hängende Pflanzen
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Phytotherapie

HEILKRAFT DER NATUR

Die Phytotherapie hat einen festen Platz in der Selbstmedikation. Pflanzliche Arzneimittel, die ein aufwändiges Zulassungsverfahren durchlaufen haben, sind oft eine gute Alternative zu synthetischen Präparaten.

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Pflanzliche Zubereitungen sind in der Bevölkerung sehr beliebt und ihre Akzeptanz steigt. Die Kunden fragen vor allem nach natürlichen Alternativen gegen Erkältungskrankheiten, Magen-Darm-Beschwerden oder Schlaflosigkeit. Aber auch bei anderen Indikationen, die in der Selbstmedikation eine große Rolle spielen, werden Pflanzenpräparate zunehmend bevorzugt, wie Bevölkerungsumfragen immer wieder zeigen. Die steigende Nachfrage zieht einen wachsenden Beratungsbedarf nach, der uns zunehmend fordert, denn der Markt der pflanzlichen Präparate ist sehr heterogen und nicht immer leicht zu durchschauen. Selbst unter den in der Apotheke verfügbaren Präparaten pflanzlicher Herkunft existieren große Unterschiede.

Heilen mit Pflanzen Schon vor rund 6000 Jahren haben die Sumerer (4000 bis 2000 v. Chr.) Pflanzenauszüge hergestellt, um sie heilkundlich zu verwenden. Die Phytotherapie, also das Heilen mit Pflanzen, ist damit eine der ältesten Therapieformen. Später haben griechische und römische Ärzte wie Hippokrates (um 460 bis ca. 370 v. Chr.), Dioskurides (1. Jh. n. Chr.) oder Galen (2. Jh. n. Chr.) zahlreiche pflanzliche Zubereitungen gegen verschiedene Krankheiten eingesetzt. Berühmte Kräuterbücher des Mittelalters (z. B. Lorscher Arzneibuch) enthielten Pflanzenbeschreibungen und Rezeptsammlungen, die Grundlage für die damalige Heilkunde waren. Nonnen und Mönche kümmerten sich um Kranke und legten Kräutergärten an, in denen wichtige Heilkräuter angepflanzt wurden. Aufbewahrt wurden diese dann im Kloster in speziellen Räumen, in den apotheca.

Während lange Zeit die Anwendung der pflanzlichen Heilmittel eine Domäne des Erfahrungswissens blieb, begann man im 18. Jahrhundert über das traditionelle Wissen hinaus die Wirksamkeit von Heilpflanzen konkret zu belegen. Aber erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Arzneipflanzen und ihre Wirkungsweise systematisch erforscht. Inzwischen existieren hunderte von pflanzlichen Arzneimitteln, die strenge Regeln über ihre Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität als Voraussetzung für ihre Verkehrsfähigkeit erfüllen müssen.

Moderne Phytotherapie Während früher das Heilen mit Pflanzen eine praktizierte Kräuter-Medizin war, die vor allem auf Erfahrungswissen beruhte, versteht man heute unter Phytotherapie die Behandlung von Krankheiten mit pflanzlichen Arzneimitteln unter wissenschaftlichen evidenzbasierten Kriterien. Damit liegt ihrem Einsatz das gleiche naturwissenschaftliche Verständnis zugrunde, das die Schulmedizin auch bei der Verwendung von chemisch-synthetischen Arzneimitteln verfolgt. Für pflanzliche Arzneimittel gelten dieselben gesetzlichen Regelungen und damit Qualitätsstandards des Arzneimittelgesetzes (AMG), wie sie auch für Arzneimittel mit chemisch-synthetischen Arzneistoffen verbindlich sind. Das AMG stellt detaillierte Anforderungen für die Zulassung von Arzneimitteln durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Folglich müssen pharmazeutische Unternehmen die Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit des pflanzlichen Arzneimittels sicherstellen und unterliegen auch der strengen Arzneimittelüberwachung. Wichtiges Kriterium ist zudem ihre Zweckbestimmung. Pflanzliche Arzneimittel dienen wie chemisch-synthetische Arzneimittel der Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten oder krankhafter Beschwerden.

Pflanzliche Arzneimittel Die Zubereitungen aus Pflanzen und Pflanzenteilen werden in den üblichen Darreichungsformen (z. B. Tropfen, Tabletten, Dragees, Kapseln) sowie als Arzneitee angeboten. Homöopathische und anthroposophische Arzneimittel zählen im arzneimittelrechtlichen Sinne nicht zu den Phytopharmaka, selbst wenn sie pflanzlicher Natur sind. Ebenso sind aus Pflanzenextrakten isolierte Einzelstoffe (z. B. Morphin, Digitoxin) keine pflanzlichen Arzneimittel.

Nahrungsergänzungsmittel Prinzipiell sind nicht alle Präparate auf Pflanzenbasis, die in der Apotheke vertrieben werden, automatisch Arzneimittel. Unter den verschiedenen Mitteln pflanzlicher Herkunft gilt es zu differenzieren. Unter ihnen finden sich auch viele Nicht-Arzneimittel wie beispielsweise Nahrungsergänzungsmittel (NEM), die auch pflanzliche Inhaltsstoffe enthalten können und auf den ersten Blick einem Arzneimittel ähneln. Sie sind aber von den pflanzlichen Arzneimitteln abzugrenzen und den Lebensmitteln zuzuordnen. NEM unterliegen daher nicht dem Arzneimittel-, sondern den Regelungen des Lebensmittelrechts.

Ihr Inverkehrbringen ist auch nicht mit einer Zulassung und somit nicht mit Prüfungen auf Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität verbunden. Sie können hingegen sofort nach einer Anzeige beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BLV) in den Markt eingeführt werden. Voraussetzung dafür ist lediglich eine Überprüfung der produktbezogenen Aussagen von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit. Im Gegensatz zu Arzneimitteln, die eine kurative und präventive Wirkung erzielen sollen, sind NEM nicht dazu bestimmt sind, Krankheiten zu heilen oder zu verhüten. Sie dienen der Ergänzung der allgemeinen Ernährung. Daher dürfen sie weder krankheitsbedingte Aussagen treffen noch sich auf Indikationen festlegen. Obwohl eine Heilaussage unzulässig ist, sind allerdings im gewissen Rahmen indikationsähnliche Produktaussagen möglich, sodass es oftmals für den Laien nicht einfach ist, den Unterschied zu pflanzlichen Arzneimitteln zu erkennen.

Zugelassen ...Pflanzliche Arzneimittel unterliegen also der Zulassungspflicht, wobei allerdings einige Besonderheiten gelten. Die für die Zulassung benötigten Daten zur Wirksamkeit, Sicherheit und Unbedenklichkeit müssen bei Phytopharmaka nicht nur aus Ergebnissen pharmakologisch-toxikologischer und klinischer Studien bestehen. Daneben wird auch anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial wie beispielsweise Monographien, Erfahrungsberichte oder Bibliographien akzeptiert. Bei den meisten der in Deutschland zugelassenen Phytopharmaka wurden eigene Studien durch die wissenschaftliche Dokumentation ergänzt oder ersetzt. Die Antragstellung erfolgt dann unter Bezug auf die „allgemeine medizinische Verwendung“ (well-established use). Dafür muss der Antragsteller nachweisen, dass die Wirkstoffe des Arzneimittels seit mindestens zehn Jahren medizinisch etabliert sind und eine anerkannte Wirksamkeit sowie akzeptable Unbedenklichkeit haben.

HMPC-MONOGRAPHIEN
Das für die Zulassung pflanzlicher Arzneimittel und die Registrierung traditioneller pflanzlicher Arzneimittel benötigte wissenschaftliche Erkenntnismaterial setzt sich in der Regel aus den Monographien der Arzneibücher (Europäisches Arzneibuch, Deutsches Arzneibuch, gegebenenfalls auch die Arzneibücher anderer EU-Mitgliedstaaten) und weiteren verschiedenen Monographie-Sammlungen zusammen. Lange stellten in Deutschland die Monographien der Kommission E den aktuellen Kenntnisstand zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Phytopharmaka dar. Da diese Abhandlungen aber seit 1994 nicht mehr aktualisiert wurden, spiegeln sie heute nicht mehr den offiziellen Standard wieder. Stattdessen haben sich inzwischen die seit 2004 veröffentlichten Monographien des Ausschusses für pflanzliche Arzneimittel (Herbal Medicinal Products Committee/HMPC) der Europäischen Arzneimittelagentur (European Medicines Agency/EMA) etabliert. Die HMPC-Monographien sind zwar in Deutschland nicht rechtsverbindlich, sollen aber von den nationalen Behörden für die Zulassung von pflanzlichen Arzneimitteln und Registrierung traditioneller pflanzlicher Arzneimittel zugrunde gelegt werden.

... oder registriert Davon zu unterscheiden ist die Registrierung von traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln. Auch bei dem vereinfachten Registrierungsverfahren muss wie bei der Zulassung ein Nachweis der Qualität erfolgen, allerdings reicht hier eine eidesstattliche Erklärung des Herstellers aus, in der er sich für die Qualität seines Produkts verbürgt. Eine generelle Prüfung durch das BfArM ist nicht gegeben. Für den Beleg der Unbedenklichkeit genügen wiederum Literaturdaten. Wesentliche Erleichterungen gibt es vor allem bei der Wirksamkeit. Sie gilt als plausibel, wenn der Nachweis der pharmakologischen Wirkungen oder der Wirksamkeit über einen „Traditionsbeleg“ erfolgt (traditional use), der eine über 30-jährige medizinische Verwendung (davon mindestens 15 Jahre in der Europäischen Union) beinhaltet. Traditionelle pflanzliche Arzneimittel sind nicht nur in Apotheken erhältlich, sie werden teilweise auch in Drogerieund Verbrauchermärkten angeboten (freiverkäufliche Arzneimittel).

Zubereitung ist entscheidend Phytopharmaka unterscheiden sich aber nicht nur im Zulassungsstatus. Sie differieren auch in den Produktionsbedingungen, die einen ganz entscheidenden Einfluss auf die Wirksamkeit haben können. Angefangen beim Anbau der Arzneipflanze über das Herstellungsverfahren bis hin zu der daraus erhaltenen Zubereitung existieren große Unterschiede. So nehmen beispielsweise unterschiedliche Standortbedingungen der Pflanzen, der verwendete Pflanzenteil, ihr Zerkleinerungsgrad, die Lagerung, das Herstellungsverfahren oder das Extraktionsmittel einen großen Einfluss auf das Spektrum und den Gehalt der Inhaltsstoffe und damit auf die Qualität und Wirksamkeit der Zubereitung. Für die Beurteilung der Qualität und Wirksamkeit von Phytopharmaka darf also nicht einfach die Arzneipflanze zugrunde gelegt werden. In der Phytotherapie gilt heute immer eine zubereitungsbezogene Betrachtungsweise.

 

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