Die Hände von 3 Personen, die im Kreis stehen: Eine Person in brauner Lederjacke hält einen 50-Euro-Schein und ein Plastiktütchen mit roten Tabletten, eine Person in braunem Pullover hält ein Tütchen mit Cannabis und eine braune Glasampulle, eine Person in blauem Pullover hält ein kleineres Tütchen mit weißem Pulver.© KatarzynaBialasiewicz / iStock / Getty Images Plus
Der Konsum und die Produktion illegaler Drogen sind gestiegen.

EU-Drogenbericht 2022

ANGEBOT UND KONSUM ILLEGALER DROGEN STEIGEN WIEDER

Im Juni, kurz vor dem Weltdrogentag, stellte die Europäische Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA ihren Drogenbericht 2022 vor. Mit ernüchternden Ergebnissen. Drogenangebot und -konsum haben sich längst von der Pandemie erholt. Mehr noch: Handel und Produktion sind immer schwerer zu kontrollieren.

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„Überall. Alles. Jeder.“ Mit diesen drei Worten fasst Europas oberster Drogenexperte Alexis Goosdeel die Botschaft des aktuellen EU-Drogenberichts zusammen. Etablierte Drogen seien noch nie so leicht zugänglich gewesen wie im Moment – und zwar überall in Europa. Zudem tauchten ständig neue potente Substanzen auf, so der Direktor der EU-Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) mit Sitz in Lissabon.

Nahezu alle Substanzen mit psychoaktiven Eigenschaften könnten heute als Droge eingestuft werden, vor allem weil die Grenzen zwischen legalen und illegalen Substanzen immer weniger trennscharf seien. Und damit könne dann auch jede und jeder betroffen sein – direkt, als Drogenkonsument, oder indirekt, weil „Drogenprobleme die meisten anderen wichtigen gesundheitlichen und sozialen Herausforderungen, mit denen wir heute konfrontiert sind, verschärfen“, so Goosdeel.

Drogenangebot und -konsum mindestens auf Vorkrisenniveau

Insgesamt zeichnet der am 14. Juni veröffentlichte EU-Drogenbericht, der auf Daten aus 2020 und 2021 basiert, ein düsteres Bild. Nach dem Rückgang des Drogenkonsums in Europa zu Beginn der COVID-19-Pandemie haben sich Drogenangebot und -konsum rasch erholt und sind inzwischen wieder auf Vorkrisenniveau – teilweise auch schon darüber hinaus. Bei Kokain zum Beispiel übersteigt die Verfügbarkeit schon jetzt die Werte vor der Pandemie. Dass der Konsum wieder zunimmt zeigen die Abwasseranalysen in europäischen Städten: Zwischen 2020 und 2021 stieg vor allem die Konzentration von Kokain, Crack, Amphetamin und Methamphetamin in den Abwässern.

Aber auch bei Cannabis – der beliebtesten illegalen Droge in der EU – hat sich die Situation europaweit verschärft:

  • Die Produkte werden immer vielfältiger,
  • der THC-Gehalt in den Produkten steigt,
  • ebenso der Konsum insgesamt,
  • die Zahl der Neueinsteiger und
  • die Zahl der Notfälle, bei denen Cannabis eine Rolle spielt (in der Regel in Kombination mit anderen Substanzen).

Gleichzeitig wird das politische Umfeld in Bezug auf Cannabis immer komplexer. So ist zum Beispiel die medizinische Verwendung von Cannabis oder Cannabinoiden in den meisten EU-Staaten erlaubt. Die nationalen Regelungen unterscheiden sich jedoch erheblich.

Hinzu kommen Bestrebungen in einigen Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, eine Cannabispolitik für den Freizeitbereich zu entwickeln. Diese Modelle sehen unter anderem einen legalen Anbau und Verkauf von Cannabis vor. Aber auch hier sind die nationalen Ansätze sehr unterschiedlich.

Wie steht es um Drogenproduktion und -handel?

Neben Angebot (Verfügbarkeit) und Konsum illegaler Drogen beobachtet die EMCDDA auch die Aktivitäten bei der Produktion von und dem Handel mit illegalen Drogen. Auch für diese Bereiche verzeichnet der aktuelle Bericht einen anhaltenden Anstieg. Besonders besorgniserregend seien dabei die Partnerschaften zwischen europäischen und internationalen kriminellen Netzwerken.

Diese hätten unter anderem zur aktuellen Rekordverfügbarkeit von Kokain und zur Herstellung von Methamphetamin im industriellen Maßstab in Europa geführt. „Dies birgt die Gefahr eines erhöhten Konsums und damit einhergehender Schäden“, so Ylva Johansson, EU-Kommissarin für Migration und Inneres. Die EU wolle dieser Entwicklung sowohl kriminalistisch als auch durch angepasste Drogen- und Sicherheitsstrategien entgegenwirken.

Drogenpolitik in Europa

Dabei soll die EMCDDA künftig eine zentrale Rolle spielen. Aktuell umfasst das Mandat der Drogenbeobachtungsstelle vor allem die Bereitstellung umfassender und vergleichbarer Daten auf EU-Ebene (zum Beispiel unabhängige wissenschaftliche Analysen zu illegalen Drogen, zur Drogenabhängigkeit und zu den Folgen für die Gesundheit der EU-Bürger). Dieses Mandat soll deutlich erweitert werden.

Bereits im Januar 2022 hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die Beobachtungsstelle zu einer EU-Agentur auszubauen, die wesentlich aktiver in die Bekämpfung von Produktion, Handel und Konsum illegaler Drogen eingreifen kann. Zum Beispiel durch den Aufbau eines Netzes kriminaltechnischer und toxikologischer Labore oder durch Präventions- und Sensibilisierungskampagnen. Das neue Mandat wird aktuell im Europäischen Parlament und im Rat (Vertretung der Mitgliedstaaten) geprüft.  

Zentrale Ergebnisse aus dem EU-Drogenbericht 2022

Hier finden Sie Zahlen, Daten und Fakten aus dem aktuellen Drogenbericht der EMCDDA.

Jede Woche eine neue gefährliche psychoaktive Substanz

  • 2021 wurden über das EU-Frühwarnsystem (EWS) 52 neue Drogen erstmals gemeldet. Darunter sechs neue synthetische Opioide, 6 synthetische Cathinone und 15 neue synthetische Cannabinoide. Insgesamt beobachtet die EMCDDA damit 880 neue psychoaktiven Substanzen.
  • 6,9 Tonnen neuer psychoaktiver Substanzen wurden 2020 in Europa (27 EU-Mitgliedstaaten, Türkei und Norwegen) sichergestellt. Davon 3,3 Tonnen synthetische Cathinone, die häufig als Ersatz für herkömmliche Stimulanzien (z. B. Kokain, MDMA) verkauft werden

Cannabisbleibt die beliebteste illegale Droge in Europa.

  • Cannabisprodukte werden immer vielfältiger. Dazu gehören vor allem Extrakte und Edibles (Lebensmittel) mit hohem THC-Gehalt sowie Cannabidiol -Produkte mit niedrigem THC-Gehalt.
  • Der durchschnittliche THC-Gehalt von Cannabisharz lag 2020 bei 21 Prozent und damit fast doppelt so hoch wie der von Cannabiskraut (11 %); damit hat sich der Trend der letzten Jahre, in denen Cannabiskraut in der Regel einen höheren Wirkstoffgehalt aufwies, umgekehrt.

Produktion, Handel und Verfügbarkeit von Drogen in Europa nehmen zu.

  • Allein 2020 wurden mehr als 350 illegale Drogenproduktionslabore ausgehoben, darunter einige groß angelegte Produktionsstätten für Kokain, Methamphetamin und Cathinone.
  • Rekordverfügbarkeit von Kokain: 2020 wurden in der EU 213 Tonnen Kokain sichergestellt (202 Tonnen in 2019), und 23 Labore ausgehoben (15 Labore in 2019).
  • Auch bei Amphetamin stellten die EU-Mitgliedstaaten 2020 eine Rekordmenge von 21,2 Tonnen sicher (15,4 Tonnen in 2019), und hoben 78 Amphetamin-Labore aus (38 in 2019). Der Bericht zeigt, dass in Europa immer mehr Methamphetamin-Produktionsanlagen mittlerer und großer Größe ausgehoben werden.
  • Die Zahl der ausgehobenen MDMA-Labore (29) blieb 2020 relativ stabil. Zudem wurden 15 Produktionsstandorte für Cathinone ausgehoben (5 in 2019) und 860kg Vorläufersubstanzen für deren Herstellung beschlagnahmt (438 in 2019). Auch wenn sie weniger verbreitet sind, wurden 2020 in der EU illegale Labore ausgehoben, die Heroin, Ketamin, GBL und DMT herstellen.
  • Die Drogenmärkte im Darknetgehen zurück. Ende 2021 lagen die geschätzten Einnahmen bei knapp unter 30 000 Euro pro Tag (gegenüber 1 Mio. Euro pro Tag in 2020). Stattdessen etablieren sich Soziale Medienund Sofortnachrichten-Apps als sicherere und bequemere Bezugsquelle.

Maßnahmen zur Behandlung und Schadensminimierung müssen ausgeweitet werden.

  • 2020 gab es in der EU schätzungsweise eine Million Hochrisiko-Opioidkonsumierende. Davon erhalten etwa 50 Prozent eine Opioid-Agonisten-Behandlung (OAT), die einen Schutzfaktor gegen Überdosierungen darstellt. Allerdings bestehen zwischen den einzelnen Ländern große Unterschiede und das Behandlungsangebot ist in vielen EU-Mitgliedstaaten nach wie vor unzureichend.
  • Nur Tschechien, Spanien, Luxemburg und Norwegen erreichen 2020 die Ziele der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Bereitstellung von 200 Spritzen pro Jahr pro injizierender Person sowie die Versorgung von mindestens 40 % der Hochrisiko-Opioidkonsumierenden im Rahmen einer OAT.
  • Der injizierende Konsum von Heroin ist rückläufig. Bei einer breiten Palette von Substanzen (Amphetamine, Kokain, synthetische Cathinone, verschriebene Opioide und andere Arzneimittel) wächst jedoch die Sorge über den injizierenden Konsum, der mit schwerwiegenden Gesundheitsproblemen (Infektionskrankheiten, Überdosierung, Todesfälle). verbunden ist.
  • Etwa 5800 Todesfälle durch Überdosierung illegaler Drogen wurden 2020 in der EU verzeichnet, die meisten mit einer polyvalenten Intoxikation (in der Regel Kombinationen aus illegalen Opioiden, anderen illegalen Drogen, Arzneimitteln und Alkohol).
  • Neben der hohen Verfügbarkeit von Kokain in Europa deuten Berichte darauf hin, dass der Crack-Konsumzunehmen könnte. Crack wird in der Regel geraucht, kann aber auch injiziert werden und steht im Zusammenhang mit einer Reihe von gesundheitlichen und sozialen Schäden (zum Beispiel Infektionskrankheiten und Gewalt). 2020 nahmen in Europa schätzungsweise 7000Klienten und Klientinnen wegen Crack-Problemen eine Drogenbehandlung auf. ahmen. Seit 2016 hat sich diese Zahl verdreifacht. 

Quellen:
Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (2022), Europäischer Drogenbericht 2022: Trends und Entwicklungen, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Luxemburg (Download in Deutsch und 24 weiteren Sprachen): https://www.emcdda.europa.eu/publications/edr/trends-developments/2022_en
European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA), Pressemitteilung vom 14. Juni 2022: Drug supply and use bounce back after COVID-19 disruption (in Englisch): https://www.emcdda.europa.eu/news/2022/8/european-drug-report-2022-highlights_en
Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 12. Januar 2022: Wachsender illegaler Markt: Kommission schlägt stärkeres Mandat für EU-Agentur für Drogen vor https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_22_302

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