Impfstoff vor EU-Flagge. © Rawf8 / iStock / Getty Images Plus
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Politik

IMPFEN? NA KLAR, ABER WOMIT?

So rasch wir die ersten Impfstoffe gegen das Corona-Virus präsentiert bekamen, so schnell wurde den EU-Bürgern klar, mit dem Impfstoffnachschub läuft es eher schleppend. Wer oder was ist schuld an der Misere?

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Impfwillige in allen Priogruppen warten sehnlichst auf das Impf-Angebot, das sie aufatmen lässt. Die Angst vor den Folgen einer Infektion, insbesondere gegen höherinfektiöse Mutanten, lässt eine gewisse Panik aufkommen. Ein Auslöser für die Lieferengpässe der Impfstoffe war wohl eine falsche Einschätzung der Situation bezüglich der Entwicklung und Lieferfähigkeit von Seiten der Europäischen Union. Aus heutiger Sicht werden die insgesamt bestellten Mengen des Impfstoffes bei allen Herstellern als zu niedrig eingestuft. Wenn dann einige Hersteller nicht zu einer erfolgreichen Entwicklung eines Impfstoffes gelangen, ist das kostbare Gut Impfstoff Mangelware.

Hoffnungszeichen Neben den beiden mRNA-Impfstoffen ist inzwischen ein dritter Impfstoff in Deutschland zugelassen: AZD1222 wird von AstraZeneca hergestellt. Experten setzen im Moment auch auf ein weiteres Produkt, das in Kürze in der EU verfügbar sein soll: der Impfstoff Ad26.COV2-S von Janssen Pharmaceuticals, einem Tochterunternehmen des US-Pharmariesen Johnson & Johnson. Die EU hat sich bereits 400 Millionen Dosen vertraglich gesichert. Schon jetzt wird deutlich: Dieser Corona-Impfstoff scheint zwei große Vorteile gegenüber den bislang zugelassenen Mitteln von BionTech und Moderna zu haben: einfachere Transport- und Lagerbedingungen.

Sie könnten demnach später sogar vom Hausarzt geimpft werden. Bei dem Impfstoff zeichnet sich ab, dass möglicherweise eine einzige Dosis ausreicht, um eine ausreichende Immunantwort hervorzurufen. Das haben die Zwischenergebnisse der Erprobung gezeigt, die kürzlich im englischsprachigen Fachblatt „New England Journal of Medicine“ (NEJM) veröffentlicht wurden. Laut der Studie wurden bereits nach der ersten Dosis bei über 90 Prozent der Probanden neutralisierende Antikörper in höheren Konzentrationen erzeugt. Nach 57 Tagen zeigten sogar 100 Prozent der Teilnehmer Antikörper. Johnson & Johnson hat im Februar den Zulassungsantrag bei der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) eingereicht. Das berichtet der CDU-Politiker Peter Liese, Arzt und Mitglied des Europäischen Parlaments, auf Twitter. Er zeigt sich über dieses „Hoffnungszeichen“ zuversichtlich.

Natürlich müsse die EMA zunächst die Daten genau prüfen und es sei „noch nichts sicher“, so Liese. Da aber der Impfstoff ähnlich funktioniere wie der von AstraZeneca, sei eine gute Wirksamkeit zu erwarten. Indes geht der Streit mit dem Impfstoffhersteller AstraZeneca weiter. Nun hat die EU-Kommission ihren Rahmenvertrag mit dem Konzern veröffentlicht. Wichtige Passagen des Dokuments vom August 2020 wurden allerdings unter Hinweis auf Geschäftsgeheimnisse geschwärzt. Darunter sind auch die für das erste Quartal vorgesehenen Liefermengen, um die ein heftiger Streit tobt. Wie die Brüsseler Behörde mitteilte, habe das Unternehmen der Veröffentlichung in dieser Form zugestimmt. Zu lesen ist in der Vereinbarung, dass sich AstraZeneca verpflichtet, nach „besten vernünftigen Bemühungen“ die Kapazitäten aufzubauen, um 300 Millionen Dosen für die EU herzustellen. Die EU sichert sich zudem die Option auf weitere 100 Millionen. Doch was bedeutet nach „besten vernünftigen Bemühungen“, im Wortlaut: „Best Reasonable Efforts“?

Die „Best Reasonable Efforts“-Klausel Für das Unternehmen AstraZeneca bedeutet das, den Kraftaufwand zu erbringen, den ein ähnlich großes Unternehmen, mit einer ähnlichen Infrastruktur und gleichen Ressourcen aufbringen würde, um einen Impfstoff zu entwickeln und herzustellen, der eine globale Pandemie beenden kann. Zudem ist in dem Vertrag festgehalten, dass AstraZeneca nach „besten vernünftigen Bemühungen“ in Werken innerhalb der EU und Großbritannien den Impfstoff produziert. Mit dieser Klausel hatte der Chef von AstraZeneca, Pascal Soriot, begründet, weshalb das Unternehmen weniger liefere. Sein Unternehmen habe sich nicht zu festen Liefermengen verpflichtet, es sei lediglich zugesichert worden, das Unternehmen werde sein „Bestes“ geben. Nach Angaben von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen galten diese Klauseln jedoch nur so lange, wie sich der Impfstoff in der Entwicklung befand.

Die Kommission hatte den Vertrag bereits im August abgeschlossen. Die EU-Kommission begrüßte gleichwohl die Bereitschaft des Unternehmens zu mehr Transparenz. Dies sei wichtig, um Vertrauen der Europäer aufzubauen und sicherzustellen, dass sie sich auf Wirksamkeit und Sicherheit der Corona-Impfstoffe in der EU verlassen könnten. Das britisch-schwedische Unternehmen will nun die Herstellung von Corona-Impfstoff beschleunigen und dabei eng mit der Firma IDT Biologika in Dessau zusammenarbeiten. In Sachsen-Anhalt sollen zusätzliche Produktionsanlagen entstehen. Man prüfe Möglichkeiten, die Auslieferung des Covid-19-Impfstoffs bereits im zweiten Quartal zu erhöhen, um den Bedarf in Europa decken zu helfen, erklärte AstraZeneca.

Ein neuer „Star“ taucht auf Der russische Corona-Impfstoff Sputnik V hat laut einer Studie im Fachblatt „The Lancet“ eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent – auch bei älteren Menschen. Damit erreicht er ähnliche Werte wie die Impfstoffe von BionTech/Pfizer (95 Prozent) und Moderna (94,5 Prozent). Die Studie bezieht sich auf „Zwischenergebnisse“ der Phase III, in der Freiwillige das Vakzin testeten. 20 000 Probanden waren in der Gruppe. Es habe nur milde, grippeähnliche Nebenwirkungen oder Druckschmerz im Arm gegeben, hieß es. Seit einem halben Jahr ist Sputnik V in Russland zugelassen, obwohl die Tests noch gar nicht abgeschlossen waren. Geimpft wird seit Dezember. Dieses Vorgehen war in die Kritik geraten. Ein „hochriskantes Experiment am Menschen“ hatte es damals der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, angesichts der Eile genannt.

Sputnik V bald auch in Deutschland? Da nun aber vielversprechende Daten vorliegen, scheint auch Deutschland der russischen Alternative nicht mehr abgeneigt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigen sich grundsätzlich offen für die Anwendung des russischen Corona-Impfstoffs Sputnik V auch hierzulande. Zumal der Mangel an anderen Impfstoffen die deutsche Impfstrategie arg in zeitliche Bedrängnis bringt. Russland hat der EU 100 Millionen Dosen in Aussicht gestellt. Dafür sei allerdings wie bei den anderen Impfstoffen eine bedingte Marktzulassung des Mittels notwendig.

In Prüfung: deutsch-russische Kooperation Der Entwickler des russischen Corona-Impfstoffes Sputnik V prüft eine Produktion seines Vakzins in Sachsen-Anhalt. Das bestätigte das Bundesgesundheitsministerium dem Rundfunksender MDR aktuell. Inhalte oder Einzelheiten von vertraulichen Gesprächen seien allerdings nicht bekannt. Der Kontakt nach Sachsen-Anhalt sei vom Entwickler des Vakzins, dem Moskauer Gamaleya-Institut, sowie dem staatlichen russischen Direktinvestmentfonds (RDIF) ausgegangen.

In mehr als 15 Ländern kommt der Impfstoff mittlerweile im Kampf gegen Corona zum Einsatz, darunter Argentinien, Brasilien, Bolivien, Tunesien, Algerien, Türkei, der Ukraine, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ungarn als einzigem EU-Mitgliedsstaat. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat indes noch kein grünes Licht gegeben: Nach ihren Angaben läge – entgegen den Behauptungen des Herstellers – noch kein Antrag zur Prüfung der Unterlagen vor. Man stehe aber mit dem Unternehmen im wissenschaftlichen Dialog («Rolling-Review-Verfahren»). Die Ergebnisse der Phase-III-Studie machen jedoch Hoffnung, dass Brüssel mit dem russischen Vakzin bald einen weiteren Impfstoff gegen das Coronavirus zulässt.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 03/2021 ab Seite 120.

Werner Hilbig, Apotheker und freier Journalist

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