Repetitorium

DIE NIERE – TEIL 3

Jeder achte Deutsche befindet sich im Anfangsstadium einer Nierenerkrankung. Frühzeitig entdeckt kann der Krankheitsverlauf beeinflusst werden, doch werden die meisten erst vorstellig, wenn es zu spät ist. Was sind die Gründe und wie wird therapiert?

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Gesunde Nieren reinigen unser Blut etwa 300 Mal am Tag. Es scheint schwer vorstellbar, doch eine chronische Nierenerkrankung, die mit dem stetigen Funktionsverlust einer oder beider Nieren einhergeht, wird selten direkt von Betroffenen wahrgenommen. Denn manchmal treten anfangs gar keine Symptome auf, manchmal sind Müdigkeit, häufige Infektionen, Konzentrationsschwäche, Hautjucken oder Übelkeit zu unspezifisch, um sie direkt mit einer Nierenkrankheit in Verbindung zu bringen. Bis ein Patient letztlich beim Nephrologen vorstellig wird, vergeht oft eine lange Zeit. Wie dieser Patient diagnostiziert und behandelt wird und was Sie für ihn in der Apotheke tun können, ist Thema dieses letzten Teils unserer Repetitoriumsreihe über die Niere.

Wenn die Reinigungsabteilung schlappmacht Zwar kommen die Nieren im Körper verschiedenen, lebenswichtigen Aufgaben nach, doch ihr Hauptzweck liegt in der Bildung von Harn und damit der Ausscheidung harnpflichtiger Substanzen. Kommen die Nieren zu Schaden oder verlieren ihre Funktion, hat dies weitreichende Folgen für unseren Körper. Die akute Niereninsuffizienz ist dabei oftmals vorübergehend, wenn der Zustand auch mit einer hohen Sterblichkeit einhergeht (über 50 Prozent). Der bedrohliche Zustand stellt sich innerhalb von Stunden bis Tagen ein; wird die Ursache rechtzeitig behoben, erholen sich die Nieren meist wieder.

Die häufigsten Ursachen sind direkte Nierenschäden (z. B. durch einen Unfall oder Giftstoffe/Medikamente) sowie Minderdurchblutungen (z. B. durch Herzerkrankungen, Lungenembolie, hohe Blutverluste nach Operationen oder Unfall). Aber auch Tumore, Harn- oder Blasensteine können ein akutes Nierenversagen verursachen. Insgesamt sind diese Harnabflussstörungen jedoch seltener dafür verantwortlich. Ein akutes Nierenversagen ist immer ein Fall für die Intensivmedizin: Es wird alles versucht, um die Grunderkrankung beziehungsweise -störung zu beheben und die Nierenfunktion wiederherzustellen.

Dazu kommen Elektrolyt- und Flüssigkeitsinfusionen, verschiedene Medikamente zur Stabilisierung des Blutkreislaufs und je nach vorliegendem Gesamtbild auch Dialysemaßnahmen zum Einsatz. Im Gegensatz zum Akutgeschehen schreitet eine chronische Niereninsuffizienz langsam voran und der Funktionsverlust ist nicht wieder herstellbar. Die Nieren können die Probleme lange Zeit überbrücken, doch in fortgeschrittenen Stadien kommen sie irgendwann nicht mehr nach und es stellen sich ernsthafte, teilweise lebensbedrohliche Zustände ein.

Wie tief geht es (gut)? Pro Minute filtern die Nieren etwa 95 bis 120 Milliliter Blut und reinigen es von harnpflichtigen Substanzen. Der Zahlenwert wird als Glomeruläre Filtrationsrate (GFR) bezeichnet. Es handelt sich um keine konstante Größe, je nach Tageszeit kann die GFR um bis zu einem Drittel schwanken. Auch das Alter hat einen Einfluss: Den Höhepunkt erreicht der Wert bei einem gesunden Menschen um die 20, danach nimmt die GFR langsam ab – circa ein Prozent pro Jahr nach dem 35. Lebensjahr. Daher kann auch bei einem ansonsten nierengesunden Menschen eine erniedrigte GFR im Alter Grund für eine nachlassende Filterfunktion sein. Eine Niereninsuffizienz gilt jedoch als Hauptursache für eine sinkende GFR.

Die Niereneinschränkung führt zum einen dazu, dass sich Stoffe im Urin finden, die dort sonst nicht oder nur in vernachlässigbarer Konzentration vorkommen, zum anderen erhöhen sich die Blutwerte harnpflichtiger Substanzen.

Stadium 1: Nierenschäden mit normaler GFR Die GFR ist normal bis leicht erniedrigt: über 90 Milliliter pro Minute (ml/min). Es finden sich bereits Eiweiße im Urin (Albuminurie), doch treten noch keine Beschwerden auf, selten Ödeme oder verfärbter Urin.
Stadium 2:Leichtgradige Niereninsuffizienz Die GFR ist auf 60 bis 89 ml/min erniedrigt, Beschwerden treten weiterhin selten auf.
Stadium 3:Moderate bis schwere Niereninsuffizienz Die Filterfunktion ist nun so stark eingeschränkt (GFR zwischen 30 und 59 ml/min), dass sich veränderte Blutwerte ergeben: Serum-Kreatinin und Harnstoff sind erhöht. Spätestens jetzt treten Beschwerden wie Bluthochdruck, Leistungsabfall und rasche Ermüdbarkeit auf; das Risiko für Herzkreislauf-Erkrankungen steigt.
Stadium 4: Schwere Niereninsuffizienz Sinkt die GFR auf einen Wert zwischen 15 und 29 ml/min treten stärkere Beschwerden auf: Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Juckreiz, Nerven- und Knochenschmerzen sowie vermehrte Ödembildung.
Stadium 5:Terminale Niereninsuffizienz Ab jetzt spricht man von einer terminalen Niereninsuffizienz, die GFR liegt unter 15 ml/min. Die Nieren können ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen, der Betroffene ist auf die Dialyse oder eine Transplantation angewiesen.

Ursachen für eine chronische Niereninsuffizienz

Die mit Abstand häufigste Ursache ist die diabetische Nephropathie im Rahmen eines Diabetes mellitus. Weitere Ursachen sind:

+ hypertensive Nephropathie, also durch hohen Blutdruck bedingte Entzündungen, häufig gemeinsam mit einer Arteriosklerose der Nierengefäße,
+ Nierenentzündungen wie chronische Glomerulonephritis oder interstitielle Nephritis und chronisch rezidivierende Pyelonephritis,
+ Zystennieren, also Nierenfehlbildungen oder auch
+ Autoimmunerkrankungen wie der systemische Lupus erythematodes.
Bei etwa 10 Prozent aller Fälle bleibt die Ursache unbekannt.

Externe Filterung Es gibt keinen Ersatz für ein Paar gesunde Nieren. Dennoch können externe Blutreinigungsverfahren Leben retten. Seit Mitte der 1940er Jahre werden „Blutwäschen“ durchgeführt, 20 Jahre später galt die Technik bereits als Standardbehandlung bei nachlassender Nierenfunktion. Es handelt sich um ein physikalisches Verfahren, nach dem Grundprinzip der Diffusion. Mit Hilfe einer Flüssigkeit (Dialysat) wird das Blut von gelösten Teilchen befreit. Damit nicht einfach alle Stoffe aus dem Blut entfernt werden, reguliert eine Membran den Vorgang und lässt nur Teilchen bestimmter Größe durch.

Sie übernimmt die Rolle des Glomerulus einer gesunden Niere. Dem Betroffenen stehen zwei Verfahren zur Verfügung: die Hämo- und die Peritonealdialyse. Bei der Hämodialyse werden größere Mengen Blut benötig. Diese Kapazität können die normalen Blutgefäße nicht leisten, in einem operativen Eingriff wird daher vor der ersten Dialyse ein Gefäßzugang, ein sogenannter Shunt gelegt. Der Patient wird für ungefähr vier bis fünf Stunden an eine Maschine angeschlossen, die über zwei Kreisläufe verfügt: In dem einen läuft das Dialysat, eine wässrige Lösung aus Elektrolyten, Glucose und Puffern, die in ihrer Zusammensetzung dem Blutserum ähnelt.

Im Dialysator trifft dieser Kreislauf auf das ungereinigte Blut, das, während es entlang der halbdurchlässigen Membran fließt, von harnpflichtigen Substanzen gereinigt wird. Über einen zweiten Schlauch wird das gereinigte Blut dann wieder in den Patienten zurückgeleitet. Dieser empfindet dadurch in der Regel keine Schmerzen, an den dialysefreien Tagen ist er völlig frei. Der Nachteil liegt in den konsequenten, regelmäßigen Besuchen von Dialysezentren oder -ärzten, was die Alltagsplanung beeinträchtigt. Die Peritonealdialyse empfinden viele daher häufig als flexibler, denn sie kann zuhause durchgeführt werden, eine Fahrt zum Arzt entfällt, wodurch sich diese Form leichter ins Berufsleben und den Alltag integrieren lässt.

Da die Prozedur täglich stattfindet, sind auch die Einschränkungen bei Essen und Trinken geringer. Zudem ist sie technisch so simpel gestaltet, dass sie vom Patienten selbst durchgeführt werden kann: Das Dialysat (eine wässrige Lösung aus vorrangig Glucose oder Aminosäuren) wird über eine Art Infusionsüberleitungssystem in den Bauchraum eingeleitet, wo die Lösung Abfallstoffe bindet. Das Bauchfell (Peritoneum) entspricht dabei in seiner Funktion einer halbdurchlässigen Membran. Nach einigen Stunden wird die Lösung entfernt und durch frische ersetzt – das geschieht circa viermal pro Tag. Unter bestimmten Voraussetzungen genügt auch einmal am Tag, zum Beispiel über Nacht.

Mögliche Risiken wie eine Infektion des Bauchfells (Peritonitis) erhöhen sich dann allerdings. Wichtig ist ein absolut steriles Arbeiten, um Infektionen zu vermeiden. Seltener wird die Hämofiltration durchgeführt. Sie entspricht im Aufbau der Hämodialyse, nur wird dem Blut wirklich Flüssigkeit abfiltriert, wodurch das Verfahren noch stärker der natürlichen Nierenfunktion entspricht und dadurch kreislaufschonender ist, jedoch weniger effizient harnpflichtige Substanzen entfernt. Eine Kombination aus dieser Methode und der Hämodialyse ist die Hämodiafiltration: Sie vereinigt alle Vorteile beider Verfahren, ist jedoch technisch viel aufwendiger. Am häufigsten kommt in Deutschland die Hämodialyse zum Einsatz, insgesamt werden etwa 80 000 Menschen durch Dialyseverfahren behandelt (Stand 2017).

Das Gerät muss einen 24-Stunden-Job an drei halben Tagen pro Woche erledigen. Das stellt hohe Ansprüche an die Technik, aber auch an den Patienten. Denn dieser muss seine Ernährung und vor allem sein Trinkverhalten radikal umstellen – bei einer Hämodialyse darf ein Betroffener beispielsweise nur seine Ausscheidungsmenge plus 500 Milliliter am Tag trinken. Zusätzlich muss bei den Mineralstoffen Kalium, Natriumchlorid und Phosphat aufgepasst und die aufgenommene Proteinmenge angepasst werden. Eine derartige Umstellung geht nicht von heute auf morgen, da sie aber (über)lebenswichtig ist, empfiehlt sich eine Ernährungsberatung, wie sie auch häufig in Dialysezentren angeboten wird.

Dosis muss angepasst werden

Arzneistoffe, die zu einem großen Teil über die Niere eliminiert werden, müssen bei nachlassender Nierenfunktion früher oder später in ihrer Dosierung angepasst werden – das kann schon ab einer GFR von 60 ml/min relevant werden und gilt im Besonderen für Wirkstoffe mit enger therapeutischer Breite. In der Praxis geschieht dies leider noch nicht oft genug, die ausbleibende Anpassung verursacht arzneimittelbezogene Probleme und jährlich hohe indirekte Kosten. Die engere interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheke wäre hier wünschenswert. Informationen zu den einzelnen Wirkstoffen findet man unter: www.dosing.de.

Die Dosette ist voll Verschiedene Verfahren können den Job der Blutreinigung übernehmen. Die anderen Aufgaben der Niere kann jedoch kein Verfahren der Welt bislang ersetzen, daher müssen Dialysepatienten verschiedene Medikamente einnehmen oder verabreicht bekommen. In den Nieren wird beispielsweise das Hormon Erythropoietin, kurz EPO, gebildet. Es regt die Bildung neuer Erythrozyten im Knochenmark an. Bei einer chronischen Nierenerkrankung gehen die Spiegel von EPO zurück, es werden weniger rote Blutkörperchen gebildet – die Hauptursache für eine Anämie, in diesem Fall als renale Anämie bezeichnet.

Daher wird synthetisches EPO intravenös oder durch die Leitungen des Dialysegeräts während einer Hömodialyse verabreicht, um die Erythrozytenmenge im Blut zu stabilisieren. Zusätzlich ist häufig auch eine intravenöse Eisengabe notwendig, denn ohne Eisen kann nicht ausreichend Hämoglobin für die Erythrozytenproduktion bereitgestellt werden. Die meisten Dialysepatienten weisen zudem einen Vitamin-D-Mangel auf. Das Hormon wird zwar nicht in den Nieren gebildet, aber dort aktiviert. Darum erhalten viele – meist auch schon präventiv in prädialytischen Stadien – Vitamin-D3-Supplemente. Häufig in Kombination mit Calcium, denn bei Dialysepatienten stellt sich zum einen durch die Ernährungsumstellung, zum anderen durch das Zusammenspiel mit Phosphat schneller ein Calciummangel ein.

Denn wovon die meisten Betroffenen zu viel haben – und das trotz angepasster Ernährung – ist Phosphat. Eine Hyperphosphatämie führt zur Freisetzung von Calcium aus den Knochen, Calciumphosphat kann sich in Blutgefäßen ablagern und Gefäße und Gewebe reizen. Ein massiver Calciummangel kann zu Herzrhythmusstörungen und Muskelkrämpfen führen und das Risiko für Osteoporose und Arteriosklerose erhöhen. Auch die Dialyse kann nur einen Teil des überschüssigen Phosphats entfernen. Sogenannte Phosphatbinder senken die Spiegel, indem sie mit Phosphat unlösliche Komplexe im Darm eingehen, die ausgeschieden werden.

Dazu gehören beispielsweise die Salze Calciumcarbonat oder Calciumacetat, es werden aber auch calciumfreie Polymere (Sevelamer, Colestilan) eingesetzt. Natürlich steht im Vordergrund die Therapie der Grunderkrankungen: Ein Diabetes mellitus muss gut eingestellt, Bluthochdruck mit Antihypertensiva behandelt werden. Bei Entzündungen – zum einen an der Niere selbst, zum anderen an Hilfsmitteln wie Shunt oder Katheter – kommen Antibiotika zum Einsatz. Aufgrund der begrenzten Trinkmenge, leiden viele unter Obstipation und erhalten auch dagegen eine entsprechende Pharmakotherapie.

Prävention so lange es gehtEs ergeben sich bestimmte Risikogruppen, die für eine Nierenerkrankung sensibilisiert werden sollten. Die gesundheitliche Betreuung und die Beratung über eine gesunde Lebensführung gehören zu den pharmazeutischen Tätigkeiten. Oftmals ist der Kontakt zu den Kunden enger und findet häufiger statt als in der Arztpraxis. Nutzen Sie diese Chance und werden Sie nicht müde, Diabetiker, Hypertoniker oder Menschen mit behandlungsbedürftigem Körpergewicht auf Präventionsmaßnahmen aufmerksam zu machen. Dazu gehört neben der guten Einstellung von Blutzucker und -druck eine bewusste, salzarme Ernährung.

Bei bereits vorhandenen Niereneinschränkungen (ohne Dialysepflicht) auch eine Eiweißbeschränkung, jedoch nicht bei den Proteinen mit hoher biologischer Wertigkeit. Eine Gewichtsnormalisierung mit regelmäßiger Bewegung (z. B. Aerobic, Schwimmen, Gymnastik, Walking), wenig Alkohol und das am besten rauchfrei unterstützen eine gesunde Nierenfunktion. Genauso wichtig ist die korrekte Einnahme aller Medikamente nach Anweisung des Arztes. Und wie gelingt dies ohne erhobenen Zeigefinger? Zum Beispiel mit einem Aktionstag zu gesunder Ernährung/gesundem Trinkverhalten, mit selbst erstellten Infoblättern oder Flyern oder manchmal auch einfach mit einem netten Wort und empathischen Verhalten.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 12/19 ab Seite 86.

Farina Haase, Apothekerin/Redaktion

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