© Arsel / fotolia.com
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Allergien

DRAUSSEN NUR POLLEN?

Normalerweise bekämpft unser Immunsystem fremde Stoffe, wenn sie gefährlich sind. Doch mitunter reagiert es bereits bei harmlosen Auslösern über. Dies ist mehr als eine Befindlichkeitsstörung.

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Allergien sind eine Volkskrankheit: Laut Robert Koch-Institut sind mehr als 30 Prozent der Erwachsenen sowie mehr als 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen hierzulande im Laufe ihres Lebens an mindestens einer Allergie erkrankt. Dabei ist der Begriff Krankheit für Allergien durchaus zutreffend. Denn je nach Schwere der Allergie läuft nicht „nur“ die Nase oder jucken die Augen, sondern es kommen ein allgemeines Krankheitsgefühl und Müdigkeit dazu.

Die Folgen: ein Verlust an Lebensqualität sowie Fehlzeiten bei der Arbeit und in der Schule. In vielen Fällen ist zudem ein sogenannter allergischer Marsch zu beobachten: Das Immunsystem reagiert mit der Zeit bei weiteren Stoffen über, zum Beispiel nicht nur bei Pollen, sondern auch bei Nüssen oder Obst. Oder es kommt zu einem Etagenwechsel von den oberen in die unteren Atemwege – aus einem Heuschnupfen wird ein Asthma bronchiale. Antihistaminika können die akuten Symptome lindern. Als einzige kausale Therapie ist bei einigen Allergien eine Hyposensibilisierung möglich.

Fremd und gefährlich?! Über unsere Körperoberfläche – also unsere Haut sowie die Schleimhäute in Nase, Lunge, Mund und Verdauungstrakt – sind wir permanent einer kaum zu überschauenden Vielzahl von fremden Substanzen und Erregern ausgesetzt.

ALLERGIEPRÄVENTION
Kinder von Eltern, die an Allergien leiden, sind häufiger ebenfalls davon betroffen. Um Allergien zu vermeiden, empfehlen Experten:
+ Ausgewogene Ernährung der Mutter während der Schwangerschaft inkl. Fisch.
+ Säuglinge möglichst vier Monate voll stillen. Alternative für Risikokinder: hypoallergene Säuglingsnahrung.
+ Vermeidung von Übergewicht beim Kind.
+ Familien mit erhöhtem Allergierisiko sollten keine Katze anschaffen.
+ Vermeidung von Tabakrauch .
+ Vermeidung eines schimmelpilzfördernden Innenraumklimas.
+ Vermeidung von Luftschadstoffen.
+ Impfung nach STIKO-Empfehlung (auch für Risikokinder).
+ Eine Entbindung per Kaiserschnitt scheint mit einem erhöhten Allergierisiko verbunden zu sein.

Eigentlich ist unser Immunsystem darauf trainiert, Eindringlinge oder Stoffe immer dann zu bekämpfen, wenn es sie sowohl als fremd als auch als gefährlich klassifiziert. Doch letztere Unterscheidung läuft bei Allergikern schief: Die Körperabwehr reagiert bei eigentlich völlig harmlosen Substanzen wie Blütenstaub, Tierhaaren oder Erdnüssen über.

Die Entstehung einer Allergie verläuft in zwei Phasen: In der sogenannten Sensibilisierungsphase bilden B-Lymphozyten Antikörper vom Typ IgE gegen die Substanz, die sie – fälschlicherweise – für gefährlich halten. Diese Antikörper binden an die Oberfläche von Mastzellen, die ebenfalls zur Immunabwehr gehören und sich in großer Zahl in der Haut, den Atemwegen und im Verdauungstrakt finden. In ihrem Zellinneren haben sie Histamin und andere Allergiemediatoren gespeichert. In dieser Phase ist von den Veränderungen noch nichts zu spüren, aber Untersuchungen zufolge ist fast die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung in Bezug auf mindestens ein Allergen sensibilisiert.

Sofort ... Bei erneutem Kontakt bindet das Allergen an die IgE-Antikörper auf den Mastzellen. Dies führt zur Freisetzung des Histamins und weiterer Entzündungsstoffe, was wiederum eine allergische Reaktion vom Soforttyp (Typ 1) auslöst. Die Symptome umfassen Rötung, Schwellung, Juckreiz und gegebenenfalls übermäßige Schleimsekretion. Beispiele für Allergien vom Soforttyp sind Heuschnupfen, allergisches Asthma bronchiale, Urtikaria sowie Nahrungsmittelallergien.

... oder später Davon abzugrenzen sind Allergien vom Spättyp – hier liegen 24 bis 48 Stunden zwischen Allergenkontakt und Reaktion. Dieser Typ wird nicht durch IgE-Antikörper, sondern zellulär durch sensibilisierte T-Lymphozyten vermittelt. Kontaktallergien beispielsweise gegen Nickel oder Duftstoffe sind verbreitete Beispiele.

(Fast) unendlich viele Allergene Über 20 000 Substanzen, die Allergien auslösen, sind laut Deutschem Allergie und Asthma Bund e.V. heute bekannt. Zu den Inhalationsallergenen gehört der Pollen von Gräsern und Bäumen – er löst saisonale Allergien aus, wenn die Pflanzen blühen. Ganzjährig unter ihrer Allergie leiden Hausstaubmilben- und Schimmelpilzallergiker. Dabei kommen Schimmelpilze sowohl in Innenräumen als auch – besonders im Sommer und im Herbst – in der Außenluft vor. Auch bei Tierhaarallergien nehmen wir die Allergene über die Atmung auf.

Kontaktallergene Die zweite große Gruppe von Allergenen umfasst Stoffe und Substanzen, die über Kontakt mit der Haut Allergien hervorrufen. Das wichtigste Kontaktallergen ist Nickel, das in Modeschmuck sowie in Jeansknöpfen oder BH-Verschlüssen vorkommen kann. Auch Duftstoffe, die in vielen Reinigungs- und Waschmitteln sowie Kosmetika enthalten sind, können Kontaktallergien auslösen.

Das gilt ebenso für Konservierungs- und Farbstoffe sowie für verschiedene natürliche Substanzen. In der genannten Arbeitnehmer-Studie hatte jeder zwölfte angegeben, an einer Kontaktallergie zu leiden, wobei Frauen deutlich häufiger betroffen sind als Männer. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass Frauen häufiger in Berufen arbeiten, in denen das Risiko für Kontaktallergien vor allem an den Händen erhöht ist – beispielsweise Friseurin oder Pflegeberufe.

Allergene in Nahrungsmitteln Schließlich können Inhaltsstoffe von Nahrungsmitteln Allergien auslösen. Dazu gehören Kuhmilch, Hühnerei, Soja, Weizen, Erdnüsse, Haselnüsse, Sellerie, Obst, Krustentiere und Fisch. Viele Nahrungsmittelallergien sind unter dem Stichwort „Kreuzallergie“ einzuordnen: Menschen, die auf Pollen allergisch reagieren, können auch gegen bestimmte Obst- und Gemüsesorten allergisch sein oder werden. In Studien mit strengen wissenschaftlichen Kriterien lag die Häufigkeit von Nahrungsmittelallergien im niedrigen einstelligen Prozentbereich.

Insektengifte und Medikamente In Deutschland reagiert bis zu jeder vierte mit starken Lokalreaktionen auf Stiche von Bienen, Wespen und Co. Bei 3,5 Prozent kommt es zu systemischen Reaktionen, die lebensbedrohlich sein können. Auch Medikamente können Allergien auslösen, wobei Urtikaria, juckende Hautausschläge, gastrointestinale Beschwerden, Atemnot oder Kreislaufbeschwerden auftreten können. Zu Medikamenten, die bekanntermaßen Allergien hervorrufen, gehören Antibiotika (vor allem Betalactam-Antibiotika), nicht-steroidale Antiphlogistika (Acetylsalicylsäure, Ibuprufen, Diclofenac), Antikonvulsiva und Kontrastmittel.

Symptome Inhalationsallergien äußern sich regelmäßig in einer Rhinokonjunkitivtis, also einer Entzündung der Nasenschleimhäute und der Bindehaut. Eine behinderte Nasenatmung durch Fließschnupfen oder eine verstopfte Nase, häufiges Niesen sowie tränende Augen sind typisch. Besonders quälend ist der permanente Juckreiz. Bei bis zu 40 Prozent aller unbehandelten Allergiker greift die Entzündung mit der Zeit auf die unteren Atemwege über – Betroffene entwickeln ein allergisches Asthma bronchiale mit den typischen anfallsartigen Asthma-Symptomen: pfeifende Atmung, Kurzatmigkeit, Luftnot, Enge-Gefühl in der Brust oder Husten.

»Besonders bei Kontaktallergien und Nahrungsmittelallergien kann die Suche nach dem Allergen schwierig und langwierig sein.«

Durch die anhaltende Entzündung kann es zu dauerhaften Veränderungen des Gewebes kommen, sodass die Bronchien auch auf andere Reize wie Zigarettenrauch, verschmutzte Luft oder Infektionen überempfindlich reagieren (bronchiale Hyperreagibilität). Kontaktallergien äußern sich durch Rötung der Haut, starken Juckreiz, Schwellung, der Bildung von Bläschen oder nässendem Ausschlag und/oder Hautschuppung ein bis drei Tage nach dem Kontakt mit dem Allergen. Bei dauerhafter Exposition kann sich ein chronisches Ekzem entwickeln.

Nahrungsmittelallergien können sehr unterschiedliche Symptome hervorrufen: Am häufigsten ist das orale Allergiesyndrom mit pelzigem Gefühl sowie Juckreiz im Mund- und Rachenraum, die Lippen können anschwellen. Es kann sich aber auch die Haut röten und jucken, Quaddelbildung ist möglich. Außerdem können Nahrungsmittelallergien Übelkeit oder Durchfall verursachen, auch Symptome der Atemwege einschließlich Luftnot sind möglich. Im schlimmsten Fall kann es zu einer anaphylaktischen Reaktion kommen, bei der mehrere Organsysteme betroffen sind und die lebensbedrohlich sein kann.

Diagnose Umso wichtiger ist eine akkurate Diagnose – bei Heuschnupfen in aller Regel kein Problem. Aber besonders bei Kontaktallergien und Nahrungsmittelallergien kann die Suche nach dem Allergen schwierig und langwierig sein. Dies liegt einerseits an der Vielzahl der infrage kommenden Stoffe und andererseits gerade bei Kontaktallergien an der Zeitverzögerung, mit der die Symptome auftreten. An erster Stelle auf dem Weg zur Diagnose steht immer die Anamnese, also die detaillierte Befragung des Patienten durch den Arzt. Sie liefert Hinweise, welche Tests zur weiteren Abklärung sinnvoll sind.

Meist sind dies zunächst Hauttests, bei denen Allergene auf die Haut oder in die Haut eingebracht werden. Die Bildung einer Quaddel bedeutet, dass der Betroffene gegen das betreffende Allergen sensibilisiert ist. Stimmen die Beschwerden – beispielsweise Heuschnupfen im Frühjahr – und das Ergebnis des Pricktests – Reaktion auf Extrakte von Frühblühern – gut überein, so reicht dies zur Diagnosestellung einer Pollenallergie vielfach aus.

INHALATIONSALLERGIEN SIND WEIT VERBREITET
Laut Robert Koch-Institut leiden zwölf Prozent der Erwachsenen in Deutschland an Heuschnupfen und fünf Prozent an allergischem Asthma bronchiale. Bei den Kindern und Jugendlichen sind es neun beziehungsweise drei Prozent. In einer Untersuchung von über 90 000 Arbeitnehmern in Deutschland durch Betriebsärzte gab sogar rund ein Drittel aller Teilnehmer an, unter einer Inhalationsallergie zu leiden, wobei die Mehrheit auf Pollen reagierte.

Ist die Lage nicht so klar, sind weitere Tests nötig. Dazu gehören Bluttests auf Antikörper der Klasse IgE, wobei ein erhöhter Wert für Gesamt-IgE auf das Vorliegen einer Allergie hindeutet (es kommen aber auch andere Ursachen infrage). Lässt sich ein erhöhter Wert für einen bestimmten, Allergen-spezifischen IgE nachweisen, so bedeutet auch dies, dass der Patient gegen dieses Allergen Antikörper gebildet hat, also sensibilisiert ist.

Dass ein Allergen tatsächlich zu allergischen Beschwerden führt, lässt sich nur über einen Provokationstest nachweisen. Dabei erhält der Patient unter streng kontrollierten Bedingungen und unter Bereithalten von Notfallmedikamenten winzige Mengen des verdächtigen Allergens. Bei einer allergischen Reaktion ist aber unbedingt noch einmal die Frage zu stellen, ob der Betroffene beim Auftreten der Beschwerden im Alltag dem betreffenden Allergen tatsächlich ausgesetzt war und es also als Ursache infrage kommt.

Drei Säulen der Behandlung Wenn möglich, sollten Allergiker „ihre“ Allergene meiden. Bei Nahrungsmittelallergien ist etwa ein Verzicht auf die auslösenden Stoffe angesagt. Betroffene, die beispielsweise auf Duftstoffe in Kosmetika oder Reinigungsmittel reagieren, weichen auf alternative Produkte aus. Im Zweifel kann eine Allergenkarenz die Abschaffung des Haustiers oder die Umschulung auf einen anderen Beruf bedeuten.

In vielen Fällen ist eine völlige Vermeidung des Allergens allerdings nicht möglich – dann gilt es, zumindest die Exposition zu reduzieren. Dies ist im Alltag oftmals mit viel Aufwand verbunden: Durch Verzicht auf Teppiche und Vorhänge, häufiges Wischen, Encasings für die Bettwäsche sowie wöchentliches Waschen der Bettbezüge lässt sich etwa die Milbenbelastung in Wohnungen senken. Ledersofas oder Möbel mit anderen glatten Oberflächen eignen sich für Milbenallergiker besser als Polstermöbel mit Stoffbezügen.

Pollenallergikern helfen pollendichte Netze vor den Fenstern sowie abendliches Duschen und Haarewaschen, um so wenig Allergen wie möglich in das Bett zu tragen – und ebenfalls häufiges Saugen und Wischen. Trotz dieser und einer Vielzahl weiterer Maßnahmen wird sich die Exposition aber nicht komplett auf Null reduzieren lassen.

Symptomatische Behandlung Deshalb benötigen viele Allergiker Medikamente zur Linderung der Symptome: Antihistaminika unterdrücken die überschießende Reaktion des Immunsystems. Je nach Schweregrad kommen sie lokal als Nasenspray oder Augentropfen oder systemisch in Form von Tabletten oder Saft oder in Kombination zur Anwendung. Reicht dies nicht aus, kann die zusätzliche Gabe von Kortison die durch die Allergie hervorgerufene Entzündung hemmen und dadurch die Symptome lindern. Adrenalin spielt als Notfallmedikament bei schweren allergischen Reaktionen beispielsweise nach Insektenstichen oder bei schweren Lebensmittelallergien eine wichtige Rolle.

Hyposensibilisierung Als bislang einzige kausale Therapiemöglichkeit steht vor allem bei Insektengiften, Pollen und Hausstaubmilben die Hyposensibilisierung zur Verfügung. Seltener wird sie auch bei Schimmelpilzen und Tierhaaren angewendet. Zum Teil erfolgreich verliefen erste Versuche, schwere Erdnussallergien auf diese Weise zu lindern. Bei der „Hypo“ wird der Körper über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren schrittweise langsam steigenden Dosen des Allergens ausgesetzt. Ziel ist, dass er mit der Zeit eine Toleranz gegenüber dem Allergen entwickelt.

Dadurch wird die Konzentration des Allergens heraufgesetzt, ab der der Körper mit allergischen Symptomen reagiert. In der Folge kann in vielen Fällen die symptomatische Therapie reduziert oder sogar abgesetzt werden. Zudem verringert die Hyposensibilisierung das Risiko, dass die Allergie von den oberen auf die unteren Atemwege übergreift.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 01/15 ab Seite 14.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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