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Seltene Erkrankungen von A bis Z

KARTAGENER SYNDROM

Wegen einer Bewegungsstörung können die Flimmerhärchen in den Atemwegen weder Sekret noch Krankheitserreger abtransportieren. Dies hat gravierende Folgen.

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Bei gesunden Menschen setzt sich das respiratorische Epithel, das die Atemwege auskleidet, aus zilientragenden Zellen, sekretorischen Zellen sowie einigen Sinneszellen zusammen. Seine wichtigste Funktion ist die Reinigung des Respirationstrakts von Krankheitserregern und kleinen Partikeln, die wir mit jedem Atemzug einatmen. Dafür produzieren die sekretorischen Zellen permanent eine dünne Schleimschicht auf den Epithelzellen, die von den Zilien – mitsamt den darin steckenden Erregern und Partikeln – durch koordinierte Schlagbewegungen kontinuierlich in Richtung Rachen befördert wird.

Dort verschlucken wir den Schleim und machen die Pathogene damit unschädlich. Diesen Vorgang bezeichnet man als mukoziliäre Clearance. Während die Zilien normalerweise mit einer Frequenz von etwa zwölf Hertz, also zwölf Mal pro Sekunde, schlagen und so den Schleimfilm mit einer Geschwindigkeit von 6 bis 20 mm/min immer weiter oralwärts transportieren, ist dieser Prozess bei Patienten mit primärer Ziliendyskinesie (aus dem Griechischen: dys = fehlerhaft; kinesis = Bewegung) gestört.

Die Folge: Die Krankheitserreger werden nur eingeschränkt oder gar nicht abtransportiert. Die Patienten leiden immer wieder an Atemwegsinfekten und Entzündungen der Bronchien, der Lunge, der Nasennebenhöhlen und des Mittelohrs. Die ständigen Infekte schädigen ihrerseits das Epithel weiter, so dass es ohne Behandlung zu chronischen Lungenveränderungen wie Bronchiektasen (Zerstörungen und Aussackungen der Bronchien) kommen kann. Auch Schwerhörigkeit ist eine mögliche Konsequenz der primären Ziliendyskinesie. Bei einem schweren Verlauf kann im mittleren Erwachsenenalter eine Lungentransplantation notwendig werden.

Kartagener Syndrom Bei etwa der Hälfte der Patienten liegt zusätzlich ein Situs inversus vor – die inneren Organe und Gefäße befinden sich spiegelverkehrt auf der anderen Körperseite. Studien haben gezeigt, dass für die richtige Anordnung der Organe während der Embryonalentwicklung ebenfalls die Bewegung von Zilien notwendig ist. Bei einer Symptomtrias, bestehend aus einem Situs inversus, Bronchioektasen und einer Sinusitis, spricht man von einem Kartagener Syndrom. Zudem sind viele männliche Patienten mit primärer Ziliendyskinesie unfruchtbar. Schuld daran ist eine eingeschränkte Bewegungsfähigkeit beziehungsweise völlige Bewegungsunfähigkeit der Spermien.

In Deutschland geht man von 4000 Patienten mit primärer Ziliendyskinesie aus, davon etwa 900 Kinder und Jugendliche. Experten vermuten eine hohe Dunkelziffer, da das Erscheinungsbild der Erkrankung sehr variabel ist und ihre Symptome unspezifisch sind.

Schwierige Diagnose Das bedeutet, dass die Symptome der primären Ziliendyskinesie wie etwa eine chronische Rhinosinusitis oder wiederkehrende Lungenentzündungen auch andere, zum Teil viel häufigere Ursachen haben – und natürlich auch bei ansonsten gesunden Menschen vorkommen können. Besteht aber der Verdacht auf eine primäre Ziliendyskinesie, können zunächst Screening-Tests wie die Messung der NO-Konzentration in der Atemluft eingesetzt werden.

Übersicht
In unserer Serie „Seltene Erkrankungen A bis Z“ stellen wir Ihnen demnächst folgende Themen vor:
+ Lupus erythematodes
+ Marfan Syndrom
+ Neurofibromatose
+ Osteogenesis imperfecta
+ Progressive Supranukleäre Blickparese (PSP)
+ Rett-Syndrom
+ S arkoidose
+ Transverse Myelitis
+ Ullrich-Turner-Syndrom
+ von Hippel-Lindau Erkrankung (VHL)
+ Williams-Beuren-Syndrom
+ Xanthinurie

Bei einem positiven Ergebnis sollte eine Hochfrequenzvideomikrokopieanalyse des Zilienschlags an einem spezialisierten Zentrum durchgeführt werden. Dafür eignet sich etwa Material, das mit einer nasalen Bürstenbiopsie entnommen wird. Werden hier Auffälligkeiten festgestellt, so schließt sich eine Untersuchung der Ultrastruktur der Zilien im Transmissionselektronenmikroskop an. Außerdem ist eine hochauflösende immunfluoreszenzmikroskopische Analyse der Zilien möglich.

Die Empfehlungen zur Diagnostik der primären ziliären Dyskinesie sehen vor, dass mindestens zwei kongruente pathologische Befunde nötig sind, um die Diagnose sicher zu stellen. Bei fast allen Patienten, bei denen die Zilien nicht richtig schlagen, lassen sich im Elektronenmikroskop Veränderungen in der Struktur der Zilien nachweisen. Diese sind bedingt durch Mutationen in Genen, die die Informationen für die einzelnen Komponenten der Zilien kodieren und die Ursache für die Erkrankung darstellen.

Therapie Die Behandlung der primären Ziliendyskenisie steht auf mehreren Säulen: Infekte sollten großzügig mit Antibiotika behandelt werden, um weitere Schädigungen der Atemwege zu minimieren. Zudem können Patienten mithilfe von Atemphysiotherapie Atemund Hustentechniken erlernen, die es ihnen erleichtern, das Sekret zu mobilisieren. Schließlich sollten sie regelmäßig mit dem Ziel inhalieren, das zähe Sekret so weit wie möglich zu verflüssigen.

Wichtig sind zudem Impfungen. Auch Sekretolytika und bronchialerweiternde Medikamente können hilfreich sein. Experten gehen davon aus, dass eine frühe Diagnose und damit verbunden eine frühe Behandlung das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen und die Lebensqualität der Patienten verbessern können.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 02/14 ab Seite 114.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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