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Schlaf – Teil 8

ES WERDE LICHT

Vielfach wird es nachts nicht mehr richtig dunkel – vor allem in den Ballungsräumen. Ob und welche Folgen das für unseren Schlaf und unsere Gesundheit hat, ist noch unerforscht.

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Dass der Wechsel zwischen hell und dunkel, also Tag und Nacht, unseren Lebensrhythmus entscheidend beeinflusst, steht außer Frage. Die meisten von uns sind tagsüber wach und schlafen nachts. Damit werden auch eine ganze Reihe weiterer Körperfunktionen reguliert: So sinken nachts Körpertemperatur und Blutdruck, die Herzfrequenz verlangsamt sich und der Stoffwechsel läuft auf Sparflamme.

Von zahlreichen Hormonen ist bekannt, dass ihre Ausschüttung tageszeitlich schwankt – die bekanntesten sind vermutlich Melatonin und Kortisol. Grundsätzlich dient die Nacht der Regeneration. Zentral gesteuert wird die zirkadiane Rhythmik von einem inneren Uhrwerk, das beim Menschen im Gehirn im Hypothalamus, genauer gesagt im Nucleus suprachiasmaticus lokalisiert ist. Aber auch jede einzelne Zelle und damit jedes Organ besitzt eine eigene Uhr, die alle vom SCN synchronisiert werden. Dieser produziert seinen eigenen endogenen Rhythmus, der etwas mehr als 24 Stunden dauert.

Durch äußere Zeitgeber – besonders das Licht – wird er immer wieder aufs Neue auf den Tag-Nacht-Rhythmus genau eingestellt. Es kommt zu Problemen und Schlafstörungen, wenn innere Uhr und äußere Zeitgeber nicht mehr zueinander passen. So brauchen wir bei einem Jetlag mehrere Tage, bis sich die innere Uhr dem am Zielort herrschenden Tag-Nacht-Rhythmus angepasst hat. Bis dahin sind wir zu unpassenden Zeiten müde beziehungsweise schlaflos. Verminderte Fitness und Denkvermögen, Stimmungsschwankungen und gastrointestinale Störungen können dazukommen.

Ernster wird es bei Menschen, die dauerhaft im Schichtdienst arbeiten. Es ist bekannt, dass sie – neben Schlafstörungen – häufiger an Herz-Kreislauf-Symptomen, Übergewicht und Typ-2-Diabetes leiden. Ein möglicher Zusammenhang zwischen bestimmten Formen der Schichtarbeit und bestimmten Krebsarten wird diskutiert. Aber nicht nur Menschen, auch Tiere und Pflanzen reagieren auf Licht und folgen einem Tag-Nacht-Rhythmus.

Das Gleichgewicht ganzer Ökosysteme hängt von den fein aufeinander abgestimmten Aktivitäts- und Ruhezeiten verschiedener Tierarten ab. So begegnen sich manche Arten – beispielsweise tag- und nachtaktive Tiere – nie. Für andere dagegen ist es essenziell, dass ihre Beutetiere zur gleichen Zeit aktiv sind wie sie selbst. Pflanzen benötigen den Tag-Nach-Rhythmus für die Fotosynthese.

Lichtverschmutzung Seit Erfindung der Elektrizität wird die Nacht immer heller. Vor allem in den großen Ballungsräumen wird es nachts gar nicht mehr richtig dunkel. Von hier sind in klaren Nächten bestenfalls noch einzelne hellere Sterne zu erkennen. Sternenfreunde schlagen Alarm, dass weltweit Millionen Kinder von ihrem Wohnort aus die Milchstraße nicht mehr sehen können.

Nicht umsonst bauen Astronomen ihre Teleskope in möglichst abgelegene und dunkle Gegenden. Wie hell die Städte leuchten, erkennt man auf nächtlichen Satellitenaufnahmen der Erde. Man sieht es auch, wenn man nachts auf eine Großstadt zufährt: Schon von weitem ist die Lichtglocke, unter der sie liegt, nicht zu übersehen.

»Einer Hochrechnung zufolge sterben in Deutschland während der dreimonatigen sommerlichen Flugperiode fast 100 Milliarden Insekten allein an Straßenlaternen.«

Lichtverschmutzung beschreibt die Tatsache, dass das natürliche (geringe) nächtliche Licht durch künstliches Licht überstrahlt und damit „verschmutzt“ wird. Experten unterscheiden dabei zwei Arten von Strahlung: Erstens die Strahlung, die direkt von den Lichtquellen ausgeht, also von Straßenlaternen, Werbetafeln, Schaufensterbeleuchtung, Gebäudeanstrahlung, Lichtern in privaten Wohnungen und Autoscheinwerfern. Und zweitens den sogenannten Sky Glow, bei dem diese Strahlung durch feinste Schwebeteilchen in der Luft vielfach reflektiert wird.

Neutraler als das Wort Lichtverschmutzung ist das von Wissenschaftlern genutzte „Artificial Light At Night“ (künstliches Licht in der Nacht, ALAN). Studien gehen davon aus, dass zwischen zehn und 20 Prozent der Erdoberfläche davon betroffen sind – Tendenz mit etwa sechs Prozent Zunahme pro Jahr deutlich steigend. Abgesehen davon, dass ALAN die Nacht an sich aufhellt, ist auch das Spektrum des ausgesendeten Lichts von Bedeutung. Auch wenn hier die Bandbreite stark variiert, so zeigt sich insgesamt doch ein Trend zu weißeren Lichtarten.

Jahr des Lichts Die UNESCO hat dieses Jahr zum Internationalen Jahr des Lichts ausgerufen. Es geht um wissenschaftliche Fragestellungen rund um das Licht und seine Anwendungen, die Technologie und kulturelle Aspekte. Alles mehr als berechtigte Schwerpunkte, keine Frage. Einer lautet auch „Licht in der Natur“, aber im Sinne von faszinierenden Nordlichtern und anderen optischen Phänomenen. Doch potenzielle Nebenwirkungen von zu viel Licht, wenn es eigentlich dunkel sein sollte? Sie kommen nur ganz am Rande vor.

Interdisziplinäre Forschung In Deutschland hat vor einigen Jahren der Forschungsverbund „Verlust der Nacht“ begonnen, die Auswirkungen der Erhellung der Nacht durch künstliches Licht zu untersuchen, denn bislang ist darüber kaum etwas bekannt. Eines der Projekte beschäftigt sich mit der Rolle von Melatonin in diesem Zusammenhang. Normalerweise wird es nur während der Dunkelheit synthetisiert und macht uns müde, Helligkeit unterdrückt die Produktion.

Ist der Unterschied zwischen hell und dunkel nicht mehr so deutlich, so könnte auch das Melatonin-Signal schwächer ausfallen, so die Hypothese, und damit die Synchronisierung des SCN mit der Umwelt sowie die aller Uhren im Körper miteinander leiden. Dass verschiedene Tierarten durch künstliches Licht beeinflusst werden können, steht außer Frage. Stichwort Insekten: Statt Futter zu suchen und sich fortzupflanzen, vergeuden viele ihre Energie, indem sie nachts um Lichtquellen herumfliegen, nicht selten bis zum Tod durch Erschöpfung.

Einer Hochrechnung zufolge sterben in Deutschland während der dreimonatigen sommerlichen Flugperiode fast 100 Milliarden Insekten allein an Straßenlaternen. Ob und welche Folgen dieses Massensterben mittel- und langfristig für das gesamte Ökosystem haben könnte, ist noch nicht erforscht. Immerhin nehmen Insekten eine wichtige Position in der Nahrungskette ein, zudem sind sie für die Bestäubung zahlreicher Pflanzenarten essenziell. Auch für zahlreiche andere Tierarten ist bekannt, dass sie durch künstliches Licht beeinflusst werden. Forschung und Wissen über die genauen Zusammenhänge bilden die Voraussetzung dafür, für die Zukunft Beleuchtungskonzepte mit möglichst geringen negativen Folgen für Mensch und Umwelt zu entwickeln.

Die anderen Teile der Artikelreihe finden Sie hier:
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5
Teil 6
Teil 7

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/15 ab Seite 98.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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