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Sepsis

EIN KLINISCHER NOTFALL

Wenn die Immunantwort bei einer bakteriellen Infektion überreagiert, sodass lebenswichtige Funktionen gefährdet sind, liegt eine Sepsis vor. Da die genaue Diagnose nicht einfach ist, wird die Therapie oft erst verzögert eingeleitet.

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Obwohl das Wort ‚Sepsis‘ eng mit der modernen Intensivmedizin verknüpft ist, geht es doch bis ins Altertum zurück. Hippokrates machte das griechische Wort für Fäulnis zum festen Begriff. Mehr als tausend Jahre später beobachtete der persische Arzt Ibn Sina, dass die Fäulnis des Blutes mit Fieber einhergeht. Heutzutage erkranken an einer Septikämie oder Blutvergiftung in Deutschland jährlich rund 280 000 Personen, Erwachsene wie Kinder. Etwa 70 000 Betroffene sterben daran.

So ist die Blutvergiftung die dritthäufigste Todesursache, doch nur die Hälfte der Deutschen kennt überhaupt das Wort Sepsis. Die Erkrankung erhält also viel zu wenig Aufmerksamkeit. Für die WHO ist die Sepsis dagegen ein vorrangiges Gesundheitsproblem, das nachhaltiger anzugehen sei. So stimmten die Delegierten in der Weltgesundheits-Versammlung vom 26. Mai 2017 einer Resolution zu, in der die Vorbeugung, Diagnose und Behandlung der Sepsis deutlich verbessert werden soll.

Lebensbedrohliche Fehlfunktion Sepsis, das ist eine komplexe systemische Entzündungsreaktion des Körpers auf eine Infektion. Die Vitalfunktionen Atmung, Flüssigkeitshaushalt und Blutgerinnung sind dabei akut gefährdet. Von dem US-amerikanischen Intensivmediziner Roger C. Bone stammt die nach wie vor gültige Definition: „Sepsis ist eine Invasion von Mikroorganismen und/oder ihrer Toxine in den Blutstrom und die Reaktion des Organismus auf diese Invasion“. Drei Stadien werden laut deutscher Sepsis-Hilfe unterschieden: Bei der einfachen Form breiten sich die Erreger beziehungsweise ihre Toxine im ganzen Körper aus, es kommt zu einer Bakteriämie.

Bei der schweren Sepsis versagen einzelne Organe, oft die Lunge oder die Niere. Gleich mehrere Organe fallen beim septischen Schock aus, dem sogenannten Multiorganversagen. Charakteristisch ist ein akutes Lungen- und Nierenversagen, eine zunehmende Gerinnungsstörung und massiver Blutdruckabfall. Die Gefäße erweitern sich, die Blut-Flüssigkeits-Verteilung gerät durcheinander. Auch bei ausreichender Flüssigkeitszufuhr benötigen diese Patienten Medikamente, um den Blutdruck zu stabilisieren.

Akut gefährdete Patienten können zudem in ein künstliches Koma versetzt werden, damit ihre Organe die Schädigung überstehen. Will man eine Sepsis behandeln, ist es grundlegend, den Infektionsherd zu finden und zu beseitigen. Das sind oft Katheter, Herzklappen, Implantate oder auch Abszesse. Anschließend ist die Gabe von Antibiotika und eine Flüssigkeitsinfusion zur Kreislaufstabilisierung nötig.

Am Anfang steht eine Infektion Bei den Erregern der Sepsis handelt es sich sehr häufig um Streptokokken, Enterokokken und multiresistente Staphylokokkus aureus-Stämme (MRSA). Deren Toxine gelangen vom Infektionsherd in die Blutbahn. In den letzten Jahrzehnten wird auch eine Zunahme von Sepsis beobachtet, die durch Pilze verursacht wird. Während sich Neugeborene über den Nabel infizieren können, gehen die Infektionen bei Erwachsenen von Harnwegsinfekten mit Urosepsis aus, von Wundinfektionen der Haut, Mandelentzündungen, Beatmungs-assoziierten Lungenentzündungen, von Enterotoxinen aus der Darmflora, von einer infektiösen Endokarditis oder von Entzündungen der Gallenwege.

Dass es noch weitere Faktoren gibt, die das Risiko für eine Sepsis erhöhen, zeigten die Ergebnisse einer epidemiologischen Studie. Eine Zuweisung auf die Intensivstation erhöht das Risiko, denn 50 Prozent der Patienten kommen bereits mit einer im Krankenhaus erworbenen, sogenannten nosokomialen Infektion, in der Intensivstation an.

Weitere Risikofaktoren sind eine Bakteriämie, ein Alter über 65 Jahre sowie Immunsuppression, Diabetes mellitus oder eine Krebserkrankung. Auch eine ambulant erworbene Lungenentzündung, ein vorausgegangener Krankenhausaufenthalt und genetische Faktoren spielen eine Rolle, so beispielsweise die Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Mikroorganismen.

Hinweise für eine Sepsis
Fieber (≥ 38°C) oder Untertemperatur (≤ 36°C) Plötzliche Verwirrtheit Erhöhter Puls Niedriger Blutdruck Beschleunigte Atmung Blasses oder graues, fahles Aussehen. Treten diese Symptome gemeinsam auf, dann ist das ein Hilferuf des Körpers, der sofortige medizinische Hilfe erfordert (Notarzt, Notaufnahme).

Häufigste vermeidbare Todesursache Es ist allerdings nicht einfach, eine Sepsis klar zu erkennen. So vergehen oft ungefähr zwei Stunden, bis eine Therapie eingeleitet werden kann, das zeigen die aktuellen Daten der Medusa-Studie. Eine akute Infektion mit beginnender Organfunktionsstörung äußert sich in Atemnot, Herzrasen, niedrigem Blutdruck, Verwirrtheit, Fieber und schwerstem subjektivem Krankheitsgefühl sowie einer Leukozytose. Diese Symptome werden oft fehlinterpretiert, denn die gleichen Anzeichen treten auch bei weniger lebensbedrohenden Erkrankungen auf, so beispielsweise bei der Grippe.

Wird die Therapie spät begonnen oder kann der Infektionsherd nicht lokalisiert werden, was in 10 Prozent der Fall ist, liegt die Sterblichkeit bei circa 50 Prozent. So ist die Sepsis ein klinischer Notfall - ebenso wie der Herzinfarkt, der Schlaganfall oder schwere Verletzungen. In den Notaufnahmen verfügen leider zu wenige Ärzte über intensiv- und notfallmedizinische Kenntnisse. Auch die alarmierende Zunahme von bakteriellen Resistenzen macht es zunehmend schwieriger, Infektionen zu behandeln und eine Entwicklung zur Sepsis zu stoppen.

Nicht zuletzt trägt das zunehmende Alter der Bevölkerung zu einer erhöhten Sepsis-Rate bei. So sind mehrheitlich Patienten über 65 Jahre für Sepsis-Episoden anfällig. Auch eine Immunsuppression, die beispielsweise bei Tumoren, AIDS, Störung der Milzfunktion, Nieren- oder Leberinsuffizienz angewandt wird, spielt eine Rolle.

Beobachtungen schriftlich festhalten Eine Sepsis wird generell mit Hilfe von klinischen, labormedizinischen, radiologischen, physiologischen und mikrobiologischen Daten diagnostiziert. Sehr oft erhärtet sich die Diagnose „Sepsis“ direkt am Krankenbett nach der Vorstellung des Patienten, oder aber retrospektiv, wenn Daten aus der Nachuntersuchung zur Verfügung stehen. Aus den umfangreichen Daten von Erregerbestimmung, Laborparameter, Ultraschall und Computertomogramm werden computergestützt krankheitstypische Muster abgeleitet.

Wie eine Studie des Massachusetts Institute of Technology MIT in Boston ergab, sind nicht nur Labor- und Messwerte für die schnelle Diagnosefindung mittels Computer hilfreich, sondern auch und ganz besonders die handschriftlichen Notizen von Pflegekräften und Ärzten. Hatten die Computer-Systeme diese zusätzlichen Angaben zur Verfügung, gelang die Unterscheidung von Patienten mit einer Sepsis bedeutend besser.

Ist Vorbeugung möglich? Immungeschwächte Menschen, also Kinder und Personen ab 60 Jahren sowie Personen, denen die Milz entfernt wurde, sollten alle empfohlenen Impfungen erhalten. Bei älteren Personen ist hier vor allem die freiwillige Impfung gegen Pneumokokken wichtig, den Erregern der Lungenentzündung. Sucht man nach einer durchgemachten Sepsis Rat und Hilfe, ist die deutsche Sepsis-Hilfe für Patienten und Angehörige eine gute Anlaufstelle.

Dr. Christine Reinecke, Diplom-Biologin

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/17 auf Seite 140.

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