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Seuchen der Welt

DIE NEUE 'BIBLISCHE PLAGE'

Sie gehört zu den Haupttodesursachen des 21. Jahrhundert und ist eine der größten Tragödien der Neuzeit: AIDS – „Acquired Immune Deficiency Syndrome“ – auf Deutsch erworbene Immunschwächekrankheit.

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Am 1. Dezember ist Welt-AIDS-Tag. Ein Datum, an dem mit dem Symbol der roten Schleife möglichst viele daran erinnert werden sollen, dass in den 1980er-Jahren eine Autoimmunkrankheit wie eine „biblische Plage“ über die Menschen kam.

Das Zentrum für Seuchenkontrolle und -vorbeugung in den USA berichtete am 5. Juni 1981 von den ersten fünf Fällen von Patienten mit ungewöhnlicher Immundefizienz. Sie waren damit auf eine neue Krankheit gestoßen, die sich schon bald zur Pandemie entwickeln sollte. Auf diese Veröffentlichung meldeten sich viele Mediziner aus allen Ecken der USA und teilten ähnliche Fälle mit, auch aus der Karibik , bei Reisenden aus Afrika und in Europa wurden Infektionen bekannt.

Es waren insbesondere junge homosexuelle Männer, die unter der Hautkrebsart Kaposi-Sarkom litten, seltene Lungenentzündungsformen bekamen, wenige weiße Blutkörperchen hatten, sodass „irgendetwas“ deren Immunsystem zerstörte. Zunächst wurde das Syndrom „GRID“ von „Gay-Related Immune Deficiency“ (Immundefizienz unter Schwulen), teilweise auch einfach „Schwulenseuche“ genannt. Doch schon 1982 wurde der Begriff „AIDS“ geprägt, der für „Acquired Immune Deficiency Syndrome“ steht – obwohl sich Wissenschaftler über die Ursache damals noch nicht im Klaren waren.

Forschung auf Hochtouren 1983/84 entdeckten der französische Virologe Luc Montagnier (geb. 1932) am Institut Pasteur in Paris sowie sein amerikanischer Kollege Robert Charles Gallo (geb. 1937) unabhängig voneinander das humane Immundefizienzvirus (HI-Virus). 1985 wurden HIV-Antikörpertests zugelassen und in Atlanta (USA) fand die erste internationale AIDS-Konferenz statt. In Deutschland wurde eine Testpflicht für alle Blutkonserven eingeführt.

Die Hoffnung, dass die Wissenschaft – da sie nun den Erreger kannte – bald ein Mittel gegen die Krankheit entwickeln würde, überschattete allerdings ein erbittert geführter Patentstreit zum HIV-Antikörperbluttest und zur Ehre der Erregererstentdeckung, die 1987 erst auf höchster Ebene durch die damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan sowie den französischen Premierminister Jacques Chirac per Vergleich beigelegt wurde. Wirksame medizinische Waffen vom Impfstoff bis zum heilenden Medikament blieben allerdings Utopie.

Zwar wurde 1987 das erste antiretrovirale Medikament Azidothymidin (AZT) zugelassen. Doch seine Anwendung war mit schweren Nebenwirkungen verbunden, es bewirkte lediglich eine Verzögerung des Krankheitsverlaufs. Zudem war es sehr teuer und dadurch für weite Teile der mittlerweile von HIV betroffenen Gebiete (etwa Afrika) unerreichbar. Auf der Welt-Aids-Konferenz 1992 in Berlin herrschte eine große Depressionsstimmung. Die Infektionszahlen stiegen und stiegen, die Therapie stagnierte.

1996 schlug durch die Einführung eines Medikamentencocktails aus drei oder mehr starken antiretroviralen Medikamenten (HAART = hochaktive antiretrovirale Therapie), in Deutschland meist Kombinationstherapie genannt, die Stimmung hingegen fast schon in Euphorie um. Plötzlich schienen HIV und AIDS beherrschbar zu werden.

Die Sterberate infolge HIV/AIDS sank 1996/97 in den USA und Westeuropa erheblich. Die Aggressivität, Wandlungsfähigkeit und Resistenz des HI-Virus setzte aber auch dieser Errungenschaft Grenzen. Es bedurfte noch zahlreicher Verbesserungen der antiretroviralen Therapie, um zum heutigen Stand (Fixed-Dose-Kombination) zu gelangen, wo HIV-Infizierung – zumindest in den wohlhabenderen Ländern – kein Todesurteil mehr bedeuten muss.

Da es HIV-resistente Menschen gibt, scheint sogar Heilung (Gentherapie) möglich. HIV-Impfstudien sind allerdings bisher immer wieder von Rückschlägen begleitet. Doch seit Ausbruch der HIV-Pandemie vor mittlerweile gut 30 Jahren haben sich mehr als 65 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert, über 28 Millionen starben an der Immunschwäche. Damit gehört sie zu den zerstörerischsten Pandemien aller Zeiten.

ZUSATZINFORMATIONEN

Paranoia

Die erste These war: Sexuell übertragbare Krankheit unter Homosexuellen. Doch noch 1982 wurde AIDS erstmals bei Blutern diagnostiziert, die mit Blutgerinnungspräparaten aus verseuchtem Blut behandelt worden waren. Auch bei Drogenabhängigen stellten Ärzte die Erkrankung infolge verunreinigter Spritzen verstärkt fest. In der Öffentlichkeit wurde plötzlich zwischen „unschuldigen Opfern“ und „schuldigen Verursachern“ unterschieden.

Amerikanische TV-Prediger sahen AIDS als „Gottes Rache an der Homosexualität“ an. Mitte der 1980er-Jahre brach in Deutschland regelrecht eine Panik vor der neuen Krankheit aus. In der hysterischen Stimmung wurden Kranke wie Aussätzige behandelt, schwulenfeindliche Ressentiments auch seitens konservativer Politiker geschürt. Hitzig wurde über Aspekte wie Schuld und Moral diskutiert.

Da die AIDS-Forschung allerdings von Anfang an auf Hochtouren lief und sich schnell neue wissenschaftliche Erkenntnisse verbreiteten, konnten sich Prävention, Aufklärung und Unterstützung von Risikogruppen in Deutschland allmählich durchsetzen. Das Robert Koch-Institut führte umgehend ein AIDS-Register ein. In Berlin (1983) und München (1984) hatten sich früh erste AIDS-Hilfen organisiert, um Betroffene zu unterstützen.

Noch im Jahr 1987 begann die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit ihrer inzwischen berühmt gewordenen Kampagne „Gib AIDS keine Chance!“. Beratungsprogramme, die nicht nur die bekannten Risikogruppen Prostituierte und Homosexuelle erfassten, sondern auch Drogensüchtige, Bisexuelle und Sextouristen sowie die Allgemeinbevölkerung zeigten zunehmend Erfolg. Es dauerte dennoch lang, bis die öffentliche Diskriminierung AIDS-Kranker nachlies und die meisten Menschen verstanden, dass es sich um eine durch intensiven Intimkontakt übertragbare Krankheit handelt und niemals durch normalen alltäglichen Kontakt eine Übertragung erfolgt.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 11/13 ab Seite 124.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

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