© alphaspirit / 123rf.com

Politik

DIE WUNSCHLISTE

Geht es nach dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen, braucht die Arzneimittelversorgung in Deutschland einen Modernisierungsschub. Zehn Handlungsfelder werden benannt. Mit dabei: die Forderung nach Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbots.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Ein Positionspapier des GKV-Spitzenverbands sorgt aktuell für Diskussionen. Zwar attestiert der Verband dem deutschen Gesundheitssystem eine Arzneimittelversorgung auf hohem Qualitätsniveau. Gleichwohl wird Handlungsbedarf gesehen, damit eine flächendeckende, hochwertige und sichere Versorgung der Patienten auch zukünftig gewährleistet ist. Nicht weniger als zehn Felder mit Weiterentwicklungsbedarf werden gesehen. Manche sind sinnvoll, nicht wenige problematisch. Die Thesen im Überblick.

Patientenorientierte Arzneimittelpolitik Wichtig ist dem Verband, dass Patienten auch in Zukunft neue Arzneimittel unmittelbar nach ihrer Markteinführung zur Verfügung stehen. Als Problem wird die Polymedikation insbesondere älterer, multimorbider Patienten ausgemacht – zu Recht. Besserung ist in Sicht. Der mit dem eHealth-Gesetz ab Oktober 2016 geplante Medikationsplan sollte Fehlmedikation durch Einbindung der Apotheken reduzieren. Dies kann jedoch nur eine Zwischenlösung sein. Die elektronische Gesundheitsklarte ist überfällig. Ihre Einführung verzögert sich jedoch durch die fehlende Telematik-Infrastruktur immer weiter.

Qualität verbessern Die Einführung der frühen Nutzenbewertung von neuen patentgeschützten Arzneimitteln in der vergangenen Legislaturperiode wird vom Spitzenverband als großer Schritt nach vorne zur Verbesserung der Qualität in der Arzneimittelversorgung gesehen. Echte Innovationen könnten nunmehr von Scheininnovationen abgegrenzt werden. Auch unter Experten ist man sich einig, dass sich die frühe Nutzenbewertung dem Grunde nach bewährt hat. Gleichwohl muss sie weiterentwickelt werden. Der Bundesrat hat im Zuge des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes konkrete Vorschläge gemacht.

Auch Lieferengpässe, mit denen Apotheken praktisch täglich zu kämpfen haben, werden im Positionspapier angesprochen. Das multifaktorielle Problem wird verkürzt auf die Feststellung, dass vor allem die Produktionsverlagerung auf wenige Standorte das Problem sei. Es darf bezweifelt werden, ob die vom Spitzenverband geforderten erweiterten Durchgrisrechte der Landesbehörden zur Sanktionierung von Lieferengpässen hier wirksam Abhilfe schaen könnten. Die Problematik von Rabattverträgen wird hingegen mit keinem Wort erwähnt.

Unabhängige Informationen über Arzneimittel sicherstellen Gefordert werden eine Veröffentlichungspflicht für alle klinischen Studien in einem öentlichen Register und die Aufwertung des Instituts für Qualität und Wirtscha!lichkeit im Gesundheitswesen zur zentralen Plattform für unabhängige Informationsaufereitung und -verbreitung. Die Veröffentlichungspflicht der Ergebnisse klinischer Prüfungen ist bereits im Arzneimittelgesetz verankert.

Mit der neuen EU-Verordnung über klinische Prüfungen wird sich die Transparenz von Arzneimittelstudien weiter verbessern. So ist vorgeschrieben, dass künftg alle Prüfungsergebnisse, auch die negativen, zu veröffentlichen sind. Die geforderte Aufwertung des IQWiG zur zentralen Plattform für unabhängige Arzneimittelinformationen ist sicherlich sinnvoll. Bereits heute finden sich dort vielfältige Gesundheitsinformationen für Patienten, die auch für die Beratung nützlich sind.

Nutzenbewertung und Erstattungsbeträge fortschreiben Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, auf die Überlegungen des Spitzenverbands im Detail einzugehen. Zwei Punkte seien herausgegriffen: die Rückwirkung verhandelter Erstattungsbeträge zum Tag der Markteinführung und die Nutzenbewertung für alle Bestandsmarkt-Biologika.

FESTBETRÄGE
Der Spitzenverband sieht die Festbeträge als unverzichtbares Preissteuerungsinstrument zur Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven. Die Effzienz des Instruments ist in der Tat unstrittig. Die Einsparungen belaufen sich derzeit auf knapp sieben Milliarden Euro jährlich, weit mehr als zum Beispiel Rabattverträge. Kein Wunder, dass die Kassen auf solch ein Instrument nicht verzichten wollen (und können).

Im Sozialgesetzbuch V (SGB V) ist geregelt, dass der vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit dem pharmazeutischen Unternehmer vereinbarte Erstattungsbetrag erst ab dem 13. Monat nach dem erstmaligen Inverkehrbringen einer Arzneimittelinnovation gilt. Denn rascher Marktzugang und sofortige Verfügbarkeit sollten durch frühe Nutzenbewertung und Preisverhandlung nicht gefährdet werden. Der Vorschlag des Spitzenverbands hätte, würde er vom Gesetzgeber aufgegrien, vermutlich gravierende negative Folgen für die Patientenversorgung. Denn die Unternehmen würden vermutlich erst die Preisverhandlungen abwarten und gegebenenfalls dann das neue Arzneimittel einführen. Auch der zweite Vorschlag ist problematisch.

Mit dem 14. SGB V-Änderungsgesetz wurde die Bearbeitung von Bestandsarzneimittel zum 1. Januar 2014 grundsätzlich eingestellt, da sich der methodische und administrative Aufwand der Bewertung von Arzneimitteln, die bereits vor dem 1. Januar 2011 im Verkehr waren, als unverhältnismäßig hoch erwiesen hat. Zudem wurde ein wirtscha!licher Ausgleich bereits durch das verlängerte Preismoratorium geschaffen.

Vertragswettbewerb in der Arzneimittelversorgung fördern Als Einsparinstrument haben sich Rabattverträge (neben vielen dirigistischen Preis- und Mengensteuerungsinstrumenten im SGB V das einzige wettbewerbliche Instrument) aus Kassensicht bewährt. Mehr als zwei Milliarden Euro lassen sich so jährlich einsparen. Dass Mehraufwand in Apotheken entsteht, bleibt im Positionspapier unerwähnt. Dafür wird klargestellt, dass Produktinnovationen von Arzneimitteln und Medizinprodukten durch den neuen Innovationsfonds (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz) nicht Aufgabe der Gesetzlichen Krankenversicherung sein sollen. Bei auskömmlichen Erstattungsbeträgen für Innovationen ist eine Förderung aus dem neuen Fonds auch vermutlich entbehrlich.

Arzneimittelversorgung bezahlbar halten Der Spitzenverband hält jenseits von Fest- und Erstattungsbeträge sowie Rabattverträgen weitere Steuerungsinstrumente für zwingend erforderlich, um die Arzneimittelversorgung für Versicherte und Patienten bezahlbar zu halten. Einen wesentlichen Beitrag leiste der Herstellerabschlag in Verbindung mit dem Preismoratorium (Einfrieren der Preise). Fakt ist, dass das Preismoratorium wiederholt verlängert wurde und bereits seit Mitte 2009 und bis Ende 2017 gilt. Das trifft Hersteller direkt und Pharmagroßhandel und Apotheken indirekt. Zumindest ein Inflationsausgleich sollte gewährt werden. Das sieht auch der Bundesrat so und verabschiedete im Jahr 2014 eine entsprechende Empfehlung.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 03/15 ab Seite 143.

Dr. Michael Binger, Hessisches Sozialministerium

×