Stift, Zettel und Kaffee © marekuliasz / iStock / Getty Images
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Psychologie in der Apotheke

DIE MACHT DER GEFÜHLE

Menschen erleben ständig Emotionen: Mal sind die Gefühle intensiver, mal sind sie schwächer. Sie können negativ oder positiv, bewusst oder unbewusst sein und auch in ihrer Dauer variieren.

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Ein Zitat, das dem Talmud zugeschrieben wird, lautet: „Achte auf deine Gefühle, denn sie werden zu Gedanken. Achte auf deine Gedanken, denn sie werden zu Taten. Achte auf deine Taten, denn sie werden zu Gewohnheiten.“ In diesem Sprichwort wird der Einfluss der Emotionen auf das individuelle Handeln verdeutlicht. Wut, Trauer, Freude, Liebe, Angst, Neid, Zorn, Verzweiflung oder Entspannung - das Gefühlsleben der Menschen ist breit gefächert. Allerdings erlebt nicht jede Person die komplette Bandbreite an Emotionen und auch ein Individuum hat Tage, an denen es sich dumpf fühlt, und solche, an denen die Stimmung zwischen verschiedenen Nuancen schwankt.

Wer die Vielfalt an Gefühlen wahrnehmen kann, verfügt über eine ausgeprägte Fähigkeit zur Emodiversität, die sich positiv auf das Leben auszuwirken scheint. Personen mit breitgefächerten Emotionen sind widerstandsfähiger und gesünder, da sie besser mit Veränderungen klarkommen. In schwierigen Lebenssituationen greifen sie weniger zu dysfunktionalen Strategien wie beispielsweise Aggressionen, Alkohol- oder Drogenkonsum, sondern verarbeiten die Probleme konstruktiv.

Psychisch und physisch gesund Ein großes Repertoire an positiven Gefühlen zu erleben, wirkt sich auch auf die physische Gesundheit aus: Die Entzündungsmarker im Blut sind niedriger konzentriert und das Immunsystem funktioniert besser. Doch auch negative Emotionen sind wichtig, denn sie haben eine wichtige Warn- und Schutzfunktion. Wer häufig schlecht gelaunt, antriebslos oder wütend ist, kann sich Gedanken zu den Auslösern machen und nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Übrigens kann man Emodiversität gezielt trainieren. Dazu können Sie Ihren Kunden empfehlen, die Selbstwahrnehmung zu stärken und in den unterschiedlichen Lebenslagen auf ihre Gefühle zu achten. Außerdem hilft es auch, mit Bezugspersonen so oft es geht über Emotionen zu sprechen und diese möglichst präzise und anschaulich zu beschreiben.

Auch Literatur, Filme oder Kunst bereichern das Gefühlsleben und dienen als Anregung, sich in emotionale Zustände zu versetzen. Zu den Basisemotionen, die jeder Mensch kennt, zählen Trauer, Angst, Ärger, Scham, Schuld, Verachtung, Ekel, Überraschung, Scheu oder Verlegenheit. Emotionen sind angeboren und in den menschlichen Genen verankert, sie können allerdings auch sozial erlernt sein (zum Beispiel Schuld oder Scham). Bei den unterschiedlichen Gefühlen handelt es sich um komplexe Verhaltensmuster, die sich im Verlauf der Evolution entwickelt haben und die Menschen dazu veranlassen, auf bestimmte Situationen rasch zu reagieren. Emotionen sind lebenswichtig, beispielsweise, wenn aufgrund von Angst oder Panik Flucht- oder Verteidigungsmechanismen aktiviert werden.

Biochemie der Empfindungen Gefühle entsprechen biochemischen Prozessen im Gehirn, die sich vor allem im limbischen System abspielen. Die Anwesenheit des Neurotransmitters Serotonin ruft positive Emotionen hervor, bei Depressionen liegt mitunter ein Mangel des Botenstoffs vor, sodass eine medikamentöse Aktivierung des serotonergen Systems hilfreich sein kann. Der Neurotransmitter Dopamin steht ebenfalls mit positiven Emotionen im Zusammenhang, wie etwa dem Empfinden von Belohnungen oder dem Gefühl der Verliebtheit. Auch Hormone und Emotionen interagieren, so bringt man Testosteron mit Aggression in Verbindung und Oxytocin mit Empathie und Vertrauen. Prolaktin hingegen kann in erhöhten Konzentrationen depressive Verstimmungen auslösen.

Dickicht der Emotionen Manchmal ist es allerdings auch belastend, sich Gefühlen zu stark hinzugeben. Gerade in der jetzigen Zeit der Pandemie werden Menschen permanent mit beunruhigenden Nachrichten konfrontiert und das tut ihnen oft nicht gut. Raten Sie Ihren Kunden, die News nicht permanent abzurufen, sondern nur ein- bis zweimal täglich zu checken. Darüber empfiehlt es sich, negative Gefühle wie Angst zu akzeptieren und zu erkennen, dass sie genauso zum Leben dazu gehören wie Freude, Zufriedenheit oder Glück. Viele Menschen glauben, Unglück betrifft nur die anderen, aber nicht sie selbst.

„Warum gerade ich?“ lauten die Gedanken, wenn sie dann tatsächlich von einem Unglück, wie etwa einem schweren Verlauf einer Corona-Infektion oder einem anderen Schicksal heimgesucht werden. Anstatt im Fall der Fälle gegen negative Emotionen und Gedanken anzukämpfen oder sie zu vermeiden, sollten Betroffene sie akzeptieren – ganz nach dem Motto: „Akzeptiere deine Gefühle, dann können sie gehen.“ Eine weitere Strategie im Umgang mit negativen Emotionen besteht darin, die Empfindungen aufzugreifen und Lösungsmöglichkeiten umzusetzen (Problemlösen). Im Gegensatz dazu ist Grübeln weniger zielführend, da die Gedanken stundenlang um dasselbe Thema kreisen, ohne zu einer Lösung zu kommen.

Kompetenter Umgang mit Menschen Emotionale Intelligenz (EI) gilt als wichtiger Faktor, um erfolgreich durchs Leben zu gehen. Hierbei handelt es sich um die Fähigkeit, die eigenen Gefühle und die anderer Menschen zu erkennen und zu beeinflussen. Die emotionale Begabung ist beispielsweise bei der Mitarbeiterführung, bei Verhandlungen oder generell im Umgang mit Menschen von großer Bedeutung. Menschen mit einer hohen EI gelten als gute Gesprächspartner, besitzen ein realistisches Selbstbild oder zeigen im Umgang mit ihrem Gegenüber Mitgefühl. 1920 definierte Edward L. Thorndike den Begriff „soziale Intelligenz“ und verstand darunter die Fähigkeit, andere Personen zu verstehen und zu motivieren.

Auch der US-amerikanische Psychologe David Wechsler war bereits in den 1940er Jahren der Meinung, dass ein Intelligenztest nur aussagekräftige sei, wenn emotionale Aspekte berücksichtigt werden. Der Psychologe Daniel Goleman arbeitete als Journalist für die New York Times und prägte den Begriff der emotionalen Intelligenz. Er beschrieb vier Grundpfeiler der EI: Die erste Dimension sei die Selbstwahrnehmung, also die Fähigkeit, die eigenen Emotionen zu erkennen und zu verstehen. Die zweite Dimension umfasst den Umgang mit den eigenen Gefühlen, also etwa die Anpassungsfähigkeit, die positive Grundhaltung, die emotionale Selbstkontrolle oder die Gewissenhaftigkeit.

Die dritte Komponente (Social Awareness) bezeichnet die Kompetenz, die Gefühle anderer Menschen zu verstehen (Empathie), während der vierte Grundpfeiler verschiedene Fähigkeiten beinhaltet, wie Beziehungen aufzubauen, zu kommunizieren und positiv und respektvoll mit anderen Personen umzugehen. Bin ich emotional intelligent? Und wie sieht es mit meinem Umfeld aus? Auf Daniel Golemans Internetseite gibt es verschiedene Fragebögen, die dabei helfen, die eigene EI einzuschätzen. Indizien, dass Personen über eine hohe EI verfügen, sind ein gutes Bewusstsein über eigene Stärken und Schwächen, Disziplin, der Wunsch, ein guter Mensch zu sein sowie die Fähigkeit zur Motivation anderer und sich selbst. Laut Goleman sind Menschen mit einer hohen EI selbstbewusst, flexibel, anpassungsfähig und zielstrebig.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2021 ab Seite 50.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie, Fachjournalistin

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