© Mopic / fotolia.com

Seltene Erkrankungen von A bis Z

IMERSLUND- GRÄSBECK-SYNDROM

Erst 1960 wurde diese Krankheit zum ersten Mal beschrieben. Die betroffenen Personen können aufgrund von vererbten Mutationen kein Vitamin B12 aus der Nahrung aufnehmen.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Die Funktionen von Cobalamin im Körper sind vielfältig: Es ist wichtig für die Blutbildung und wird im Nervensystem benötigt. Außerdem spielt es eine Rolle bei der Zellteilung und bei der Nukleinsäuresynthese sowie im Aminosäure-, Kohlenhydrat und Fettsäurestoffwechsel. Unser Körper kann dieses wasserlösliche Vitamin nicht selbst herstellen, wir müssen es also mit der Nahrung aufnehmen. Gute Vitamin-B12-Lieferanten sind tierische Nahrungsmittel wie Fisch oder Fleisch, aber auch Milch, Käse und Eier. Doch genau diese Aufnahme aus der Nahrung funktioniert bei Patienten mit Imerslund-Gräsbeck-Syndrom nicht. Schuld daran sind Mutationen in den Genen AMN
oder CUBN. Sie kodieren für die Proteine mit den Namen Amnionless und Cubilin, die zusammen den Rezeptor für Vitamin B12 bilden. Normalerweise wird Vitamin B12 während des Verdauungsvorgangs
aus der Nahrung herausgelöst und bindet während der Passage durch den Dickdarm an ein Protein namens Intrinsic-Factor. Auf der Oberfläche der Dünndarmschleimhaut bindet dieser Komplex dann an
den Amnionless-Cubilin-Rezeptor , woraufhin beides in die Schleimhautzellen aufgenommen wird.

In den Zellen wird das Vitamin B12 freigesetzt, bindet dort an Transcobalamin und wird wiederum als Komplex auf der gegenüberliegenden Seite der Zelle in die Blutbahn abgegeben. Der Rezeptor wird recycelt und kehrt auf die Zelloberfläche zurück, um weiteres Vitamin B12 aufzunehmen. Bei Patienten mit Imerslund-Gräsbeck-Syndrom ist die Funktion dieses Rezeptors durch Mutationen in den kodierenden Genen gestört – Vitamin B12 kann nicht aus der Nahrung aufgenommen
werden. Die Erkrankung wird auch als selektive Vitamin-B12-Malabsorption mit Proteinurie
bezeichnet.

Symptome schwierig zu deuten Die Folgen im Körper sind vielfältig: Patienten zeigen eine megaloblastische Anämie, also eine Armut an roten Blutkörperchen, wobei die verbleibenden zu groß sind. Ihre Haut ist blass und sie leiden unter Müdigkeit. Typisch sind außerdem wiederkehrende gastrointestinale und/oder Atemwegsinfektionen. Bei etwa der Hälfte der Patienten
lässt sich darüberhinaus eine Proteinurie nachweisen. Dies liegt darin begründet, dass die Proteine Amnionless und Cubilin zusätzlich in der Niere an der Resorption bestimmter Proteine beteiligt sind. Während ein Teil der CUBN-Mutationen sowohl die Funktion des Proteins im Dünndarm als auch in der Niere stört, wirkt sich der andere Teil der Mutationen nur auf die Funktion im Dünndarm aus. Folglich weist nur ein Teil der Patienten eine Proteinurie auf. Trotz des Eiweißes im Urin ist die Nierenfunktion bei Patienten mit Imerslund-Gräsbeck-Syndrom aber nicht eingeschränkt. Schließlich gehören Gedeihstörungen sowie leichtere neurologische Störungen wie Kribbeln oder Taubheitsgefühle zu den Symptomen des Imerslund-Gräsbeck-Syndroms. Auch ein herabgesetzter Muskeltonus, Bewegungsstörungen und Aufmerksamkeitsstörungen können vorkommen. Die Symptome treten zwischen vier Monaten bis zu mehreren Jahren nach der Geburt auf. Ein Mangel an Transcobalamin
führt ebenfalls zu einer megaloblastischen Anämie und zur Störung der Vitamin-B12-Aufnahme aus dem Dünndarm. Hier treten die Symptome aber typischerweise bereits direkt nach der Geburt auf.

Epidemiologie Erstmals beschrieben wurde das Imerslund-Gräsbeck-Syndrom von der norwegischen Kinderärztin Olga Imerslund und dem finnischen Laborarzt Ralph Gräsbeck im Jahr 1960. In Norwegen
und Finnland beträgt die Prävalenz etwa 1:200 000. Weltweit sind insgesamt bislang etwa 400 bis 500 Fälle dokumentiert worden. Die Vererbung erfolgt autosomal rezessiv. Entsprechende Mutationen wurden bei Hunden gefunden, die ebenfalls ein Imerslund-Gräsbeck-Syndrom entwickeln können.

Diagnostik Ausgehend von einer megaloblastischen Anämie bei einem Kind mit schlechtem Gesundheitsstatus wird zunächst die Ursache der Anämie – in der Regel ein Mangel an Vitamin B12 oder Folsäure – ermittelt. Wenn fest steht, dass es sich um einen Vitamin-B12-Mangel handelt, müssen andere mögliche Ursachen dafür ausgeschlossen werden. Dazu zählt beispielsweise rein pflanzliche Ernährung, weil sie kein Vitamin B12 enthält. Ist die Vitamin-B12-Aufnahme ausreichend, gilt es die
gastrointestinale Morphologie und Funktion zu untersuchen. So kann beispielsweise eine Zöliakie zu einer generellen Malabsorption führen, von der auch Vitamin B12 betroffen ist. Schließlich kommen auch Störungen weiterer Schritte der Vitamin-B12-Absorption (Intrinsic-Factor, Transcoalamin) als Ursache infrage und müssen ausgeschlossen werden. Genetische Analysen werden zunehmend verfügbar.

Zusatzinformation
Therapie
Das Imerslund-Gräsbeck-Syndrom wird durch lebenslange parenterale Gabe von Vitamin B12 behandelt. Bei rechtzeitiger und konsequenter Therapie ist die Prognose sehr gut. Die Proteinurie bleibt in der Regel bestehen, ohne dass sich die Nierenfunktion verschlechtert.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 11/15 ab Seite 172

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

×