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Krankheiten im Kindesalter

ENTSPANNT BLEIBEN

Nächtliches Einnässen, tägliches Einnässen und auch Einkoten sind häufige Störungen im Kindesalter. Meist lassen sie sich gut behandeln – Druck sollte dabei vermieden werden.

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Die Kontrolle über Blase und Darm entwickelt sich bei Kindern erst mit der Zeit. Wie beim Krabbeln, Laufen und Sprechen ist es auch mit dem Trockenwerden: Manche Kinder sind früher dran und andere brauchen etwas länger. Nicht selten sind daran auch die Gene beteiligt: Sind die Eltern eher spät trocken geworden, ist es bei ihrem Nachwuchs häufig ebenfalls so. Ihren Stuhlgang können die meisten Kinder bis zum Alter von vier Jahren kontrollieren, die Blase bis zum Alter von fünf Jahren. Doch die meisten sind eben nicht alle. Etwa zwei bis drei Prozent der Vierjährigen koten noch ein (Enkopresis), rund zehn Prozent der Siebenjährigen (Jungen doppelt so häufig wie Mädchen) machen nachts noch ins Bett (Enuresis), bei ungefähr sechs Prozent geht tagsüber Urin daneben (Inkontinenz).

Eine Ausscheidungsstörung im Sinne einer Enuresis, funktionellen Harninkontinenz oder Enkopresis liegt dann vor, wenn sich keine organischen Ursachen finden lassen. Im Alter von 13 Jahren ist jeweils noch rund ein Prozent aller Kinder betroffen. Selbstverständlich sind die Eltern dann beunruhigt und den meisten betroffenen Kindern ist es peinlich – der Leidensdruck ist hoch. Die gute Nachricht: Alle drei Störungsbilder lassen sich gut behandeln. Wichtig ist eine genaue Diagnose, denn davon hängt die Therapie ab. Bei manchen Kindern kommen die Störungen auch kombiniert vor. Beginnen sollte die Therapie ab einem Alter von fünf Jahren, wobei zuerst die Stuhlinkontinenz, dann die Harninkontinenz tagsüber und schließlich das nächtliche Einnässen behandelt werden. Bei einem erheblichen Anteil der Kinder liegt außerdem eine psychische Störung vor, die ebenfalls behandelt werden muss. Dazu gehören ADHS, Störungen des Sozialverhaltens sowie depressive und Angststörungen. Belastende psychische Umstände wie Trennung der Eltern, Geburt eines Geschwisterchens oder Umzug können ebenfalls eine Rolle spielen und sollten therapeutisch adressiert werden. Rund 15 Prozent werden von selbst trocken.

Enkopresis Jungen sind drei- bis viermal häufiger von Enkopresis betroffen als Mädchen. Die Enkopresis lässt sich danach aufteilen, ob zusätzlich eine Verstopfung vorliegt oder nicht. Bei einer Obstipation verweilt der Stuhl länger im Darm als gewöhnlich, dickt ein und wird hart. Entsprechend kann der Stuhlgang von Schmerzen begleitet sein, schmerzhafte Schleimhauteinrisse sind möglich. Bei länger bestehender Verstopfung lässt die Darmperistaltik nach und das Rektum kann sich ausweiten. Etwa ein Drittel der Kinder, die einkoten, nässen auch ein. Das ist besonders dann der Fall, wenn gleichzeitig eine Obstipation vorliegt, weil das ausgeweitete Rektum auf die Blase drückt. Liegt eine Verstopfung vor, muss diese zuerst behandelt werden.

Dafür nehmen die Kinder über mehrere Monate Macrogol ein, um den Stuhl aufzuweichen; gegebenenfalls können zu Beginn auch Einläufe nötig sein. Auf eine ausgewogene Ernährung mit angemessener Trinkmenge ist zu achten. Gleichzeitig werden die Kinder an einen regelmäßigen Stuhlgang gewöhnt, indem sie morgens, mittags und abends nach den Mahlzeiten, wenn die natürliche Darmperistaltik einsetzt, für zehn Minuten auf Toilette gehen. Dort dürfen sie CD hören, Gameboy spielen oder sonst etwas Angenehmes tun. Nach dieser Zeit ist der Toilettengang beendet, egal ob sie Stuhlgang hatten oder nicht. Für ihre Kooperation erhalten die Kinder eine kleine Belohnung; Unfälle werden nicht bestraft. Für die meisten Kinder reichen diese Maßnahmen aus, um das Problem zu beheben. Für hartnäckigere Fälle existieren spezielle Schulungsprogramme.

Funktionelle Harninkontinenz Die häufigsten Formen der Harninkontinenz tagsüber sind die überaktive Blase (Dranginkontinenz), die Harninkontinenz bei Miktionsaufschub und die Detrusor-Sphinkter-​Dyskoordination. Bei einer überaktiven Blase verspüren die Kinder häufig Drangsymptome und sie weisen eine erhöhte Miktionsfrequenz von mehr als siebenmal am Tag auf, wobei nur kleine Urinvolumina ausgeschieden werden. Bei der Harninkontinenz bei Miktionsaufschub versuchen die Kinder gewohnheitsmäßig, den Toilettengang aufzuschieben, zum Beispiel indem sie die Beine überkreuzen. Das führt zu weniger als vier Miktionen pro Tag bei großen Miktionsvolumina. Liegt eine Dyskoordination von Detrusor und Sphinkter vor, müssen die Kinder zu Beginn der Miktion pressen, und der Harnfluss ist unterbrochen. Bei allen Formen kommt prinzipiell die sogenannte Standardurotherapie zum Einsatz.

Sie besteht aus Information, Instruktionen zum optimalen Blasen- und Darmentleerungsverhalten (inklusive Trinkverhalten), Dokumentation von Symptomatik und Miktionsverhalten sowie regelmäßiger Unterstützung und Betreuung. Sie wird durch spezielle, an die jeweilige Form angepasste Therapiemaßnahmen ergänzt: So werden die Kinder bei Dranginkontinenz speziell instruiert, den Harndrang rechtzeitig wahrzunehmen und ohne Haltemanöver auf die Toilette zu gehen. Reicht das alleine nicht aus, kann im zweiten Schritt entweder eine TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation) oder eine Pharmakotherapie mit einem Anticholinergikum zum Einsatz kommen. Bei Miktionsaufschub werden die Kinder gebeten, zu regelmäßigen Zeiten auf Toilette zu gehen (was dokumentiert wird). Bei einer Detrusor-​Sphinkter-Dyskoordination schließlich hat sich die Bio-​Feedback-Behandlung als sehr wirksam erwiesen.

Enuresis Eine Enuresis liegt vor, wenn ein Kind älter als fünf Jahre alt ist, über eine Dauer von mindestens drei Monaten mit einer Frequenz von mindestens einer Episode pro Monat nachts einnässt und keine organischen Ursachen vorliegen. Auch bei der Enuresis ist die allgemeine Urotherapie die Basis der Behandlung. Dabei wird zunächst über vier Wochen die Einnässhäufigkeit dokumentiert – diese Maßnahme alleine reicht aus, dass etwa jedes siebte Kind trocken wird. Für alle anderen kommen nun entweder eine Klingelhose oder eine Klingelmatte zum Einsatz – beide klingeln (und/oder vibrieren), wenn sie nass werden.

Wichtig ist, dass das Kind dann vollständig aufwacht und zur Toilette geht, um den restlichen Urin auszuscheiden. Danach werden die Geräte neu angelegt; und der gesamte Verlauf wird dokumentiert. Etwa drei Viertel der Kinder werden mit dieser Methode im Verlauf von einigen Wochen bis Monaten trocken. Falls dies nicht funktioniert, kann das ADH-Analogon Desmopressin (ADH = antidiuretisches Hormon) als Pharmakotherapie eingesetzt werden. Wichtig ist immer eine gute Mitarbeit von Eltern und Kindern, wobei die Eltern ihren Kindern immer das Gefühl geben sollten, dass sie es unterstützen und an es glauben.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/2020 ab Seite 100.

Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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