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Rohmilch

GESCHMACK CONTRA GESUNDHEIT

Dank Rohmilch haben viele Käsesorten einen wunderbaren Geschmack, doch leider manchmal auch gefährliche Bakterien. In der Europäischen Union gibt es daher strenge Regeln.

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Als Rohmilch bezeichnet man frisch gemolkene Milch von Kuh, Schaf oder Ziege, die ohne Erhitzen weiterverarbeitet wird. Sie wird nach dem Melken lediglich gefiltert und dann gekühlt. Dadurch enthält sie noch alle Mikroorganismen, leider auch die potenziell schädlichen.

Denn die Milch kann zum Beispiel durch mangelnde Hygiene im Stall oder beim Melken mit Krankheitserregern wie Salmonellen, Listerien oder E.-coli-Bakterien belastet sein. Da diese dann nicht durch Erhitzung abgetötet und zum Teil auch vom aeroben zum anaeroben Stoffwechsel wechseln wie etwa Listerien, können sie sich selbst noch in vakuumverpackten Produkten vermehren und damit zu einem Gesundheitsrisiko werden.

Zunehmend ein Problem Gerade die Zahl der lebensmittelbedingten Listeriose-Infektionen ist in den vergangenen Jahren angestiegen. Der Erreger ist ein Umweltkeim, der sich fast überall findet und für gesunde Menschen selten ein Problem ist. Er verursacht manchmal grippeähnliche Symptome, oder auch Magen-Darm-Beschwerden, die aber von selbst wieder abklingen.

Für Kinder, ältere Menschen, Immungeschwächte und Schwangere kann eine Listeriose – wie auch eine Infektion durch die anderen Keime – aber sehr gefährlich werden. Denn bei einer Immunschwäche kann der Erreger verschiedene Organe angreifen und Hirnhaut- oder Bauchfellentzündungen auslösen. Schwere Verläufe mit einer Sepsis und Todesfolge sind bekannt. Bei Schwangeren können die Listerien auf das Ungeborene übergehen. Im ersten Trimester führt das möglicherweise zu Fehlgeburten, während im späteren Verlauf der Schwangerschaft das Risiko für Tot- oder Frühgeburten sehr hoch ist.

Von den infizierten Kindern, die zur Welt kommen und direkt nach der Geburt Symptome zeigen, stirbt jedes Dritte an der Listeriose. Da die Schwangeren meist nur leichte Infektionssymptome zeigen, die schnell übersehen werden können, sollten werdende Mütter generell auf Rohmilchprodukte verzichten.

Hitze tötet Keime ab In Deutschland gibt es Rohmilch entweder nur als „Milch ab Hof“ direkt vom Bauernhof, oder als „Vorzugsmilch“ gekennzeichnet in einigen wenigen Geschäften. Früher ließ man die Rohmilch ungekühlt einen Tag stehen, wobei sich durch die Milchsäurebakterien Dickmilch bildete. Kauft man heute solche Produkte im Supermarkt, sind sie ausnahmslos aus erhitzter Milch hergestellt, ebenso wie alle sonstigen Milchprodukte wie Jogurt, Quark oder Frischkäse.

Auch Milch wird hier zu Lande zum Großteil pasteurisiert angeboten. Dabei wird sie etwa 30 Sekunden lang auf bis zu 75 °C, oder vier Sekunden lang auf mindestens 85 °C erhitzt und danach sofort wieder abgekühlt. Durch diesen Prozess wird das Milcheiweiß nur geringfügig denaturiert und alle anderen Nährstoffe bleiben bestehen. Frische Milch verändert sich durch das Pasteurisieren also weder im Geschmack noch im Nährwert. Mikroorganismen wie Listerien oder Salmonellen werden jedoch durch das Erhitzen abgetötet. Dadurch ist die Milch auch länger haltbar, gekühlt bis zu wenigen Wochen.

Weniger Allergien?
Einige Menschen sind der Ansicht, dass Rohmilch das Immunsystem stärkt. Sie stützen sich dabei auf Untersuchungen, die besagen, dass Kinder, die frühzeitig mit Bauernhofkeimen in Berührung kamen, später weniger Allergien entwickelten. Wie aussagekräftig diese Studien sind, ist umstritten. Außerdem: Der wichtigste Inhaltsstoff, das Mineral Kalzium, wird durch Pasteurisieren oder Ultrahocherhitzen nicht zerstört, denn er ist hitzestabil. Dem eventuellen Vorteil einer Ernährung mit Rohmilch steht also das belegte Gesundheitsrisiko für Immunschwache entgegen – auch für Kinder, deren Immunsystem noch nicht voll ausgebildet ist.

Hitzeresistenten Bakterien wie etwa Chlostridium botulinum oder einigen Schimmelpilzen kann das Pasteurisieren jedoch nichts anhaben. Um diese Erreger unschädlich und damit die Milch zu 100 Prozent keimfrei zu machen, muss sie sterilisiert werden. Dabei wird sie für wenige Sekunden auf 135 bis 150 °C erhitzt und danach ebenfalls sofort wieder gekühlt. UHT-Milch ist dann abgepackt mehrere Monate auch ohne Kühlung haltbar. Bei diesem Verfahren denaturiert das Eiweiß stärker, auch werden zum Beispiel Vitamine zerstört. Dieser Prozess setzt sich nach dem Abfüllen fort. Nach einigen Monaten können so aus der UHTMilch bis zu zwei Drittel der Vitamine verloren gegangen sein.

H-Milch ist ein Produkt, das zusätzlich zum Ultrahocherhitzen noch homogenisiert wird (dafür steht das „H“, nicht etwa für „hocherhitzt“). Beim Homogenisieren werden die Fetttröpfchen unter hohem Druck zerkleinert, um der Trennung von Rahm und Wasser entgegenzuwirken und die Milch so länger als homogene Flüssigkeit zu erhalten.

Veränderter Geschmack Genau das ist einer der Gründe, warum es immer noch Rohmilchanhänger gibt, wenn auch nicht für den Genuss der Milch selbst, sondern für die Produkte, die aus ihr gewonnen werden. Rohmilchkäse ist eine Delikatesse und, wenn von guter Qualität, mit einem Käse aus pasteurisierter Milch nicht zu vergleichen. Rohmilch wird zur Käseherstellung zwar auch erhitzt, aber nur auf 40 °C, was nicht ausreicht, um die Bakterien abzutöten. Das ist auch gar nicht erwünscht, denn er reift aufgrund der Mikroorganismen ständig nach und verändert dadurch auch immer wieder seinen Geschmack. Ein Käse aus pasteurisierter Milch schmeckt hingegen heute genauso wie in zwei Wochen.

Rohmilch als Produktmerkmal Einige Käsesorten dürfen traditionell nur aus Rohmilch (franz.: au lait cru) hergestellt werden. Dazu gehören der Allgäuer Emmentaler oder der Allgäuer Bergkäse, aber auch spezielle Camembertsorten. Manche Käsesorten können, müssen aber nicht aus Rohmilch hergestellt werden.

In Deutschland müssen Rohmilchprodukte, sowohl verpackt als auch von der Käsetheke oder dem Direktvermarkter, immer gekennzeichnet sein, denn nicht jeder weiß, dass zum Beispiel auch Roquefort, Parmesan, Manchego oder diverse Fetasorten Rohmilch enthalten können. Generell gilt jedoch: Bei Rohmilchhartkäse nimmt die Gefahr der Keimbelastung mit zunehmender Reife ab.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 03/14 ab Seite 130.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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