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Herpesviridae

DIE UNZERSTÖRBAREN

Das Herpesvirus ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit: Hippokrates nannte die Infektion „Bläschenkrankheit“, und ein römischer Kaiser verbot das Küssen bei Großveranstaltungen wegen der Ansteckungsgefahr.

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Fast jeder hat es, aber keiner braucht es: In Deutschland beträgt die Durchseuchung mindestens 84 Prozent. Herpesviren, deren Bezeichnung aus dem Griechischen stammt, gehen im Wortstamm zurück auf herpein, das heißt „kriechen“. Nach der Infektion kriecht das Virus nämlich an den Nervenbahnen entlang, sogar die Geschwindigkeit ist bekannt: 0,7 Nanometer pro Sekunde. Wenn es sein Ziel, den Ganglionkörper des Nervs, erreicht hat, setzt es sich zur Ruhe, um eine günstige Gelegenheit abzuwarten. Herpes simplex, das für den Ausbruch des Lippenherpes (Herpes labialis) verantwortlich ist, verharrt beispielsweise entlang der Gesichtsnerven in Ruhestellung – und wenn das Immunsystem mal nicht so auf der Höhe ist, schlägt es zu.

Hochinfektiöse Bläschen Zuviel Sonne, emotionaler Stress – bei jedem sind die Auslöser andere. Herpes labialis bevorzugt die Stelle am Rande des Lippenrots, wandert dorthin und erzeugt dann die typischen, mit klarer Flüssigkeit gefüllten Bläschen, die meist schrecklich jucken. Abgeschlagenheit und ein allgemeines Krankheitsgefühl gesellen sich dazu. Ihren Namen „Fieberbläschen“ erhielten sie, da sie sich häufig vor dem Ausbruch einer Infektionskrankheit zeigen, wenn das Immunsystem geschwächt ist. Die Herpesviren dringen in die Epithelzellen der Haut ein, zerstören sie und bringen sie dazu, nur noch Viren-DNA zu produzieren.

Als Entzündungsreaktion entstehen die Bläschen, deren Exsudat hochinfektiös ist – in einem Milliliter Flüssigkeit befinden sich eine Milliarde Viren. Während der Lippenherpes zwar unheimlich lästig, aber doch inder Regel harmlos ist – nach zwei Wochen ist der Spuk vorbei und die H. simplex-Viren kehren wieder in ihre Latenzstarre zurück – besitzt das 160 Nanometer große Virus eine große Familie. Auch die Windpocken und das Pfeiffersche Drüsenfieber sind eine Herpes-Variation. Zur Klassifizierung hat die Wissenschaft die acht HHV (Humanes Herpesvirus)-Typen in drei Untergruppen aufgeteilt: Alpha-, Beta- und Gammaviren.

Die Alpha-Herpesviren umfassen das HHV-1 (Herpes simplex, Typ 1), das für den Ausbruch von Lippenherpes verantwortlich ist. HHV-2 löst Genitalherpes aus, HHV-3 verursacht Windpocken und Gürtelrose. Unter Beta-Herpesviren sind das HHV-5 (Zytomegalievirus), HHV-6 sowie HHV-7 definiert. Letztere können das Dreitagefieber auslösen. Gamma-Herpesviren umfassen das HHV-4, auch Eppstein-Barr-Virus genannt (Pfeiffersches Drüsenfieber, infektiöse Mononukleose) und das HHV-8 (Karposi-Sarkom-Virus), das sogar Tumore hervorrufen kann. Übertragungsweg der Viren ist der Speichel- und Schleimhautkontakt sowie die Schmierinfektion. Der Mensch ist der einzige natürliche Wirt. Oft erwirbt man das Herpesvirus bereits im Säuglingsalter. Die Erstinfektion kann harmlos verlaufen oder sich aber zur schmerzhaften „Mundfäule“ (Gingivostomatitis herpetica) mit geschwollenen Schleimhäuten und zahlreichen kleinen Aphten ausweiten.

Hilfe von innen

Ein anderer Ansatz ist eine ergänzende diätetische Diät in Form einer trinkfertigen Lösung. Sie enthält neben mehreren Vitaminen, Zink, Selen und Bioflavonoiden die Aminosäure L-Lysin. Bei der Herpesvermehrung spielt die Aminosäure L-Arginin eine große Rolle. Lysin hemmt die Arginin-Aufnahme in die virenproduzierenden Zellen und verhindert dadurch das Viruswachstum. Der Heilungsprozess soll so um bis zu fünf Tage verkürzt werden.

Viele verschiedene Arten Das stabile und langlebige Virus ist ausgesprochen robust und neigt auch nicht zu Mutationen. Dafür bevorzugen seine Variationen jeweils verschiedene Orte: Herpes corneae beispielsweise befällt die Hornhaut des Auges, Herpes genitalis die äußeren Geschlechtsorgane – weshalb beim Geschlechtsverkehr von Betroffenen ein Kondom Pflicht sein sollte. Herpes nasalis, buccalis und facialis, bei anderen Körperstellen auch corporis, Herpes gladiatorum (nach Traumata) weisen auf die Vielfalt des Erregers hin. Und hier ist eine Infektion nicht immer nur harmlos: Eine Herpes-simplex-Retinitis kann durch die Zerstörung des Netzhautgewebes zur Erblindung führen.

Die herpesbedingte Enzephalitis mit Befall des zentralen Nervensystems hat unbehandelt eine 70-prozentige Sterblichkeit. Nach überstandener Erkrankung verbleiben oftmals neurologische Defizite. Die so genannte Bell-Lähmung, eine herpesbedingte Gesichtslähmung, spricht nicht einmal auf die gängigen Virustatika an. Und bei Neugeborenen kann eine Infektion während des Geburtsvorgangs zu schwersten Schäden führen, weshalb hier oft mit Kaiserschnitt entbunden wird und dem Pflegepersonal mit akuter Herpes labialis die Arbeit auf der Station untersagt ist.

Der erste Wirkstoff Lange Zeit schien so recht kein Kraut gegen den hartnäckigen und unausrottbaren Virus gewachsen zu sein. Die Menschen versuchten es auf jede Art und Weise; sie schmierten Zahnpasta auf die Bläschen, betupften sie mit Alkohol oder Melissenextrakt. Meist zeigten sich die Herpesviren davon unbeeindruckt. 1974 jedoch beschäftigten sich die britischen Wissenschaftler Howard Schaeffer und Getrude Elion mit einem neuartigen Wirkstoff. Aciclovir, ein Nukleosidanalogon, war in der Lage, die Virusvermehrung zu stoppen, indem es während der Vermehrung vom Körper „irrtümlich“ in den DNA-Strang des Virus-Genoms eingebaut wird.

Die Synthese des Virus wird daraufhin abgebrochen. 1982 waren erste Topika in den Apotheken erhältlich. Ganz zu Beginn aufgetragen, kann Aciclovir den Ausbruch von Herpes labialis verhindern. Doch die Creme hilft nur, wenn man sie bei den ersten Anzeichen der typischen „Fieberbläschen“ in kurzen, häufigen Intervallen regelmäßig aufträgt. Neben Aciclovir wurde zudem das Prodrug Valaciclovir sowie die modifizierte Form Penciclovir entwickelt. Die fünfprozentige Creme ist rezeptfrei erhältlich; Aciclovir kann der Arzt bei schweren Verläufen auch intravenös verabreichen. Bis heute kann allerdings niemand restlos von den Herpesviren befreit werden; es können nur die Symtome behandelt werden.

Es gehört zu den Ungerechtigkeiten im Leben, dass bei manchen Menschen – obwohl Virusträger – das Herpesvirus ausbricht und bei anderen nicht. Warum das so ist, hat noch keiner herausgefunden. Ein Trost bleibt jedoch den vielen leidgeprüften Bläschenträgern – auch der Herpes simplex wird alt und geht so langsam „in Rente“. Er verliert im Lauf der Zeit an Vitalität, die Ausbrüche werden seltener bis sie schließlich ganz ausbleiben. Für Herpesgeplagte ein Grund mehr, sich auf die Zeit 50plus zu freuen!

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 12/17 ab Seite 150.

Alexandra Regner, PTA/Redaktion

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