Teerwalze © Avatar_023 / iStock / Thinkstcok
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Kompressionstherapie

DRUCK MACHEN

Von außen Druck auf die Gefäße ausüben, die Fließgeschwindigkeit des Blutes steigern, Ödeme reduzieren: Bei Erkrankungen des Venen- und des Lymphsystems spielt die Kompressionstherapie eine Hauptrolle.

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V enenleiden plagen bei uns viele Millionen Menschen und werden dennoch häufig unterschätzt. Dabei können sie weitreichende Folgen haben: Schmerzen in den Beinen, schwere Schwellungen, Hautveränderungen, Unterschenkelgeschwüre (Ulcus cruris) und Thrombosen gehören dazu. Erkrankungen des Venensystems müssen konsequent und fachgerecht behandelt werden, der Spezialist ist der Phlebologe. Als Basisbehandlung dient die Kompressionstherapie, die sowohl als alleinige therapeutische Maßnahme als auch in Kombination mit anderen Behandlungen, wie zum Beispiel venenausschaltenden Verfahren, eingesetzt werden kann.

Grundsätzlich zielt die Kompressionstherapie darauf ab, von außen Druck auf das venöse Beingefäßsystem auszuüben. Durch diesen Druck werden krankhaft erweiterte Venen wieder auf einen normalen Durchmesser zusammengepresst. Die Fließgeschwindigkeit des Blutes wird gesteigert, sodass es wieder besser zurück zum Herzen transportiert werden kann. Die Beine schwellen ab, Schmerzen lassen nach. Nicht nur bei Venenleiden, sondern auch bei Erkrankungen des Lymphgefäßsystems kann der Druck von außen helfen, Ödeme zu reduzieren. Zu den klassischen Indikationen der Kompressionstherapie gehören unter anderem:

  • fortgeschrittene Krampfaderleiden (Varikosen)
  • Krampfaderleiden oder Ödeme in der Schwangerschaft
  • chronische venöse Insuffizienz (CVI)
  • Vorbeugung und Behandlung von Venenthrombosen
  • postthrombotisches Syndrom
  • Therapie und Rezidivprophylaxe beim Ulcus cruris
  • Nachbehandlung nach Krampfaderentfernung (z. B. durch Sklerosierung, endoluminale Therapie oder Operation)
  • Lymphödeme
  • Lipödeme.

Zu den Kontraindikationen der Kompressionstherapie zählen unter anderem eine fortgeschrittene periphere arterielle Verschlusskrankheit und eine dekompensierte Herzinsuffizienz. Auch bei Erkrankungen wie zum Beispiel ausgeprägten nässenden Dermatosen und fortgeschrittenen peripheren Neuropathien ist die Therapie nicht angezeigt.

Strümpfe nach Maß Für die Kompressionstherapie stehen unterschiedliche Versorgungsformen zur Verfügung, zu denen Kompressionsstrümpfe unterschiedlicher Längen, Materialien und Druckklassen zählen. Sie sind die bedeutendsten Hilfsmittel bei Venenerkrankungen und als Medizinprodukte zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig. Ein gravierender Vorteil von Kompressionsstrümpfen besteht darin, dass sie vergleichsweise leicht – und deshalb meist auch vom Patienten selbst – angelegt werden können. Somit eignen sie sich gut für die Dauerbehandlung bei venösen und lymphatischen Erkrankungen. Kompressionsstrümpfe gibt es in unterschiedlichen Längen, zum Beispiel als Strumpfhosen, Schenkel- und Kniestrümpfe sowie in verschiedenen Druckstärken. Der Druck wird in Millimeter Quecksilbersäule (mmHg) oder in Kilopascal (kPA) angegeben.

Unterschieden werden vier Kompressionsklassen (CCL oder KKL). Strümpfe der Druckklasse CCL 1 üben mäßige Kompression (18 bis 21 mmHg) aus. Sie können zum Beispiel bei milderen Varikosen und zur Prophylaxe von Thrombosen eingesetzt werden. Kompressionsstrümpfe der Druckklasse CCL 2 (23 bis 32 mmHg) werden von Ärzten besonders häufig verordnet. Sie leisten nach Krampfaderentfernungen oder bei venösen Beschwerden in der Schwangerschaft gute Dienste. Druckklasse CCL 3 (34 bis 46 mmHg) kann bei ausgeprägten Krampfadern mit Ödembildung und bei Beingeschwüren erforderlich sein. Extrakräftige Kompression (ab 49 mmHg) kennzeichnet Strümpfe der Klasse CCL 4, die bei einem ausgeprägten Lymphödem oder einer sehr schweren chronischen venösen Insuffizienz verordnet werden können. Kompressionsstrümpfe werden in unterschiedlichen Strickarten produziert: Im Rundstrickund im Flachstrickverfahren. Rundgestrickte Vertreter ihrer Art besitzen keine Naht und eignen sich prinzipiell für alle Venenerkrankungen.

Bei sehr großen Beinumfängen oder besonders ausgeprägten Umfangsdifferenzen innerhalb der zu versorgenden Extremität sind jedoch flachgestrickte Strümpfe die bessere Wahl. Damit medizinische Kompressionsstrümpfe therapeutisch wirksam sein können, müssen sie individuell angepasst werden. Das fachgerechte und exakte Anmessen ist die entscheidende Voraussetzung für eine optimale Passform des Strumpfes und den idealen Druckverlauf am Bein. Stimmen die Messergebnisse (Umfangs- und Längenmaße) mit Normmaßen überein, kann ein Serienkompressionsstrumpf zum Einsatz kommen. Ansonsten muss der Patient mit einem maßgefertigten Strumpf versorgt werden.

Gut gewickelt Vom Kompressionsstrumpf unterscheidet sich der Kompressionsverband. Hierbei handelt es sich um einen Wickelverband, der mit elastischen Stoffbinden um das Bein gelegt wird. Kompressionsverbände kommen zur Behandlung des Lymphödems zum Einsatz, können aber auch Ödeme anderer Ursachen reduzieren, zum Beispiel nach einer Operation. Kompressionsverbände werden täglich neu gewickelt und können dadurch stets dem aktuellen Schwellungszustand angepasst werden. Das Anlegen eines gut sitzenden Kompressionsverbandes ist jedoch eine recht anspruchsvolle Angelegenheit, die einiger Übung bedarf. Schließlich müssen die Binden faltenfrei sitzen und dürfen weder zu fest noch zu locker gewickelt werden.

Zu festes Anlegen kann eine unzureichende Durchblutung des Beins zur Folge haben, wodurch Gewebe absterben kann. Außerdem können Druckschäden an Nerven entstehen. Abhängig von der Erkrankung und dem erforderlichen Druck, der auf die Venen ausgeübt werden soll, wird das Bindenmaterial gewählt. Eine hohe Dehnbarkeit weisen Langzugbinden auf, die sich zum Beispiel für die Nachbehandlung nach Abklingen akuter Beschwerden eignen. Durch ein geringes Dehnungsvermögen zeichnen sich Kurzzugbinden aus, die bei Venenerkrankungen den erwünschten Druck auf die Gefäße ausüben. Sie werden unter anderem bei Venenentzündungen oder nach Venenoperationen eingesetzt. Unelastisch sind Zinkleimbinden, die im angelegten Zustand halbstarre Kompressionsverbände ergeben. Sie finden nicht nur in der Phlebologie Anwendung, sondern auch in der Orthopädie.

FEINE UNTERSCHIEDE

Nicht verwechselt werden dürfen medizinische Kompressionsstrümpfe und Kompressionsverbände mit Stütz- beziehungsweise Reisestrümpfen, die einen wesentlich geringeren Druck ausüben. Sie werden nicht zur Therapie von Venenerkrankungen getragen, sondern zur Vorbeugung von Beschwerden wie schweren, müden Beinen. Stützstrümpfe leisten bei venengesunden Menschen zum Beispiel während längerer Flugreisen und Autofahrten gute Dienste. Abzugrenzen sind klassische Hilfsmittel für die Kompressionstherapie auch von Anti-Thrombose- Strümpfen. Diese werden in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen von bettlägerigen und frisch operierten Patienten zur Thromboseprophylaxe im Liegen getragen.

Kurzer Zug – tiefe Wirkung Um eine Kurzzugbinde in die Länge zu ziehen, ist relativ viel Kraft nötig. Sie lässt sich in der Regel maximal um bis zu 50 bis 70 Prozent ihrer ursprünglichen Länge dehnen. In gespanntem Zustand hat sie nur ein geringes Bestreben, sich wieder zurück zu ziehen. Ans Bein wird sie vorgedehnt angelegt, kann dort aber keinen aktiven Druck ausüben, weil sie, wie beschrieben, nur eine schwache Rückstellkraft hat. Man sagt, sie hat einen geringen Ruhedruck. Ihre Aufgabe ist es, ein starkes Widerlager für die Muskulatur beim Laufen zu bilden. Das heißt, bei jedem Schritt drückt der Muskel, der sich während der Kontraktion ausdehnt, gegen den Verband. Dieser kann sich kaum noch weiter ausdehnen und übt seinerseits einen starken Druck auf die Muskulatur und die darin verlaufenden Venen aus.

Bei jedem Schritt wechseln die Druckverhältnisse also zwischen einem niedrigen Ruhedruck und einem hohen Arbeitsruck. So kann man die Muskelpumpe unterstützen und Ödeme ausschwemmen. Ihre Eigenschaften erhalten sie durch das Fehlen elastischer Fasern. Sie können aus überdrehtem Baumwollgarn oder aus synthetischen Fasern, in der Regel Polyamid, bestehen. Solche aus reiner Baumwolle nennt man auch Idealbinden. Sie leiern bei der Anwendung schnell aus, lassen sich aber durch Waschen schnell wieder regenerieren. Es ist nicht ganz einfach, bei einer Kurzzugbinde die richtige Anwickelspannung zu finden, daher sollte das Anlegen Arzt oder Pflegern vorbehalten bleiben.

Langer Zug – oberflächliche Wirkung Langzugbinden haben eine Dehnbarkeit von bis zu 200 Prozent. Sie enthalten entweder Gummifäden oder elastische Fasern aus Polyurethan. Diese Fäden lassen sich leicht in die Länge ziehen, sorgen aber auch dafür, dass sich die Binde nach der Ausdehnung wieder in die ursprüngliche Lage zurückzieht. Da auch diese Binde mit einer gewissen Vordehnung angelegt wird, ist der Ruhedruck entsprechend hoch. Durch die Muskelkontraktion beim Laufen dehnt sich das Material allerdings sehr leicht weiter aus, sodass der Arbeitsdruck kaum höher ist als der Ruhedruck. Tiefe Venen kann man damit nicht erreichen. Aufgabe der Langzugbinden ist es daher vorwiegend, Gelenke zu stützen, beispielsweise bei Verstauchungen. Wegen ihres hohen Ruhedrucks dürfen sie nicht über Nacht angelegt bleiben. Die arterielle Durchblutung könnte beeinträchtigt werden.

Was bedeutet AIK? Die Abkürzung AIK steht für apparative intermittierende Kompression. Diese Form der Kompressionstherapie wird mit elektrisch betriebenen Luftkompressoren durchgeführt. Die zu behandelnden Extremitäten werden dabei von speziellen Behandlungsmanschetten umschlossen. Durch abwechselndes Befüllen und Ablassen von Luft wird ein vorher definierter intermittierender Behandlungsdruck erzeugt. Er simuliert die natürliche Muskelpumpe und unterstützt die Arbeit der Venen und Lymphgefäße. Die AIK wird unter anderem als Begleittherapie bei der Behandlung von Lymphödemen sowie zur Thromboseprophylaxe eingesetzt.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/17 ab Seite 134.

Andrea Neuen, Freie Journalistin

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