Eine Zeichnung zeigt eine Familie im 19. Jahrhundert: Zwei Töchter am Klavier, ein weiteres Kind sitzt auf dem Schoß des ernst dreinblickenden Vaters.
Der bürgerliche Familienvater im 19. Jahrhundert arbeitete hart für Wohlstand und Bildung seiner Familie, gleichzeitig erwartete man emotionale Nähe von ihm - eine Spannung, die heute auch viele Frauen kennen. © Photos.com / PHOTOS.com>> / Getty Images Plus

Arbeit und Privatleben | 19. Jahrhundert

DER MANN HATTE DAS SAGEN, DIE FRAU ZOG DIE KINDER GROSS

Den Kopf geschüttelt hätten unsere Ur-Urgroßväter, wenn man sie nach ihrer Work-Life-Balance gefragt hätte. Für sie war klar: Sie gingen schaffen und sorgten für das Einkommen – und ihre Frau zog zuhause die Kinder groß und beaufsichtigte die Dienstmädchen.

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Wie es so beschaffen war mit dem Arbeits- und Privatleben der Familienoberhäupter im 19. Jahrhundert, damit hat sich die Historikern Eva Ochs nun im Rahmen ihres Habilitationsprojektes an der FernUniversität Hagen befasst. Sie berichtet über die Herausforderungen und Spannungen in den bürgerlichen Familien.

Dazu hat sie die Lebenserinnerungen, Briefe und Tagebücher zahlreicher bürgerlicher Haushalte ausgewertet. Ihr Fokus lag dabei auf den Leben der Männer. Das 19. Jahrhundert ist deswegen so interessant, da sich in seinem letzten Drittel ein Wandel der Verhältnisse innerhalb der Familien andeutete, wobei sich auch das Idealbild des Familienvaters veränderte: „Die patriarchalische Grundordnung mit dem ‚Hausvater‘, der der Familie vorsteht und über alle im Haushalt bestimmt, blieb zwar bestehen“, sagt Ochs. „Es war aber zu einer Emotionalisierung gekommen.“ Denn Fürsorglichkeit des Vaters und Ehemanns war nun erwünscht. Dem gegenüber standen die im Beruf bevorzugten Tugenden: Mut, Tatkraft und Vernunft. Diese Doppelrolle führte natürlich zu inneren Spannungen.

Neu war auch, dass die geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen nun auch mithilfe von vermeintlichen biologischen Argumenten untermauert wurden. Frauen galten als das „schwache Geschlecht“; von ihnen wurde hingebungsvolle Fürsorglichkeit und sanfte Duldsamkeit erwartet. Von einer guten Ehefrau erwartete man, dass sie den Nachwuchs aufzog und dabei noch Tätigkeiten der Pflege und Fürsorge ausübte. „Natürlich gab es diese Zuweisungen schon früher, jetzt bemühte man sich aber erstmals um eine Systematisierung.“

Um sich gegen den Adel abzugrenzen, der wieder einen eigenen Zirkel bildete, gab sich das aufstrebende Bürgertum eigene erstrebenswerte Ziele: Besitz und Bildung beispielsweise, was sich zu einem fast sakralen Arbeits- und Leistungsethos steigerte. Dies fände sich sogar auf den Grabsteinen dieser Zeit wieder, bemerkt die Wissenschaftlerin: „“Rastlose Tätigkeit“, „Nimmermüdes Tun““ – das war als Norm gesetzt“, so Ochs. Während Frauen ihr eigenes Rollenbild hatten, lastete der berufliche Leistungsdruck besonders auf den Männern, neben der fürsorglichen Seite als Vater und Ehemann. Das habe es auch schon früher gegeben, doch nun wurde es erstmals bewusst wahrgenommen.

Das stellte die Männer vor ganz neue Probleme; vielen gelang es nicht, eine gute „Work-Life-Balance“ zu finden und manche waren damit überfordert. Der Soziologe und Nationalökonom Max Weber fand seine einengende Rolle beklemmend und beneidete die Frauen um ihr „natürliches Gleichgewicht“ im Leben. Den Dauerstreit, ob ein Mann genug Zeit mit seiner Familie verbringt, den gab es auch schon damals. Nur öffentlich nachgeben durfte der Mann nicht: Dann war er ein so genannter „Pantoffelheld“.

Viel Mühe und Erziehungsarbeit wurde investiert, um auch dem Nachwuchs dieses Bild einzuimpfen, denn auch er sollte Leistung und Bildung als höchstes Ideal verinnerlichen. Der Sohn, der sich verweigerte, wurde zum sprichwörtlichen „schwarzen Schaf“; wer vom Weg abkam, dessen Werdegang wurde möglichst vertuscht (gut nachzulesen in den „Buddenbrooks“ von Thomas Mann).

Geschafft hatte es der Selfmade-Macher: „Alle definierten sich darüber, ihren Aufstieg aus eigener Kraft erreicht zu haben, egal wie gut ihre finanziellen, sozialen oder kulturellen Startbedingungen waren“, resümiert Ochs. Das führte ebenfalls zu einem problematischen Idealbild des bürgerlichen Mannes.

Alexandra Regner,
PTA und Journalistin

Quelle: wissenschaft.de

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