Frau probiert Nudeln © bernardbodo / iStock / Getty Images
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Bücher, von denen man spricht

EIN JAHR LANG GUT ESSEN

Ein Buch, in das man hineinbeißen möchte. So sinnlich und poetisch beschreibt der englische Koch Nigel Slater seine einfachen Rezepte, dass man satt wird vom Lesen. In seiner Heimat genießt der Autor längst Kultstatus.

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Slater beschreibt sich selbst als „Koch, der schreibt“, ein wenig kokettiert er damit, ein wenig ist es ihm ernst. Er, der als Einzelgänger gilt und allein in einem Londoner Steinhaus mit Mini-Garten lebt, wurde vor mehr als zwanzig Jahren gebeten, ein paar Rezepte zu kommentieren – und hatte in Turbogeschwindigkeit eine eigene Kolumne in zwei englischen Zeitungen. Das liegt an Sätzen wie diesem hier: „Ein riesiger, samtschuppiger Feldchampignon, groß wie eine kleine Untertasse, brutzelt friedlich in einer Pfanne mit Öl und Butter, und ich belöffele ihn mit Saft, großzügig, zärtlich, fast hypnotisch, als wäre er ein Steak. Es ist ein perfekter Augenblick, friedvoll und lebensbereichernd.“

Ein Kochbuch in Prosa „Ein Jahr lang gut essen“ ist nicht sein erstes Buch. Er hat Bücher über Gemüse geschrieben (600 Seiten), über Obst (nochmal 600 Seiten), eins, das „Küchentagebuch“ heißt, eins über das Genießen (englisch „Appetite“). Man sagt über ihn, dass seine Leser das Buch nicht in der Küche aufbewahren, sondern auf dem Nachttisch. Weil die Texte so schön sind. Slater hat das Kunststück fertiggebracht, ein Kochbuch in Prosa zu schreiben; etwas, das deutschen Köchen wohl nie einfallen würde.

Doch wer nun erwartet, dass hier ein Foodie-Fetischist über den heiligen Gral des Essens schreibt, wird enttäuscht. Alles will er sein, nur das nicht. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Slater hat klare Worte für Menschen, die besessen sind von Lebensmitteln und deren Verzehr: „Was fehlt dir im Leben, dass du diese Lücke derart mit dem Thema Food füllen musst?“ Und dann gibt er reichlich Butter und Creme double an seine Gerichte, weil er findet, dass Fett ein Geschmacksträger ist. Stimmt ja auch.

Erfrischend unkorrekt Überhaupt ist der Mann mit dem Dreitagebart und den etwas zu langen Haaren ziemlich unkorrekt. In der Einleitung schreibt er: „Ja, ich esse Kuchen und Eiscreme, und Fleisch. Ich esse Kekse und Brot und trinke auch Alkohol. Mehr noch: All das nehme ich ohne einen Funken Schuldgefühle zu mir.“ Diätbeflissenen rät er, einfach nicht zu viel von einer Sache zu essen. Ansonsten plädiert er für ein Essverhalten ohne Einschränkungen, was kein Widerspruch ist. Slater will keine Puristen und keine Besessenen, er möchte, dass seine Leser die säuerliche Süße eines Cox Orange im Mund verspüren, wenn er von ihm schreibt.

Und so reibt er dann ein Hähnchen mit Gänseschmalz ein, bevor es in den Ofen kommt und tut sehr viel Butter in den Kartoffelstampf. Letzterem schreibt er sogar einen Brief: Liebes Kartoffelpüree, ich treffe dich nicht mehr oft, aber ich denke immer noch an dich, sagt er. Er beschreibt, wie es in dicken Wolken auf weißem Teller liegt und eine Pfütze glänzender Soße um seine Ufer schwappt: „Schwer von Butter, vielleicht auch heißer Milch, Sahne oder Olivenöl warst du immer mein Essen für alle Fälle.“ Und zum Schluss, das sei hier verraten, tut er noch eine gute Prise Cheddar-Käse hinein. Und eine Bratwurst.

Essenz der Zeit Es geht natürlich auch fettärmer. Als Nigel Slater in eine japanische Garküche kommt, wo es zwar himmlisch riecht, aber die Turnschuhe am Boden festkleben, beobachtet er die Herstellung einer Brühe. Und beschreibt wie sie schmeckt: „Die milchige Flüssigkeit hat die Farbe von festem Honig und schmeckt nicht wie frisch gekochte Brühe, sondern wie die Essenz der Zeit. Eine Flüssigkeit, von der man lieber nicht wissen möchte, wie lange sie schon im Umlauf ist.“ Inspiriert von diesem Erlebnis kreiert er ein Kochrezept (wie er überhaupt aus jedem Erlebnis ein Rezept zieht), bei dem er das umamilastige Gericht durch das Anrösten von geräumigen Schweineknochen im heimischen Herd nachstellt. Slaters Rezepte haben nie viele Zutaten. Manchmal sind es Ungefähr-Angaben, manchmal fordert er dazu auf, Bestandteile auszutauschen. Er möchte eben, dass Kochen Spaß macht.

Verspieltheit des Jamie Oliver Denis Scheck, strenger Literaturkritiker im deutschen Fernsehen, bekannte: „Für dieses Buch möchte ich mich auf den Grill legen.“ Beinahe ehrfürchtig fragt ihn der Journalist, ob er beim Schreiben Gott begegnet. No!, sagt Slater. Es sei eine Meditation über Leben und Tod, bemerkt Scheck. Ja, sagt Slater gelassen: Aber ich bin auch ziemlich verfressen. Irgendwie eignet sich der deutsche Weg nicht für diesen Ausnahmekoch, der etwas von der kreativen Verspieltheit eines Jamie Oliver besitzt, die beide etwas begriffen haben: Menschen interessiert am Kochen nicht so sehr die Zubereitung, sondern der Mensch.

Es ist wohl kein Zufall, dass Gerüche in unserem Gehirn Situationen abrufen können (Slaters Mutter verbrannte immer den Toast und die Muffins), wozu auch ein stark alkoholhaltiges Trifle zum Weihnachten der Familie Slater gehört. Wenn wir wirklich auf etwas Appetit haben, dann suchen wir das Echte, sagt der Autor. Zum Beispiel einen Schokobrownie mit Vanilleeiscreme: „Wenn man eine abgespeckte Version davon isst – ein Brownie mit wenig Zucker, mit wenig Fett, ohne Eiscreme – dann ist das eine Imitation, etwas Unechtes. Sodass man am Ende mehr davon isst, weil man unbedingt diesen Moment der Wonne erleben möchte.“

Schneebälle zu Weihnachten Kurz vor Schluss des Buches beschreibt Nigel Slater den Weihnachtsmorgen. Er steht auf, trinkt seinen Kaffee und macht Teig. Der steht dann neben dem Aga-Herd und geht vor sich hin, bis er ihn walkt und ausrollt und versucht, die Füllung aus Marzipan und Clementinenschale hineinzubekommen. Was gar nicht so einfach ist. Und dann tropft es beim Backen auf das Blech, „und die Mandelcreme karamellisiert auf dem Metall. Das macht sie noch köstlicher: wabbelig und verlockend.“

Während er am Fenster steht, den Garten betrachtet und sich Schnee wünscht, fällt ihm auf, dass sie mit Puderzucker bestäubt wie Schneebälle aussehen. Diese kleinen Erlebnisse und Berichte sind es, die die 560 Seiten zu einer Erzählung machen. Eigentlich ist „Ein Jahr lang gut essen“ das Masterpiece eines Kochbuches und man braucht schwerlich ein anderes. Denn alles steht schon drin, in diesen Geschichten um die 250 enthaltenen Rezepte. Slater meint dazu in einer eigenen, lakonischen Sprache: „Wir sind nicht sehr lange auf dieser Welt. Da sollten wir uns zumindest etwas Gutes zu essen machen.“

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 12/19 ab Seite 66.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

Nigel Slater: Ein Jahr lang gut essen. – Dumont, 560 Seiten, 208 farbige Abbildungen, gebunden in Leinen mit Banderole und Lesebändchen, Originaltitel: A Year of Good Eating: The Kitchen Diaries III, ISBN 978-3-8321-9912-8, 39 Euro

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