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Gefahrstoffe

GEFÄHRLICH, ABER NICHT KOMPLIZIERT

Wenn ein Kunde an den HV-Tisch tritt und einen Wunsch über eine Chemikalie in Reinform äußert, ist ihm wahrscheinlich nicht bewusst, was sein Gegenüber nun alles zu beachten hat. Und das ist einiges …

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Nicht erst seit der Erfindung des Internets haben Kunden Ideen, wie sie am besten ihr Bad reinigen oder den Garten von unerwünschtem Ungeziefer befreien können. Wünsche nach Chemikalien kennen kaum Grenzen: Von Buttersäure für den nicht anwesenden Ehegatten über 96 prozentigen Alkohol, um Parfüm herzustellen, bis hin zu Bittermandeln für die heimische Weihnachtsbäckerei. Meist reichen wenige Wochen Erfahrung im Handverkauf aus, um sich ein Arsenal an witzigen Anekdoten zuzulegen. Nun stellt sich allerdings die Frage, wie sich das Gesetz mit dem ein oder anderen tollkühnen Kundenwunsch in Einklang bringen lässt. Sie als PTA stehen dabei in der Apotheke an vorderster Front. Der Auftrag ist klar: Mitmenschen, die Umwelt und nicht zuletzt den Kunden selbst vor den Auswirkungen der Stoffe zu schützen. In den folgenden Ausgaben zeigen wir Ihnen, wie Sie sich in ebensolchen Situationen am besten wappnen können. Außerdem möchten wir Ihnen die gesetzlichen Grundlagen näherbringen, auf denen das Ganze beruht.

Global Harmonised System Die Weltgemeinschaft hat sich vor circa 30 Jahren Gedanken gemacht, wie Mensch und Umwelt besser vor Chemikalien zu schützen sind. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Firmen immer mehr global agieren und Urlauber immer häufiger auch in ferne, fremde Länder reisen, musste ein neues allgemein geltendes System her. So wird eine problemlose Erkennung von Gefahren trotz Sprachbarrieren garantiert. Im Jahr 1992 beschloss die UN ein solches System einzuführen. Im Lauf der nächsten 17 Jahre entwickelte sich die Grundlage für das heutzutage in der EU und der ganzen Welt geltende Gefahrstoffrecht.

Das „Global Harmonised System“ zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien, kurz GHS, wurde am 20. Januar 2009 in Europa durch die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 umgesetzt. Die sogenannte CLP-Verordnung: classification, labelling and packaging of substances and mixtures (zu deutsch: Verordnung über Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen) wurde verabschiedet. Die weltweite Empfehlung der UN ist seitdem geltendes europäisches Recht und regelt eine einheitliche Einstufung und Kennzeichnung in Europa. Auch die dazugehörigen Sicherheitsdatenblätter wurden im Zug der Angleichung neu verfasst und an den neuesten Wissensstand angepasst sowie vereinheitlicht. Seit Dezember 2010 werden Stoffe mit den Vorgaben der CLP-Verordnung eingestuft und entsprechend gekennzeichnet.

Bis Dezember 2012 hatte die chemisch agierende Industrie Zeit sich vollends auf das neue System einzustellen. Gemische beziehungsweise Zubereitungen dürfen seit dem 1. Dezember 2010 nach dem neuen System gekennzeichnet werden. Ab dem 1. Juni 2015 wurde die Kennzeichnung zur Pflicht, die zugestandene Abverkaufszeit lief zum 1. Juni 2017 aus. Seit knapp zwei Jahren gilt nun vollständig die Kennzeichnung der CLP-Verordnung für alle sich im Umlauf befindlichen Stoffe. Diese Regelungen beziehen sich sowohl auf apothekenpflichtige Gefahrstoffe, als auch auf frei verkäufliche Waren aus dem Baumarkt oder der Drogerie. Vom Haarspray im Badezimmer bis hin zum Rasendünger im Garten werden die Einteilungen und Kennzeichnungen nun für alles verwendet, was eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen könnte.

Gefahrstoffe Welche Stoffe genau darunterfallen wird ebenfalls in der CLP-Verordnung definiert. Darin ist zu lesen, dass Stoffe und Gemische gefährlich sind, wenn Sie bestimmte Eigenschaften aufweisen. Diese werden tabellarisch in Anhang I Teile zwei bis fünf aufgeführt. Abgesehen von den verschiedenen Verbindungen, die ein Stoff eingehen kann, wird auch zwischen den Aggregatzuständen der jeweiligen Verbindung unterschieden. Auf der Internetseite www.eur-lex.europa.eu/homepage.html ist die Verordnung unter der Nummer 32008R1272 für die Öffentlichkeit zugänglich. Ebenfalls sind dort im erwähnten Anhang alle Gefahrstoffe aufgeführt.

Gefahrstoffeinteilung Laut CLP-​Verordnung gibt es drei wichtige Einteilungsgrundlagen für Gefahrstoffe. Es werden Bereiche, Klassen und Kategorien definiert. Drei große Gefahrenbereiche decken grob alle Gefahren ab, die von Stoffen grundsätzlich ausgehen können. Bereich eins bezeichnet physikalische und chemische Gefahren, Bereich zwei beinhaltet toxikologische Gefahren beziehungsweise Gesundheitsgefahren und Bereich drei beschäftigt sich mit den Gefahren, die für die Umwelt bedeutend sind. Um die Gefahren genauer beschreiben zu können, wurden diese in Klassen eingeteilt. Die physikalischen und chemischen Gefahren werden in 16 Klassen unterteilt. Darunter fallen zum Beispiel die „explosiven Stoffe“.

Die Klassen beachten dabei auch die verschiedenen Aggregatzustände, falls dies sinnvoll ist. So gibt es zum Beispiel eine eigene Klasse für „entzündbare Flüssigkeiten“ und eine weitere für „entzündbare Feststoffe“ oder auch „entzündbare Gase“. Bei der späteren Kennzeichnung der verschiedenen Gefäße macht sich die Einteilung deutlich erkennbar. Der zweite Bereich der Gesundheitsgefahren wird in zehn Gefahrenklassen unterteilt. Als Beispiel gibt es die Klasse „Akute Toxizität“ oder „Schwere Augenschädigung/Augenreizung“. Der letzte Bereich der Umweltgefahren wird in 2 Klassen eingeteilt. Zum einen „gewässergefährdend“ und zum anderen „ozonschichtschädigend“. Bei der ersten wird nochmal „akut und chronisch wassergefährdend“ voneinander abgegrenzt.

Als dritter Einteilungsbereich werden sogenannte „Gefahrenkategorien“ beschrieben. Sie sagen aus, wie schwerwiegend die ausgehende Gefahr ist. Nachdem ein Stoff einer Klasse zugeteilt ist, wird er also weiter in eine der Kategorien eins bis sieben aufgestuft, je nachdem wie gefährlich er vergleichsweise in seiner Klasse ist. Kategorie eins bezeichnet die höchste Gefahrenstufe. Bis zu Kategorie sieben vermindert sich das jeweilige Gefahrenpotenzial. Zu beachten ist, dass nicht für jede Klasse alle sieben Kategorien zur Verfügung stehen. So werden Stoffe, von denen eine „akute Toxizität“ ausgeht, nur in vier Kategorien unterteilt.

Die spätere Etikettierung eines Abgabegefäßes oder eines Standgefäßes in der Rezeptur mit Piktogrammen, Signalwörtern und Hinweisen des Aufbewahrungsgefäßes hängt schlussendlich von der Kategorie ab. Für den Apothekenalltag ist das Hintergrundwissen zur Etikettierung der Gefäße sehr wichtig. Wie genau die verschiedenen Auszeichnungen praktisch im Alltag angewendet werden sollen, welche Assoziationen sie auslösen und insbesondere zu welchem praktischen Handeln oder Unterlassen sie animieren sollen, wird im nächsten Beitrag behandelt.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/19 ab Seite 96.

Manuel Lüke, Apotheker, PTA-Lehrer für Gefahrstoffkunde

Gefahrstoffe können nicht nur für den Mensch, sondern auch für die Umwelt schädlich sein.

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