Schädel © RoboFly / iStock / Getty Images
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Pharmaziegeschichte

HEILEN MIT DRECK UND KRÄUTERN

Im Mittelalter und noch weit darüber hinaus hatten Krankheiten leichtes Spiel. Da es um die Heilkunde noch schlecht bestellt war, bestimmte eine große Portion Aberglaube das Behandlungsgeschehen.

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Schon seit Urzeiten sucht der Mensch nach Mitteln und Wegen, um Ungleichgewichte im Körper zu harmonisieren und gesundheitliche Plagen zu lindern. Jedes Zeitalter hat allerdings seine eigenen Vorstellungen, wie Krankheiten entstehen und wie man ihnen am besten zu begegnen hat. Das zeigt zumindest ein Blick in den medizinischen Alltag der Epochen. Bevor sich die Medizin als Wissenschaft etablierte, produzierten viel gerühmte Wunderheiler und Quacksalber viel Schall und Rauch.

Leben mit dem Tod Im Mittelalter war nur wenigen Menschen ein hohes Lebensalter vergönnt. Vor allem Kriege und Epidemien rafften ganze Landstriche dahin. Da die Medizin noch in den Kinderschuhen steckte, konnten aber auch die kleinsten Gebrechen den raschen Tod bedeuten. Mangelnde Hygiene, aber auch Hunger und Immunschwäche taten ihr übriges, um die Ausbreitung von Krankheiten noch zu begünstigten.

Hilfe durch überliefertes Wissen Gegen Seuchen waren die Menschen machtlos, Alltagsleiden versuchten sie jedoch selbst in den Griff zu bekommen; mit traditionellen Hausmitteln, die von einer Generation zur anderen weitergegeben wurden. Heilmittel der Volksheilkunde waren in der Natur zu finden oder beruhten auf Substanzen, die im Haushalt eine wichtige Rolle spielten. Nach selbst kreierten Rezepturen mischten die Menschen heimische Kräuter und Pflanzen mit Wachs zu Salben oder kochten Tee daraus.

Großer Beliebtheit erfreuten sich sogenannte Universalmittel, denn diese versprachen ein breites Spektrum an Krankheiten zu kurieren. Meist kamen sie als Latwerge zur Anwendung, das heißt in Form eines steifen Breies, der neben etlichen Arzneidrogen und mineralischen Bestandteilen stets noch Honig enthielt. Der Theriak war eine der beliebtesten Latwergen jener Zeit. Ehe dieser im 16. Jahrhundert auch hierzulande zubereitet wurde, bezogen deutsche Apotheker das begehrte Allheilmittel zunächst aus Venedig.

Ärzte, Bader und andere Heilkundige Wer an ernsthaften Gebrechen litt, war auf praktische Heiler, also auf Bader, Chirurgen und Wundärzte angewiesen. Sie zogen Zähne, richteten ausgerenkte und gebrochene Gliedmaßen, setzten Blutegel an und griffen, da vom Operationsverbot der Kirche nicht betroffen, zum Skalpell. Studierte Ärzte widmeten sich vor allem der inneren Medizin und beschäftigten sich mit den Schriften des klassischen Altertums. Hippokrates und Galen galten als Autoritäten, an denen damals kein Mediziner zweifelte.

Antikes Erbe Für viele Jahrhunderte war man überzeugt, dass das Wohlbefinden des Menschen über die Körpersäfte gesteuert wird: Geriet das Gleichgewicht von Blut, Schleim und gelber und schwarzer Galle in Unordnung, dann brachen Krankheiten über den Organismus herein. Daher war das Ziel jeder Behandlung, das Säftegleichgewicht wieder ins Lot zu bringen. Für ihre Diagnosen beriefen sich die Heilkundigen auf die Harnschau.

Dazu wurde Morgenurin (beim ersten Hahneschrei) gesammelt und ausgiebig – im frischen Zustand und nach mehreren Stunden – begutachtet. Gefragt waren rasch wirkende Methoden. Anwendungen wie Schwitzen, Erbrechen, Abführen sowie der Aderlass zählten zu den Standardempfehlungen, um die im Übermaß vorhandenen schädlichen Säfte auf natürlichem Weg aus dem Körper zu leiten. Unter dem Begriff Purgantia fasste man sämtliche Reinigungsmittel zusammen, die abführend, schweiß- und harntreibend wirkten.

Heilende Scharfrichter Organische Bestandteile Hingerichteter schienen von besonderen Geheimnissen umwittert. Der Glaube an die heiltätige Kraft von Leichenteilen prägte daher gelehrte Mediziner ebenso wie die Vertreter der Volksheilkunde. Armesünderfett galt als Grundlage hochwertiger Salben und durfte deshalb in keiner Apotheke fehlen. Stammte es aus jungen Körpern, deren Lebenskraft noch unverbraucht war, galt es als besonders wertvoll. Die einzige Möglichkeit, sich diese heilmagische Substanz zu verschaffen, war der Gang zum Scharfrichter. Im Unterschied zu den gelehrten Ärzten, denen das Öffnen des menschlichen Körpers verboten war, ging der Scharfrichter ganz legal mit Leichen um. Er exekutierte nicht nur, sondern verdiente auch an der Leichenmedizin.

Nichts für empfindliche Leut´ In einer Zeit, in der Aberglaube das Denken gravierend mitbestimmte, stießen auch Heilmittel wie die aus der Dreckapotheke auf reges Interesse. Ihr Name lässt es bereits vermuten: Dreckarzneien hatten ihren Ursprung in tierischen oder menschlichen Ausscheidungen; je widerlicher sie stanken, desto besser versprachen sie zu helfen. Christian Franz Paullini war wohl der bedeutendste Verfechter dieser ekelerregenden Rezepturen. 1643 in Eisenach geboren, besuchte der Sohn einer Kaufmannsfamilie etliche Schulen, bevor er sich dem Studium der Medizin und Theologie zuwandte.

1689 nahm er in seiner Heimatstadt den Posten eines herzoglichen Stadtphysikus an. Als erfolgreich praktizierender Arzt kam der Gelehrte viel herum. Seine Forschungen führten ihn in das Umfeld von Laienmedizinern, wo zum Kurieren vor allem Dreckarzneien zum Einsatz kamen. Pferdekot sollte gegen Zahnschmerzen helfen, Hasenurin Taubheit beseitigen, Schafsdung offene Wunden heilen und ein Umschlag aus Kuhmist den Müttern zur Milchbildung verhelfen. Paullini sammelte die Rezepturen und fasste sie erstmals zu einem ausführlichen Lehrwerk zusammen.

Im Kot und Urin liegt die beste Medizin Der Arzt und Universalgelehrte empfahl Dreck in vielen Darreichungsformen: als Mixturen, Pulver, Pflaster und Salben, als Tränke und Pillen und in Form von Klistieren und Gurgelwässern. Den höchsten Stellenwert räumte er den Ausscheidungen von Menschen und daraus zubereiteten Arzneimitteln ein. Am liebsten verwendete er Fäkalien und Asche aus Menschenkot für seine Rezepturen. Einer Erklärung für ihre vermeintliche Wirksamkeit blieb er allerdings schuldig.

Apotheke für die Armen Paullini war ein sozial denkender Mensch. Mit seiner Sammlung medizinischer Praktiken, in der sich auch pflanzliche und mineralische Heilmittel fanden, wollte er nämlich in erster Linie den mittellosen Kranken zu billigen Heilmitteln verhelfen; als Alternative zu jenen Arzneien, die aus teuren Gewürzen und Importdrogen hergestellt waren.

Vom Arzt zum Bestseller-Autor Vieles klingt absurd, manches half vielleicht wirklich. Die heilsame Dreckapotheke des Christian Franz Paullini hat jedenfalls Medizingeschichte geschrieben. Sein über 700 Seiten langer Wälzer gilt als die ausführlichste Darstellung von Dreckrezepten. Heute würde wohl kein Therapeut die abstrusen Behandlungsmethoden noch ernsthaft in Betracht ziehen. Damals war das anders. Als 1696 die erste Ausgabe der „heilsamen Dreckapotheke“ erschien, wurde sie schlagartig zum Bestseller ihrer Zeit.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/18 ab Seite 98.

Dr. Andrea Hergenröther, Apothekerin

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