© DIE PTA IN DER APOTHEKE
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Drei Pflanzen

DREI NERVIGE

Vielblütige Weißwurz, Weißer Germer und Gelber Enzian – alle drei Pflanzen zeichnen sich durch Blätter mit charakteristischer Nervatur aus. Aber nicht alle drei zählen zu den Heilpflanzen.

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Die Vielblütige Weißwurz (Polygonatum multiflorum) aus der Familie der Spargelgewächse (Asparagaceae) ist eine bis zu 60 Zentimeter hoch werdende, giftige Waldstaude, die in feuchten, schattigen Lagen von Laub- und Mischwäldern auf der Nordhalbkugel heimisch ist. Die Pflanze verdankt sowohl ihren deutschen Namen Weißwurz als auch den lateinischen Gattungsnamen Polygonatum (griechisch poly = viele und gony = Knoten) ihrem fast waagerecht im Erdboden liegendem weißen Rhizom, das durch knotig verdickte Glieder charakterisiert ist. Auf diesen Gelenken zeigen sich kreisförmige, vertiefte Narben, die an ein Siegel erinnern. Sie stammen vom Absterben der oberirdischen Teile aus dem Vorjahr und haben der Pflanze den volkstümlich verwendeten Namen Vielblütiges Salomonsiegel eingebracht.

Die Staude entwickelt bogig-aufrechte, unverzweigte Stängel mit rundem oder stumpfkantigem Querschnitt. An ihnen entspringen fünf bis acht Zentimeter lange, äußerst dekorative Blätter mit parallelen Nerven. Sie sind wechselständig und zweizeilig angeordnet und haben eine eiförmige bis länglich-elliptische Blattspreite. Ihre Oberseite ist dunkelgrün und die Unterseite graugrün bereift. Im Mai und Juni entspringen aus den Blattachseln langstielige, nickende und geruchlose Blütenstände. Diese bestehen aus zwei bis fünf weißen glockenartigen Blüten mit grünlichen Spitzen in Trauben hängend. Von August bis zum Herbst bilden sich die giftigen Früchte.

Die anfangs noch roten, später blauschwarz bereiften Beeren haben einen Durchmesser von etwa sieben bis neun Millimetern und enthalten kugelige, braune Samen. Die attraktiven Beeren können leicht mit den gleichzeitig heranreifenden Heidelbeeren verwechselt werden. Allerdings schmecken die Früchte der Vielblütigen Weißwurz widerlich süß und wirken aufgrund ihrer toxischen Steroidsaponine stark reizend. Nach dem Verzehr der Früchte sowie anderer Pflanzenteile kann es zu heftigem Erbrechen, krampfartigen Bauchschmerzen und Durchfall kommen. Bei hohem Flüssigkeits- und Salzverlust sind Kreislaufstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel und Atemnot möglich. Während das Rhizom früher in der Volksheilkunde vielseitig eingesetzt wurde (z. B. Sportverletzungen, Bluthochdruck, Husten) hat die Vielblütige Weißwurz heute keine medizinische Bedeutung mehr.

Die Blattnerven sind die Leitbündel in den Laubblättern. Sie transportieren Wasser, Nährstoffe und Assimilate wie Glucose.

Großblättrig und imposant Auch der Weiße Germer (Veratrum album L.) ist giftig. Die mehrjährige krautige Pflanze aus der Familie der Germergewächse (Melanthiaceae) ist mit Wuchshöhen von 50 bis 150 Zentimetern ein eindrucksvolles Gewächs. Sie wächst vor allem auf wenig genutzten Weiden im mittel- und südeuropäischen Hochgebirge als ungeliebtes Unkraut. Der dicht behaarte Stängel ist wechselständig beblättert. In den ersten Jahren entwickelt der weiße Germer nur Blätter, die sich durch ausgeprägte parallel verlaufende Blattnerven auszeichnen. Sie sind bis zu 30 Zentimeter lang, elliptisch, nach oben hin lanzettlich geformt und unterseits flaumig behaart. Nach circa acht Jahren erscheinen zwischen Juni und August zahlreiche weiße bis gelblich-grüne Trichterblüten, die der Pflanze ihren Artnamen album (lat. album = weiß) gaben.

Sie sitzen endständig büschelweise in einer großen Rispe und verströmen besonders bei Sonneneinstrahlung einen aufdringlichen Duft, worauf sich der deutsche Name Germer beziehen soll, der vom althochdeutschen hram = Marterwerkzeug stammt. Der Weiße Germer zählt zu den Pflanzen, die auch bei Aufnahme geringer Mengen an Pflanzenmaterial mittelschwere oder schwere Vergiftungen verursachen können. Daher ist das Gewächs auf der offiziellen Liste der giftigen Pflanzenarten aufgeführt, die nicht an Plätzen angepflanzt werden dürfen, die Kindern als Aufenthalts- oder Spielort dienen. Das Unkraut enthält in allen Pflanzenteilen toxische Steroidalkaloide (z. B. Protoveratrin A und B), wobei ihr Gehalt in der Wurzelknolle und in den Wurzeln am höchsten ist. In den Blättern, vor allem zur Blütezeit, ist die Giftstoffkonzentration wesentlich geringer. Zu Verwechselungen und Vergiftungen kommt es allerdings in der Regel in der blütefreien Zeit, wenn private Sammler anstelle der Blätter des Gelben Enzians die des Weißen Germers zur Schnapsherstellung ernten.

Anhand der wechselständigen Blattstellung und der parallel verlaufenden Blattnerven ist der Weiße Germer aber sicher vom Gelben Enzian zu unterscheiden. Die Giftstoffe werden schnell über die Schleimhäute und unverletzte Haut resorbiert. Als erstes lösen sie einen starken Niesreiz aus. Bei fortschreitender Intoxikation werden zunächst Zunge und Rachen taub, später folgen blutiges Erbrechen und Durchfälle. Schließlich fällt der Blutdruck stark ab und die Herzfrequenz sinkt. Der Tod tritt nach drei bis zwölf Stunden durch Herzstillstand und Atemlähmung ein. In der Volksmedizin diente der Weiße Germer lange als Antihypertonikum und Mittel gegen Cholera. Heute ist er nur noch in der Homöopathie vor allem gegen Kreislaufstörungen, niedrigen Blutdruck, Depressionen, Migräne, Neuralgien und Bronchitis gebräuchlich.

Bitter und wirkungsvoll Der Gelbe Enzian (Gentiana lutea L.) ist eine typische mittel- und südeuropäische Gebirgspflanze, deren Bestände durch intensives Sammeln zeitweilig stark dezimiert waren. Daher wurde das Enziangewächs (Gentianaceae) in Deutschland schließlich unter Naturschutz gestellt und seine Wurzeln dürfen nur noch durch feldmäßigen Anbau gewonnen werden. Die Pflanze wächst bevorzugt auf steinigen Gebirgsböden, Schutthalden und ungedüngten Weiden. Sie ist mit einer wenig verzweigten, armdicken Wurzel im Boden verankert, die ein Meter lang und sieben Kilogramm schwer werden kann. Im Frühjahr treibt aus einer grundständigen Blattrosette ein fast anderthalb Meter hoher, fingerdicker hohler Stängel aus.

Dieser trägt im unteren Bereich große elliptische, gegenständig angeordnete blaugrüne Blätter, die mit starken Bogennerven durchzogen sind. Nach oben hin bildet die Pflanze schalenförmige Tragblätter, in denen drei bis zehn gelbblütige Trugdolden bildende Blüten sitzen, die in Scheinquirlen angeordnet sind. Bis zur ersten Blüte dauert es allerdings etwa zehn Jahre, dafür kann der Gelbe Enzian bis zu sechzig Jahre alt werden, also ein ausgesprochen stattliches Alter erreichen. Arzneilich kommen Wurzelstock (Rhizom) und Wurzeln zur Anwendung. Die Enzianwurzel (Gentianae radix) weist aufgrund ihrer glykosidischen Bitterstoffe der Secoiridoidreihe (z. B. Gentiopikrosid, Swerosid, Swertiamarin, Amarogentin) einen sehr hohen Bitterwert (58 Millionen) auf.

Sie ist damit eine reine Bitterstoffdroge, was auch in ihren volkstümlichen Namen Bitterwurzel oder Bitterwurz zum Ausdruck kommt. Gemäß der Monographien der Kommission E und der ESCOP ist sie bei Verdauungsbeschwerden wie Appetitlosigkeit indiziert. In der Volksheilkunde dient der Gelbe Enzian auch als leichtes Laxans. Zudem hat er sich als Kräftigungsmittel (Tonikum) und zur Besserung des Befindens bei Unwohlsein bewährt. Die Droge ist daher beliebter Bestandteil zahlreicher Schwedenbitterrezepturen, verschiedener Magenliköre und Bitterschnäpse.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/2020 ab Seite 98.

Gode Chlond, Apothekerin

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