© DIE PTA IN DER APOTHEKE
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Berühmte Apotheker

DER MORPHIN-​ENTDECKER

Er bahnte der modernen Arzneimittelforschung den Weg, entdeckte unter anderem das Morphin – und starb doch verbittert 1841 in Hameln: Friedrich Wilhelm Sertürner.

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Geboren am 19. Juni 1783 in Schloss Neuhaus bei Paderborn als fünftes von sieben Kindern des fürstbischöflichen Landvermessers und Ingenieurs, Joseph Simon Sertürner und dessen Frau Maria Theresia, geborene Brockmann, wollte Friedrich Wilhelm eigentlich in die Fußstapfen seines Vaters treten und dessen Beruf ergreifen. Er besuchte die Ortsschule, sein Vater erteilte ihm zusätzlichen Unterricht in Naturwissenschaften. Doch der frühe Tod des Vaters, der die Familie 1798 dabei ziemlich mittellos zurückließ – Friedrich Sertürner war zu dem Zeitpunkt 15 Jahre alt – veranlasste ihn stattdessen eine Apothekerlehre in Paderborn beim Hofapotheker Franz Anton Cramer (1776 bis 1829) anzutreten. Bereits vier Jahre später bestand der naturwissenschaftlich sehr begabte Sertürner die Gehilfenprüfung mit großem Lob.

Opium-Forschung Er blieb noch eineinhalb Jahre als Gehilfe in Paderborn. In diese frühe Zeit fällt auch seine große Entdeckung, die Isolation von Morphin aus der Droge Opium, dem eingetrockneten Milchsaft von Papaver somniferum (Schlafmohn). Selbst bei sorgfältig hergestellten Opiumzubereitungen, die als Betäubungs- und Schmerzmittel eingesetzt wurden, kam es bis dahin immer wieder zu Therapieentgleisungen – wohl aufgrund schwankenden Wirkstoffgehalts. Sertürners 1803/1804 im Labor der Hof-Apotheke durchgeführten systematischen Analyseversuche mit Opium führten zur Entdeckung des wirksamen Inhaltsstoffes, einer kristallinen Substanz, die er aufgrund der „schlafmachenden“ Wirkung Morphium nannte, in Anlehnung an den griechischen Gott des Traumes, Morpheus.

Die Entdeckung dieses Wirkstoffes, der bis heute zentrales Mittel der Schmerztherapie ist, bahnte einer ganz neuen Klasse von Pflanzenstoffen, den Alkaloiden, den Weg. Mit seiner Art zu forschen und zu experimentieren war Sertürner ein Vorreiter der modernen Arzneimittelforschung. Erstmals war die genaue Dosierung eines einzelnen Wirkstoffes – und damit eine kalkulierbare Wirkung beim Patienten – möglich geworden. Seine Erkenntnisse sandte er auch dem bekannten Apotheker und Pharmazeuten Johann Bartholomäus Trommsdorff (1770–1837) zu, der diese 1805/​1806 in seinem „Journal der Pharmacie“ publizierte. Doch die Veröffentlichungen des jungen, unbekannten Apothekengehilfen Sertürner fanden in der Welt der etablierten Forscher erst einmal keine Beachtung. Mehr als ein Jahrzehnt wurde seine Entdeckung ignoriert.

Schwere berufliche Existenz Ostern 1805 wechselte Sertürner als Apothekengehilfe in die Rats-Apotheke an der Langen Brücke in Einbeck zu Apotheker Daniel Wilhelm Hink (17831 bis 1813). Nach Verkündung der Gewerbefreiheit 1808 im Königreich Westfalen wagte Sertürner eine eigene Apotheke in Einbeck zu gründen, die „Sertürnersche Patent-Apotheke“. Um deren Existenz musste Sertürner 1813 bis 1817 nach Auflösung des Königreiches und Rückgängigmachung der Gewerbefreiheit lange erbittert kämpfen – und verlor schließlich doch.

Er bemühte sich um Apotheken in Wunsdorf und Nordhausen, doch erst 1820 gelang ihm der Erwerb der Rats- und Stadtapotheke Hameln, als Nachfolger des auch wissenschaftlich sehr aktiven Apothekers Johann Friedrich Westrumb (1751–1819). Kurz darauf folgte das private Glück: Am 21. Januar 2021 heiratete er Eleonore von Rettberg, Tochter des Oberstleutnants Leopold Christoph von Rettberg, und bekam kurz darauf Nachwuchs. Sieben Kinder wurden es insgesamt, vier Töchter und drei Söhne. Einer der Söhne, Viktor (1834 bis 1887) wurde ebenfalls Apotheker und letztlich Nachfolger seines Vaters.

Kampf um wissenschaftliche Anerkennung Doch wie stand es um den wissenschaftlichen Durchbruch Sertürners? Das Laboratorium in Hameln war gut geeignet für wissenschaftliche Forschungen – und Sertürner konnte seine chemischen Studien fortsetzen. Weitere Opiumuntersuchungen, lebensgefährliche Tests im Selbstversuch zusammen mit drei Freunden, und darauf aufbauend eine zweite größere Publikation über die Isolierung von Morphin in der Zeitschriftenreihe „Annalen der Physik“ 1817 verschafften ihm schließlich Reputation.

Der berühmte französische Chemiker und Physiker Joseph Louis Gay-Lussac (1778–1850) ließ seinen Artikel begeistert für seine französische Fachzeitschrift übersetzen. Dass die Morphin-Entdeckung etwas ganz Besonderes war und auch einen Umbruch in den damaligen Vorstellungen darstellte, da es sich um einen alkalischen pflanzlichen Wirkstoff – einen Vertreter der neuen Wirkstoffklasse der Alkaloide (Namensgebung durch den Halleschen Apotheker Carl Friedrich Wilhelm Meißner, 1819) – handelte, betonte Gay-Lussac ausdrücklich. Davor hatte man stets angenommen, die pflanzlichen Wirkstoffe lägen alle als Säuren vor. Frankreich war zu dieser Zeit führende Nation in der Chemie.

Sogleich entstand aber auch ein Streit darüber, wem wirklich die Ehre der Erstendeckung zuzuschreiben sei. Auch französische Chemiker – etwa Jean-Francoise Derosne (1774–1855) und Armand Séguin (1767–1835) – beanspruchten die Erstentdeckung gerne für sich. Erst im Jahr 1831 entschied das Institut de France schließlich zugunsten Sertürners. Ihm wurde der Prix Montyon der Academie des Sciences verliehen. Wohl auf Vermittlung Johann Wolfgang von Goethes (1749–1832) wurde Sertürner schon kurz nach seiner Veröffentlichung in den „Annalen der Physik“ 1817 an der Universität Jena „in absentia“ zum „Dr. phil.“ promoviert.

Ebenso wurde er recht schnell Ehrenmitglied mehrerer wissenschaftlicher Gesellschaften und Akademien sowie des norddeutschen Apothekervereins. Nach 1817 umfasste Sertürners wissenschaftliches Werk neben pflanzenanalytischen Studien auch Untersuchungen zum Galvanismus, er machte ballistische Studien (Geschütze und Geschosse). Zudem empfahl er 1831 mit Ausbruch der Cholera in Deutschland auch Schutzmaßnahmen gegen die Seuche – nachdem er diese in richtiger Vorausahnung der wirklichen Krankheitserreger als „ein giftiges, belebtes, also sich selbst fortpflanzendes oder erzeugendes Wesen“ bezeichnete.

In seinem „System der chemischen Physik“ sowie der 1826 von ihm begründeten Zeitschrift „Annalen für das Universalsystem der Elemente“ gibt er sich allerdings als Naturphilosophie-Anhänger zu erkennen. Die Verbitterung darüber, dass ihm die wissenschaftliche Anerkennung lange verwehrt wurde, und seine neueren wissenschaftlichen Arbeiten, in denen er sich zum Teil in naturphilosophischen Spekulationen verlor, keine Anerkennung fanden, zieht sich wie ein roter Faden durch Friedrich Sertürners gesamtes Leben.

Seine letzten Jahre waren von dem verzweifelten, ja nahezu krankhaften Versuch überschattet, Anerkennung als Naturwissenschaftler zu erlangen. Bittgesuche an hochgestellte Persönlichkeiten, sein Bemühen ein akademisches Lehramt – etwa an der Universität Göttingen – zu erhalten, zeugten von seinem Bemühen. Depressive Zustände, die er hatte, behandelte er mit Morphin – wodurch er letztlich Suchtopfer seiner eigenen Entdeckung wurde. Verbittert starb er am 20. Februar 1841. Nach seinem Tod wurden die sterblichen Überreste von Hameln nach Einbeck überführt und in der Bartholomäus-Kapelle am Altendorfer Tor beigesetzt.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/18 ab Seite 106.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

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