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Polyneuropathie

ECHT NERVIG!

Klagen Kunden über Symptome wie Gangunsicherheit, Sensibilitätsstörungen, Taubheitsgefühl oder überhöhte Schmerzempfindlichkeit, kann dies Anzeichen für eine Polyneuropathie sein.

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Polyneuropathien sind Erkrankungen des peripheren Nervensystems, bei denen mehrere Nerven geschädigt sind, die sich außerhalb von Gehirn und Rückenmark befinden. Folge der Nervenschädigung ist eine eingeschränkte Reizweiterleitung, die mit Empfindungs- und Funktionsstörungen einhergeht. Meist stellt sich die Polyneuropathie symmetrisch auf beiden Körperhälften dar. Typischerweise beginnen die Symptome an den Füßen. Missempfindungen und Schmerzen an den Beinen breiten sich „strumpfartig“ aus. Später folgen sie an den Armen „handschuhartig“.

Individuelles Krankheitsbild Wie sich die Beschwerden genau darstellen, hängt davon ab, welche der peripheren Nervenfasern betroffen sind und wie viele und wie stark sie geschädigt sind. Bei den peripheren Nerven unterscheidet man sensible, motorische und autonome Fasern. Die sensiblen Fasern sind für das Berührungsempfinden sowie das Kälte- und Wärmegefühl, die motorischen Fasern für die Willkürbewegung und die autonomen Fasern für die Funktion der inneren Organe sowie für die Schweißsekretion verantwortlich.

Meist sind die sensiblen Fasern betroffen und es kommt zu Taubheitsgefühl, Missempfindungen wie Kribbeln und Ameisenlaufen, brennenden Schmerzen und einer übersteigerten Schmerzempfindlichkeit. Zudem bemerken Betroffene weder hohe Temperaturen noch schmerzhafte Verletzungen. Aufgrund der gestörten Gefühlswahrnehmung an den Füßen stellt sich eine Gangunsicherheit bei den Betroffenen ein.

Dies ist ein klassisches Symptom einer Polyneuropathie, wird aber von den Betroffenen oft fehlgedeutet. Seltener sind Schäden an den motorischen Fasern zu beobachten, die mit Muskelschwäche oder Lähmungen einhergehen. Sind die autonomen Nerven in Mitleidenschaft gezogen, werden die inneren Organe nicht mehr richtig innerviert, was zu Harnund Stuhlinkontinenz, Erektionsstörungen, orthostatischen Beschwerden oder Arrhythmien führen kann.

Diabetische Neuropathie Ursachen für die Schädigung oder den Untergang von Nervenfasern gibt es viele. Häufig sind Stoffwechselstörungen, Infektionen, toxische Substanzen, ein übermäßiger Alkoholgenuss, Krebserkrankungen oder Autoimmunprozesse für die Erkrankung verantwortlich. In 20 bis 30 Prozent der Fälle kann aber die genaue Ursache nicht identifiziert werden.

Am häufigsten entsteht eine Polyneuropathie im Rahmen eines Diabetes mellitus, wobei Dauer und Schweregrad der Erkrankung entscheidend für die Entstehung sind. Das Risiko für die Entwicklung einer Polyneuropathie ist dabei umso größer, je häufiger der Blutzuckerspiegel entgleist, da hohe Blutzuckerspiegel nicht nur Blutgefäße, sondern auch Nerven schädigen.

Man nimmt an, dass die Zuckermoleküle mit verschiedenen Proteinen Zucker-Eiweiß- Komplexe bilden, welche die Nervenzellen angreifen. Etwa die Hälfte der Diabetiker ist von der Nervenerkrankung betroffen. Am häufigsten werden beim Diabetiker sensible und motorische Nerven geschädigt. Im weiteren Verlauf der Erkrankung nehmen die autonomen Nerven Schaden.

An die Füße denken Dabei sind vor allem körpernahe Muskelgruppen wie beispielsweise die Oberschenkel- oder die Beckenmuskulatur betroffen, die das Treppensteigen erschweren oder gar unmöglich machen. Ebenso sind Störungen der Gefühlswahrnehmung ein Problem. Die betroffenen Diabetiker klagen unter brennenden Fußsohlen, einer extremen Berührungsempfindlichkeit, einem Taubheitsgefühl sowie unter Missempfindungen wie Ameisenlaufen oder Kribbeln der Beine und Füße.

Besonders gefürchtet ist der diabetische Fuß. Nervenschädigungen am Fuß bedingen Durchblutungsstörungen, was mit einer verzögerten Wundheilung einhergeht. Aus kleinen Verletzungen können sich dann aufgrund der Sensibilitätsstörungen unbemerkt gefährliche Geschwüre bilden, die nicht mehr abheilen und schließlich eine Amputation erforderlich machen.

Damit es nicht so weit kommt, sollten Diabetiker täglich ihre Füße inspizieren und mit Pflegepräparaten regelmäßig eincremen. Werden schließlich die inneren Organe nicht mehr richtig innerviert, resultieren Blasenschwäche, Erektionsstörungen, Motilitätsstörungen von Magen und Darm oder Herzrhythmusstörungen.

Ursächliche Behandlung Ein Diabetiker sollte also immer gut eingestellt sein, damit sich möglichst wenig nervenschädigende Zucker-Eiweiß-Komplexe bilden. Liegen andere Ursachen für die Nervenschädigung vor, müssen diese erfolgreich behandelt oder ausgeschaltet werden. Abhängig von der zugrundeliegenden Erkrankung können einige Formen der Polyneuropathie geheilt werden, bei anderen wird ein Voranschreiten gestoppt.

Liegt beispielsweise eine alkoholbedinge Polyneuropathie vor, helfen Alkoholverzicht und die unterstützende Behandlung mit Vitamin B1-Präparaten. Infektionsbedingte Polyneuropathien werden antibiotisch behandelt , bei Autoimmunerkrankungen werden Medikamente eingesetzt, die das Immunsystem beeinflussen.

Therapie von Schmerzen und Missempfindungen Polyneuropathisch bedingte Schmerzen sind mit Schmerzmitteln oft nur schwer in den Griff zu bekommen. Bei gelegentlich auftretenden Beschwerden kann eine Therapie mit nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) wie Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen versucht werden.

Meist ist aber eine Kombination verschiedener Medikamente nötig, die zwar nicht direkt ins Schmerzgeschehen eingreifen, aber darauf einwirken. So unterdrücken Antidepressiva wie Amitriptylin die Weiterleitung von Schmerzsignalen im Rückenmark und Antiepileptika wie Gabapentin, Pregabalin oder Carbamazepin dämpfen die Erregbarkeit von Nervenzellen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/16 ab Seite 124.

Gode Meyer-Chlond, Apothekerin

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