Wer suchet, der findet

GIFTMORDE, TEIL 3

Bis vor etwa 200 Jahren war es kaum möglich, toxische Substanzen im menschlichen Organismus aufzuspüren. Dass ein Giftmord heute unentdeckt bleibt, ist unwahrscheinlich – aber nicht unmöglich!

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Giftmorde haben bis heute kaum etwas von ihrer schaurigen Faszination verloren, obwohl sie mittlerweile doch aus der Mode gekommen sind. Was bringt es auch, den eifersüchtigen Ehemann oder die steinreiche Erbtante mit Arsen, Eisenhut oder Thallium ins Jenseits zu befördern, wenn das Gift wenig später doch einwandfrei im Körper des Leichnams identifiziert und der Täter so überführt werden kann?

Hochmoderne Analysemethoden wie die Hochdruck-Flüssigkeitschromatografie, oft gekoppelt mit Verfahren der Massenspektrometrie, lassen kaum einem Gift die Chance, unentdeckt zu bleiben. Und so verwundert es nicht wirklich, dass Giftmorde heute eher Seltenheitswert haben.

„Die Aufdeckung von Giftmorden gehört nicht zum Alltag forensischer Toxikologen. Ich jedenfalls kenne klassische Fälle von Giftbeibringungen auch nur aus Erzählungen“, bestätigt auch Dr. Justus Beike, Leiter der Toxikologie am Institut für Rechtsmedizin der Universität Köln. „Wir Toxikologen sind eher gefragt, wenn es zum Beispiel um die Aufklärung von Suiziden durch zentral wirksame Arzneistoffe oder um den Nachweis illegaler Betäubungsmittel geht.“

DREI FRAGEN AN …
… den Forensischen Toxikologen Dr. Justus Beike, Leiter der Toxikologie am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Köln.

Urin, Blut, Haare?Welche Körperflüssigkeiten bzw. Organe eines Toten werden benötigt, um Toxine nachweisen zu können?
Wir Toxikologen nehmen, was wir kriegen können – und das hängt ganz entscheidend von den Ursachen und Umständen des Todes ab. Klassischerweise werden nach dem Tod jedoch zumindest drei Proben untersucht – eine Blutprobe aus der Oberschenkelvene, eine Probe des Mageninhalts und
eine Urinprobe. Dabei reichen schon kleine Mengen, um zuverlässige Untersuchungsergebnisse zu bekommen. Können Blut und Urin nicht mehr gewonnen werden, sind Proben aus Muskel-, Nieren- und Lebergewebe gute Alternativen.

Was können Sie anhand dieser Proben erkennen?
Das Blut gibt Aufschluss über Substanzen, die zum Zeitpunkt des Todes im Organismus gewirkt haben. Der Mageninhalt über Stoffe, die kurz vor dem Tod aufgenommen – und oft schon resorbiert – wurden. Und der Urin sagt, was in einer Zeitspanne bis zu einigen Tagen vor dem Tod aufgenommen wurden. Durch die Analyse der Proben können wir meist zuverlässig Antwort auf folgende Fragen geben: Hat eine bestimmte Substanz zum Tod geführt? Stand die Person zum Zeitpunkt des Todes unter Einfluss einer zentral wirksamen Substanz?

Wie lange lassen sich Toxine nach dem Tod im menschlichen Organismus nachweisen?
Das hängt ganz entscheidend von der jeweiligen Substanz ab. Kokain und viele Psychopharmaka beispielsweise werden post mortem sehr schnell abgebaut, während sich unter anderem Kohlenmonoxid und Strychnin noch lange nachweisen lassen. Schier endlos nachweisbar in organischer Substanz sind Schwermetalle wie Blei, Quecksilber, Arsen und Thallium, die sich unter anderem in Knochen ablagern.

Giftige Vergangenheit Giftmorde als seltene Vorkommnisse? Das war bis vor etwa 200 Jahren noch ganz anderes. Da wurde vergiftet, was das Zeug hielt. Nicht immer nur, um ungeliebte Ehepartner oder Erblasser loszuwerden, sondern auch aus politischen Motiven, beispielsweise während der italienischen Renaissance.

„In Sizilien und Neapel beschaffte man sich Aqua Toffana, eine als Kosmetikum getarnte Tinktur, die vermutlich aus mehreren hochtoxischen Substanzen bestand. Die Fläschchen waren zwar mit Bildern des Heiligen Nikolaus versehen, aber wenige Tropfen daraus wirkten tödlich“, schreibt die österreichische Autorin und Krimiexpertin Helga Schimmer in ihrem Buch „Giftmord – Gerichtschemiker in ihrem Element“ (Verlag Kremayr & Scheriau, Wien). „Mehrere hundert Menschen, unter ihnen auch Päpste, fanden durch die Anwendung des mörderischen Cocktails ein vorzeitiges Ende.“

Viele Giftmischer kamen ungeschoren davon, war die Wissenschaft doch nicht in der Lage, eine Vergiftung sicher nachweisen zu können. Wurde der Täter nicht gleich auf frischer Tat ertappt, verlor sich seine Spur meist im Nebel.

Marshsche Probe Das änderte sich etwa zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Chemiker forschten nun intensiv nach zuverlässigen Methoden zum Nachweis giftiger Substanzen, allen voran dem berühmten Arsen, das aufgrund seiner Geruch- und Geschmacklosigkeit lange Zeit als nahezu ideale Mordwaffe galt und nicht umsonst als „Erbschaftspulver“ bezeichnet wurde. Der französische Chemiker Professor Mathieu Orfila (1787 bis 1853), der als Begründer der Toxikologie und erster Giftexperte Europas gilt, befasste sich intensiv mit dem tödlichen Halbmetall.

Der sichere Nachweis von Arsen(III)-oxid (Arsenik) im menschlichen Organismus gelang jedoch einem zeitgenössischen Kollegen, dem britischen Chemiker James Marsh (1794 bis 1846). Im Jahr 1836 entwickelte er die so genannte Marshsche Probe, die auf einer chemischen Reaktion basiert: Arsenik wird durch naszierenden Wasserstoff zu gasförmigem Arsenwasserstoff reduziert. Diese Verbindung zerfällt durch Hitze zu schwarzem, elementarem Arsen und Wasserstoff und kann so nachgewiesen werden.

Durch die Marshsche Probe ließ sich bereits eine sehr geringe Menge von 0,1 Milligramm Arsen entdecken. „Einer breiten Öffentlichkeit wurde der Marsh-Test durch einen Aufsehen erregenden Mordprozess im französischen Tulle bekannt“, berichtet Helga Schimmer in ihrem Buch. Im Jahr 1840 wurde Marie Lafarge angeklagt, ihren Ehemann mit Arsen vergiftet zu haben. Der Leichnam wurde exhumiert, Giftexperte Orfila reiste aus Paris an, führte die Marshsche Probe korrekt durch und konnte das Gift im Körper des Toten nachweisen. Marie Lafarge wurde verurteilt – und die Zahl der Arsenmorde ging von nun an deutlich zurück.

Als ein Pionier der Toxikologie gilt auch der belgische Chemiker Jean Servais Stas (1813 bis 1891), der Mitte des 19. Jahrhunderts als Erster bei einem Giftmord eingesetztes Nikotin nachwies. Seine Schrift „Gerichtsmedizinische Untersuchung über das Nikotin“ ist ein frühes Werk der modernen Toxikologie.

High-Tech-Trennverfahren Verglichen mit heutigen qualitativen und quantitativen Analyseverfahren zum Nachweis toxischer Substanzen wirken die Methoden von Marsh, Stas & Co. ziemlich antiquiert. „Die Geschichte der heutigen modernen Toxikologie ist eng mit der Entwicklung chromatografischer Trennverfahren verbunden“, erläutert Dr. Justus Beike.

Der Begriff Chromatografie umfasst alle physikalischchemischen Trennmethoden, mit denen Substanzgemische durch Verteilung zwischen zwei Phasen, nämlich einer mobilen und einer stationären, in ihre Komponenten aufgetrennt werden. Um Substanzen aus organischem Material zu trennen, wurden zunächst die Papierund später die Dünnschichtchromatografie entwickelt. Weiterentwicklungen dieser analytischen Verfahren sind die Gaschromatografie (GC) und die Flüssigchromatografie (englisch: Liquid Chromatography, LC), die heute in toxikologischen High-Tech-Labors eingesetzt werden.

Die GC ist für die Analyse von Stoffgemischen geeignet, deren Komponenten sich ohne Zersetzung verdampfen lassen, während mit der Flüssigchromatografie auch nicht flüchtige Stoffe analysiert werden können. „Mit diesen Methoden finden wir in einer Probe all jene Substanzen, nach denen wir konkret suchen“, informiert der Experte von der Uniklinik Köln. „Mit der Flüssigchromatografie fahnden wir beispielsweise nach Arzneistoffen wie Psychopharmaka und anderen dämpfend wirkenden Substanzen, mit der Gaschromatografie unter anderem nach illegalen Betäubungsmitteln wie den ,modernen’ Drogen.“

Schnell identifiziert Noch schnellere Ergebnisse als die herkömmliche Flüssigchromatografie liefert dagegen die Hochdruck- Flüssigkeitschromatograf ie (englisch: High Performance Liquid Chromatography, HPLC). Der Unterschied zur LC liegt nicht nur im Druck, sondern auch im Säulendurchmesser und der Teilchengröße.

Bei der HPLC werden die zu untersuchenden Proben zusammen mit einem Fließmittel, mobile Phase genannt, mit sehr hohem Druck durch sehr dünne Trennsäulen gepumpt. Diese enthalten die stationäre Phase (z. B. chemisch modifiziertes Kieselgel). Besser lösliche Substanzen werden langsamer, schlechter lösliche rascher durch die Säulen gepresst. Dem Gerät ist ein Detektor angeschlossen, der die Ankunft jeder Stoffkomponente am Ende der Trennsäulen registriert.

Durch Kopplung mit einem Massenspektrometer ist es nicht nur möglich, Substanzen zu trennen, sondern auch zu identifizieren und ihre genaue Konzentration zu bestimmen. Selbst Millionstel Gramm einer Substanz können oft noch nachgewiesen werden. „Die Analysemethoden sind sehr präzise und wenn wir Anhaltspunkt dafür haben, nach welchen Substanzen wir suchen sollen, finden wir sie sicher.

Schwieriger wird es, wenn kein konkreter Verdacht besteht. Dann bleibt ein gewisses Restrisiko, dass eine Substanz übersehen und damit unentdeckt bleibt. Das ist vor allem bei solchen pflanzlichen oder tierischen Toxinen denkbar, die schwer nachweisbar sind“, erklärt der Forensische Toxikologe. Ist der perfekte Giftmord also doch noch möglich? „Theoretisch sicherlich, aber in der Praxis müssten schon viele für den Giftmörder günstige und für die Wissenschaft ungünstige Faktoren zusammenkommen“, ist Beike überzeugt.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 08/11 ab Seite 76.

Andrea Neuen-Biesold, Freie Journalistin

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