Schreiendes Baby © JAndrey_Chuzhinov / iStock / Thinkstock
Säuglinge lassen sich in den ersten drei Lebensmonaten in 40 Prozent der Schreisituationen nicht beruhigen. © JAndrey_Chuzhinov / iStock / Thinkstock

Auffälligkeiten bei Kindern

DIE SPRACHE DER KLEINSTEN

Hunger und Bauchweh sind die häufigsten Gründe, weswegen Säuglinge weinen. Manchmal scheint gar nichts mehr zu helfen: Hält das lautstarke Schreien länger an, sind Eltern oft mit den Nerven am Ende.

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Schreien ist die erste Art der menschlichen Kommunikation, in den ersten Wochen drückt der Nachwuchs durch das Brüllen seine körperlichen Bedürfnisse aus. Die Neugeborenen lassen ihre Eltern wissen, dass ihnen etwas weh tut, sie Hunger haben oder Trost brauchen. Je jünger die Säuglinge sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie schreien, weil sie Hunger haben. Jedoch können sie auch auf sich aufmerksam machen, wenn sie sich erschrecken, einen schmerzhaften Reiz oder einen Temperaturwechsel (etwa beim Entkleiden) spüren.

In den ersten Wochen nach der Geburt haben nahezu alle Kinder aufgeregte Phasen, in denen sie schwer zu beruhigen sind. Der Psychologe Professor Dr. Dieter Wolke von der Warwick University in Großbritannien kam aufgrund seiner Untersuchung zu dem Schluss, dass ein 7 bis 14 Tage altes Kind etwa 69 Minuten täglich schreit, ein drei bis vier Wochen altes Baby 81 Minuten täglich wehklagt. Die Laute können in der Intensität variieren und von einem Wimmern in den Ausdruck größter Verzweiflung wechseln.

Ruhig bleiben Hilfreich bei brüllenden Kindern ist, wenn Eltern Ruhe bewahren und zu den Babys körperlichen Kontakt suchen. Um den Nachwuchs zu beruhigen, kann man ihm zunächst Nahrung anbieten oder ihn wickeln. Helfen diese Maßnahmen nicht, nimmt man die Babys am besten auf Schulterhöhe an die Brust, geht langsam umher und wiegt sie behutsam.

Allerdings lassen sich Säuglinge in den ersten drei Lebensmonaten in 40 Prozent der Schreisituationen nicht beruhigen. Diese Information ist insbesondere für Eltern wichtig, die leicht zu verunsichern sind und denken, sie würden ihr Kind falsch behandeln. Zwar interpretieren sie das Brüllen vielleicht nicht immer richtig, allerdings ändert sich dies mit zunehmender Erfahrung.

Hilfe für Eltern mit Schreibabys gibt es im ganzen Bundesgebiet in sogenannten Schreiambulanzen. Dort finden die Eltern professionelle Unterstützung.

Permanentes Brüllen Überschreitet das Schreien ein normales Maß, spricht man umgangssprachlich von Schreibabys. Früher nahm man an, es seien Bauchschmerzen, die den Nachwuchs weinen lassen. Der überblähte Bauch ließ vermuten, die Ursache für das Gebrüll zu sein. Dieser entsteht jedoch, weil die Kinder schreien und dabei zu viel Luft schlucken – so viel ist jetzt klar. Eine Definition aus den Fünfzigerjahren besagt, dass Schreikinder an mindestens drei Tagen pro Woche länger als drei Stunden wehklagen.

Professor Wolke schlägt darüber hinaus ein Modell vor, welches die sich verändernde Schreidauer in den ersten drei Lebensmonaten berücksichtigt. Demzufolge sind Babys in der dritten bis vierten Lebenswoche Schreikinder, wenn sie länger als dreieinhalb Stunden täglich Alarm schlagen. In der zehnten bis zwölften Lebenswoche hingegen ist eine Schreidauer von mehr als zwei Stunden bereits auffällig. Laut Wolke weisen betroffene Kinder eine vergleichsweise niedrigere Reaktionsschwelle auf, reagieren eher auf äußere Reize und sind somit auch schneller erregt.

Außerdem benötigen sie wesentlich mehr Zeit als andere Säuglinge, um sich wieder zu beruhigen, vermutlich, weil ihr Brüllen sehr intensiv ist. Neugeborene müssen grundsätzlich ihren eigenen Rhythmus zwischen Wachsein und Schlaf finden, Schreikindern fällt dieser Prozess der Selbstregulation in der Regel schwerer als anderen Säuglingen. Eltern sollten Schreibabys am besten eine reizarme Umgebung bieten, um Übererregungen, die zum Brüllen führen, zu reduzieren. Darüber hinaus hilft diese dabei, Schreiphasen zu beenden.

Tipps zur Beruhigung Folgende Maßnahmen helfen dabei, ein Neugeborenes zu beruhigen:

  • Ruhig sprechen oder rhythmische Laute (wie ruhige Musik oder das Ticken einer Uhr) erzeugen: Diese sind oft wirksamer als wechselnde Lärmquellen.
  • Das Baby an die Schulter heben, wiegen und umhergehen: Die Kombination aus Bewegung, Körperkontakt und aufrechter Haltung beruhigt effektiv.
  • Einen Schnuller geben: Durch das Saugen wird die Übererregung vermindert.
  • Den Säugling fest wickeln: Die Wärme hat einen beruhigenden Einfluss auf das brüllende Kind.
  • Das Baby massieren: Dabei streicht man mit sanften Bewegungen über den Körper, um die Muskulatur zu entspannen.
  • Das Neugeborene im Kinderwagen umherschieben oder in einer Wiege schaukeln: Jede rhythmische Bewegung hilft, es zu beruhigen. Helfen all diese Techniken nicht, ist es durchaus auch erlaubt, das Kind ein bisschen schreien zu lassen. Manchmal schlafen Säuglinge nach ein paar Minuten von alleine ein.


Tödliches Trauma
Bedenklich wird es, wenn Eltern durch das permanente Brüllen stark überfordert sind. Der Daueralarm kann sie bis zur Erschöpfung stressen, dennoch sollten sie das Baby selbstverständlich niemals mit Gewalt ruhig stellen. Das sogenannte „Shaken Baby Syndrom“ bezeichnet ein heftiges Schütteln des Kindes, welches zum Tod führen kann. Das Schütteln stellt eine Form der Kindesmisshandlung dar und ist strafbar.

Die körperliche Schädigung entsteht, weil das kleine Gehirn heftig gegen die Schädeldecke prallt. Das Statistische Bundesamt geht jährlich von 100 bis 200 derart verursachten Todesfällen in Deutschland aus, eine offizielle Statistik existiert jedoch nicht. Wer sein Kind geschüttelt hat, sollte unverzüglich in ein Krankenhaus fahren und die Situation wahrheitsgemäß schildern – mit jeder Stunde, die ein Schütteltrauma nicht erkannt wird, sinkt die Überlebenschance des Babys. Lesen Sie dazu auch auf Seite 84 über die Kampagne „Schütteln tötet“.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/18 auf Seite 138.

Martina Görz, PTA und Fachjournalistin

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