöser genetische, psychogene (Angst, Konflikte, Stress) sowie somatische (wie Hirnschädigungen) Faktoren. Es gibt Hinweise darauf, dass sich die Gehirne von stotternden und nicht-stotternden Personen strukturell unterscheiden: Das Broca-Zentrum, also die motorische Sprachregion im Gehirn, kann beeinträchtigt sein. Stottert ein Kind im Vorschulalter, wächst sich die Sprechstörung unter Umständen im Laufe der Zeit heraus und bildet sich mit zunehmender Reifung des Gehirns zurück. Bei wem die Problematik verschwindet oder verbleibt, ist allerdings nicht vorhersehbar.

Psychische Belastung Auf stotternden Kindern lastet ein besonders hoher sozialer Druck, der die Sprechstörungen noch verstärkt. Betroffene empfinden meist große Scham, wenn es ihnen nicht gelingt, ihre Sprechblockaden zu überwinden. Der Schulunterricht wird für sie zur frustrierenden Herausforderung, sie fühlen sich oft unwohl und ihr Selbstbewusstsein leidet, zumal Stottern nicht selten Zielscheibe von Spott und Witzen ist. Sozialer Rückzug ist nur eine von vielen Begleiterscheinungen, die das Stottern nach sich ziehen kann. Betroffene reden weniger und trauen sich (etwa in der Schule) kaum noch, etwas zu sagen. Eltern, Lehrer, Erzieher und weitere Bezugspersonen sollten die Kinder am besten ausreden lassen und es vermeiden, sie ständig zu verbessern.

Wirksame Behandlung Aufgrund der Folgen sollte chronisches Stottern unbedingt professionell therapiert werden. Beim sogenannten Fluency Shaping lernen die kleinen Patienten spezielle Techniken, die das Auftreten von Unflüssigkeiten reduzieren. Die Kinder sprechen beispielsweise anfangs sehr langsam und steigern das Tempo nur allmählich. Die Stottermodifikation, auch als Dysfluency Shaping bezeichnet, zielt auf die Veränderung der eigenen Reaktionen beim Auftreten von Sprechunflüssigkeiten ab. Patienten lernen, in ihr eigenes Problem einzugreifen, indem sie etwa akute Situationen erkennen und abwenden. Die Methode stärkt das Selbstwertgefühl und baut Sprechängste ab.

Online-Therapie Die Kasseler Stottertherapie wurde vor 20 Jahren entwickelt und zählt mittlerweile zu den größten deutschen Therapieeinrichtungen zur Behandlung von Sprechstörungen. Für Stotternde ab 13 Jahren bietet sich die Möglichkeit einer Online-Therapie, bei der Einzel- und Gruppensitzungen im virtuellen Raum stattfinden, an. Insbesondere junge Menschen empfinden diese Maßnahme als vorteilhaft, die Behandlung ist jedoch nur sinnvoll, wenn ausreichend Motivation zur Veränderung vorhanden ist.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/17 auf Seite 80.

Martina Görz, PTA und Fachjournalistin

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