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Klimakterium

DIE GROSSMUTTER-HYPOTHESE

Geburt, Kindheit, Fruchtbarkeit, Tod – dies ist bei den meisten Geschöpfen der Verlauf des Lebens. Beim weiblichen Geschlecht des Homo sapiens tritt der Tod allerdings noch lange nicht mit dem Verlust der Fruchtbarkeit ein.

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Laut der Evolutionstheorie ist die Existenz von nicht-fortpflanzungsfähigen Lebewesen paradox, schließlich bringen sie keinen Nachwuchs mehr auf die Welt. Während Frauen in den Wechseljahren ihre Gebärfähigkeit einbüßen, bleiben Männer hingegen ihr Leben lang zeugungsfähig. Im Tierreich versterben Weibchen mit dem Verlust ihrer Fruchtbarkeit, eine Ausnahme bilden Wale und in Gefangenschaft lebende Schimpansen. Unter dem Klimakterium versteht man die Phase der hormonellen Umstellung vor und nach der letzten Periode und somit vor und nach dem letzten Eisprung. Die letzte Menstruation im Zyklus bezeichnet man als Menopause.

Die Wechseljahre kennzeichnen sich durch eine Abnahme der Progesteron- und Estrogenkonzentration, Frauen leiden häufig unter Symptomen wie Schlaflosigkeit, Schweißausbrüchen oder Niedergeschlagenheit. Manchmal sind sie auch von einer Vaginitis senilis, einer akuten Entzündung der Vagina als Folge einer Estrogenmangel-induzierten Schleimhautatrophie, betroffen. Setzt mit etwa 50 Jahren die Menopause ein, können Frauen keine Kinder mehr gebären und sind aus evolutionsbiologischer Sicht nicht mehr nützlich. Die Überlebenschance von Individuen, die ihre Gene nicht mehr verbreiten, nimmt in der Regel rapide ab.

Indirekte Pflege des Erbguts Um die hohe Lebenserwartung der Menschen zu erklären, entstand die Großmutter-Hypothese. Sie besagt, dass Frauen jenseits des Klimakteriums aufgrund ihrer Erfahrungen für das Überleben der Familie und für die eigenen Gene von Bedeutung sind. Im Gegensatz zu anderen Lebewesen ist die Aufzucht von Homo sapiens deutlich arbeitsintensiver, schließlich sind menschliche Babys nach der Entwöhnung noch längst nicht selbstständig – die helfende Hand der Oma ist somit Gold wert. Sie basiert allerdings nicht auf reiner Nächstenliebe, sondern ebenso auf egoistischen Interessen, denn wenn die Tochter für mehr Enkelkinder sorgt, werden auch ihre Gene verbreitet.

Mit den Enkeln teilen Großeltern immerhin 25 Prozent des Erbguts. Dass Oma die Beste ist, gilt bereits als wissenschaftlich bestätigt. Der Großmutter-Effekt wurde vor einigen Jahren von der Finnin Mirkka Lahdenperä von der Universität Turku untersucht. Sie wertete zusammen mit Kollegen aus Kanada und Großbritannien Daten von 537 Finninnen samt Kindern und Enkeln aus der Zeit zwischen 1702 und 1823 sowie von 3290 Kanadierinnen, die im Zeitraum von 1850 und 1879 geboren wurden, aus. Die Untersuchung bestätigte die Groß- mutter-Hypothese, denn je älter die Oma wurde, umso mehr Kinder bekamen die Frauen.

Darüber hinaus stellte sich heraus, dass die Fürsorge der im Elternhaus wohnenden Großmutter sich ebenfalls positiv auf die Überlebenschance der Enkel auswirkte. Die Anwesenheit der Omi hatte jedoch bei Kindern unter zwei Jahren, die vermutlich noch von der Mutter gestillt wurden, keine Auswirkungen. Die Daten der Finninnen und Kanadierinnen zeigten außerdem, dass sich die Sterblichkeit ab dem Zeitpunkt der Geburt von Urenkeln deutlich erhöhte.

Der Sinn hoher Lebenserwartung rein biologisch betrachtet: Großmütter sorgen für die Pflege des Erbguts.

Eintritt der Menopause m zweiten Lebensdrittel beginnt das Klimakterium und die Fruchtbarkeit der Frau endet. Der genaue Zeitpunkt hängt zum einen von der Veranlagung ab, zum anderen soll ein aktives Sexualleben den Zeitpunkt der Wechseljahre nach hinten verschieben. Megan Arnot und Ruth Mace von der University College London fanden heraus, dass verheiratete Frauen später in die Wechseljahre kommen als Alleinstehende. Sie gingen weiter der Frage nach, ob diese Tatsache auf der Sexualität oder auf dem Zusammenleben mit dem Partner beruht. Die Wissenschaftlerinnen berichteten, dass Frauen, die einmal wöchentlich Geschlechtsverkehr hatten, signifikant später das Klimakterium erreichten als Versuchspersonen, die nur einmal monatlich Sex praktizierten.

Der Trend setzte sich bei noch weniger sexuell aktiven Frauen weiter fort, während die reine Anwesenheit eines Partners den Zeitpunkt der Wechseljahre nicht beeinflusste. Laut Arnot und Mace steht das Ergebnis im Einklang mit der Großmutter-Hypothese: Findet der Geschlechtsverkehr nur selten oder gar nicht statt, besteht kaum eine Chance auf eine Schwangerschaft, sodass der weibliche Organismus die Wechseljahre einleiten kann. Die Energie, die für die Monatsblutung aufgewendet wird, spart der Körper dann ein, um sie in die Fürsorge um die Sippe zu stecken. Dennoch gibt es laut Mace selbstverständlich keine Verhaltensmaßnahme, durch welche die Menopause aufgehoben werden kann. Die Untersuchung zeigte jedoch, dass der Eintrittszeitpunkt mit der Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft im Zusammenhang zu stehen scheint.

Geografische Entfernung Eine Studie, die im vergangenen Jahr im Fachmagazin „Current Biology“ erschien, beschäftigte sich mit der geografischen Distanz, welche die Großmutter zu ihren Enkeln hat. Die Wissenschaftler werteten die Daten der Bevölkerung von Quebec (Kanada) aus den Jahren zwischen 1608 und 1799 aus und kamen zu dem Ergebnis, dass es umso weniger Enkelkinder gab, je weiter entfernt die Großmutter lebte. Immerhin waren es pro 100 Kilometer Distanz 0,6 Enkelkinder weniger – eine beachtliche Zahl aus Sicht der Forscher.

Großmutter-Effekt bei Orcas Dass unfruchtbare Weibchen noch jahrelang weiterleben, gibt es nicht nur bei den Menschen, sondern auch bei einigen Arten von Zahnwalen. Weibliche Killerwale werden mit etwa 40 Jahren unfruchtbar, leben dann aber noch zehn bis zwanzig Jahre weiter. Britische Forscher erklärten im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)“, dass die Überlebensrate der Enkel abnimmt, sobald ein älteres Weibchen stirbt. Auch im Reich der Killerwale gilt die Großmutter-Hypothese demnach als bestätigt.

Sind die Männer Schuld? Wissenschaftler um Richard Morton von der kanadischen McMaster University in Hamilton stellten vor einigen Jahren die Hypothese auf, dass die Menopause daraus resultiert, dass Männer jüngere Frauen als Partnerinnen bevorzugen. Ihrer Meinung nach könnten sich im Erbgut Mutationen ergeben haben, die zu dem frühen Ende der weiblichen Fruchtbarkeit führten. Die Forscher waren der Auffassung, dass sich diese Veränderungen im Erbgut durchsetzten, weil Männer jeglichen Alters jüngere Frauen bevorzugen und es somit keine Rolle spielte, ob ältere Frauen fruchtbar waren.

Die Hypothese stützten die Wissenschaftler auf Computersimulationen, sie stellt allerdings einen Widerspruch zur Großmutter-Hypothese dar. Ein weiterer Grund, warum sich die Menopause entwickelt hat, besteht möglicherweise darin, dass sie Frauen vor riskanten Spätgeburten bewahrt. Je höher das Alter der Mutter, umso größer das Risiko der Muttersterblichkeit und ein Säugling ohne Mutter hat ebenfalls geringere Überlebenschancen. Außerdem können Mütter all ihre Kinder (auch die jüngsten) ausreichend lange versorgen, wenn sie ab einem Alter von etwa 50 Jahren keine Babys mehr gebären.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/2020 ab Seite 26.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

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