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Kokastrauch

DER RAUSCH DER KREATIVEN

Wer 1886 eine Flasche Coca-Cola kaufte, bekam richtig was für sein Geld: Die koffeinhaltige Limonade befähigte zu ungemeinen Höchstleistungen.

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Und das lag natürlich an den Ingredienzien: Der Apotheker John Styth Pemperton, der seine Heimatstadt Atlanta mit seiner Mixtur noch berühmter machte als Scarlett O’Hara in „Vom Winde verweht“, rührte dazu Koffein, Kolanuss und verschiedene Aromastoffe zusammen. Das Rezept ist bis heute geheim, nicht geheim aber dürfte sein, dass bereits 1903 der Zusatz von Kokain verboten wurde.

Und so hat die Coca-Cola ihren Namen eigentlich zu Unrecht. Den sehr alten Andenbewohnern will bis heute nicht in den Kopf, dass ihr geliebter Kokastrauch den Nimbus des Illegalen umweht. Schließlich gilt er als Geschenk Gottes und ist Bestandteil zahlreicher rituell-religiöser Zeremonien. Manco Capac, der Sohn der Sonne höchstselbst, stieg der Legende nach extra von den Anden herunter ins Tal, um den Menschen den halbhohen Strauch zu überreichen.

„Verderbliches Teufelswerk“ Ganze Generationen der Inka-Nachfahren kauten auf den Blättern und blieben immer frisch und munter. Als die Spanier unter Francisco Pizarro Mitte des 16. Jahrhunderts in die Anden gelangten, dauerte es nicht lange, bis die katholische Kirche ein Auge auf die blätterkauenden Einheimischen warf und Coca als „verderbliches Teufelswerk“ ächtete. Das Verbot wurde aber schnell wieder aufgehoben, denn die Sklaven in den Silberminen erbrachten einfach mehr Leistung, wenn sie die Blätter kauen durften.

Doch was war das Geheimnis, das dem Strauchwerk inne wohnte? Findige Wissenschaftler nahmen sich seiner an. Der französische Botaniker A.L. Jussieu gab ihm erst einmal seinen lateinischen Namen Erythroxylum coca, Lamarck katalogisierte ihn, der Neurologe Paolo Mantegazza veröffentlichte 1859 den ersten Artikel zur Wirkung der „Coca“. Der deutsche Chemiker Albert Niemann isolierte danach erstmals das Hauptalkaloid der merkwürdigen Blätter und nannte es Kokain. Ein Tropan-Alkaloid und Wiederaufnahmehemmer an Dopamin-, Noradrenalin und Seretonin- Nervenzellen, wie sich später herausstellte.

Lieblingsmaskottchen der Intelligenz Das bekamen alle geistig Schaffenden sehr schnell spitz und waren von der neuen Wundersubstanz begeistert. Sigmund Freud war dem Kokain sehr zugetan, der Schriftsteller Gottfried Benn ebenso („Gott ist eine Substanz“) und Sir Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes spritzte sich das Zeugs sogar intravenös. Warum auch nicht, man konnte es rezeptfrei in jeder beliebigen Menge erwerben. Und einem wurde so schön leicht und frei danach: Ein bestimmter Süßwein mit Kokaextrakt avancierte zum Lieblingsgetränk von Papst Leo XIII und Queen Victoria: „Vin Mariani“ hieß er.

KOKA IST NICHT KOKAIN
Was Menschen aus dem Kokastrauch gemacht haben, ist in der Tat eine gefährliche Droge: das weiße Pulver, das „Real Thing“, das Kokain. Klar macht es abhängig und natürlich berauscht es. Kokser sind an ihrer 24-Stunden-Triefnase zu erkennen und wer denn die Finger davon nicht lassen kann, muss sich eine neue Nasenscheidewand einbauen lassen. David Bowie hat eine silberne und kokst heute nicht mehr – „Ziggy Stardust“ sei Dank.

Robert Louis Stevenson schrieb „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ unter Kokaineinfluss in nur sieben Tagen und in einem Rutsch, Richard Strauss komponierte eine ganze Oper, in welcher Zeit, weiß man nicht genau, aber auf jeden Fall schnell. Ärzte benutzten die Substanz als Lokalanästhetikum; es wurde als Verdauungs- und allgemeines Kräftigungsmittel benutzt.

Die Umkehr Doch dann kam das böse Erwachen: Sigmund Freud räumte 1895 kleinlaut ein, dass Kokain dann doch zur Abhängigkeit führe. Coca Cola wurde gezwungen, die Substanz aus der Limo zu entfernen und nur noch die Aromastoffe zu verwenden. Seit 1961 steht das Kokain in der UNO-Liste „Single Convention“ als schädliche Droge. Und die WHO ächtete sogar das Kokakauen der Indios als „Form der Drogensucht“. Das ist denen aber weitestgehend egal und den örtlichen Behörden auch.

Untersuchungen haben ergeben, dass das Kauen der stark eisen-, kalzium- und vitaminhaltigen Blätter eher gesundheitsfördernd als –schädlich ist. Und so konsumieren die Andenbewohner unverdrossen weiter; eine Kauperiode (etwa zwei Stunden) gilt sogar als altes Wegmaß der Inka. Jüngst hat ein bolivianischer Minister sogar vorgeschlagen, Schulkinder sollten eher die Blättchen kauen als ihre Milch zu trinken, das sei gesünder.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/15 ab Seite 118.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

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