© DIE PTA IN DER APOTHEKE
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Berühmte Apotheker

DER GROSSE MÄRCHENERZÄHLER

Seine Erzählungen kennen fast alle, seinen Namen und seinen erlernten Beruf jedoch fast niemand: Ludwig Bechstein (1801 bis 1860) war nämlich eigentlich Apotheker, hatte aber nie so recht Freude an diesem Beruf.

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Traurige Kindheit Seinen Vater hat Ludwig Bechstein wohl nie kennengelernt. Dennoch wird in der Literatur spekuliert, ob seine große literarische Begabung wohl Erbe seines französischen Vaters aus der Vendée war. Fakt ist: Ludwig Bechstein war das uneheliche Kind der Beamtentochter Johanna Karoline Bechstein (1775 bis 1847) und des französischen Emigranten Louis Hubert Dupontreau, Fonenay le Comte. Am 24. November 1801 in Weimar geboren, überließ ihn seine Mutter fremder Erziehung. „Wie ein schlimmer Traum“ muteten Bechstein seine ersten neun Kindheitsjahre in Armut und Gedrücktheit an, dann nahm sich sein Onkel, der Forstrat Johann Matthäus Bechstein (1757 bis 1822), Direktor der Forstakademie Dreißigacker bei Meiningen, seiner an.

Er adoptierte ihn und schickte ihn nach dem ersten Jahr auf dem Wilhelm-Ernst-Gymnasium in Weimar auf das Lyzeum (Gymnasium) in Meiningen. Ludwig Bechstein erlebte in Meiningen erstmals die Geborgenheit einer Familie. Dennoch wurde er nach strengen Prinzipien erzogen. Sein Onkel versuchte ihn für die Naturwissenschaften zu begeistern, doch Neigung hatte er hierfür keine. Ludwig Bechstein streifte lieber so durch die Natur und las Volksbücher, Gespenstergeschichten, Abenteuerromane, während die schulischen Noten eher zu wünschen übrig ließen. Guten Kontakt hatte er allerdings zum Sohn des Apothekers Jahn aus Untermassfeld, mit dem er vermutlich auch gelegentlich dessen väterliche Apotheke besuchte. Womöglich war das mit ausschlaggebend, dass Ludwig Bechstein letztlich doch erst einmal den Apothekerberuf ergriff.

Apothekerberuf als reiner Broterwerb Im Herbst 1818 begann Ludwig Bechstein jedenfalls im thüringischen Arnstadt seine Apothekerlehre in der Apotheke von Johann Karl Friedrich Kühn. Glücklich war er dort nicht, das Apothekerehepaar stritt sich häufig, der ihm übergeordnete Apothekergehilfe benahm sich ihm gegenüber gemein. Zudem hatte er zunächst erst einmal viele niedere Arbeiten zu verrichten wie „Düten, Kapseln und Signaturen … machen, Schachteln auszufüttern, Species und Wurzeln zu schneiden, neu einzufüllen, wenn ein Glas oder eine Büchse leer ist, den Handverkauf zu besorgen“ neben „abends in der Pharmacopoe, im Tromsdorf oder Apothekerbuch von Hahnemann zu lesen“.

Dennoch blieb er in der Arnstädter Hof-Apotheke zwei Jahre über die Gehilfenprüfung hinaus. Zum einen inspirierten ihn wohl die alten Räumlichkeiten sowie der Giftschrank für seine ersten auch veröffentlichten poetischen Arbeiten (Beschäftigung mit Totentänzen, Märchen mit pharmazeutischen Bezügen wie „Gevatter Tod“), zum anderen fand er in Arnstadt Freunde und verliebte sich in ein junges Mädchen, was ihn zum Gedichtschreiben anregte. Bechstein knüpfte Kontakte zu Buchhändlern, die ihm erste kleine Nebeneinnahmen bescherten. 1823 erschien seine erste Buchveröffentlichung „Thüringische Volksmärchen“. Den unangenehmen Apothekergehilfen, der ihm das Leben schwer gemacht hatte, war Bechstein in seinem dritten Lehrjahr zudem los geworden.

1824 wechselte Ludwig Bechstein in die Hofapotheke nach Meiningen, 1826 wurde er Apothekergehilfe in der Schwan-​Apotheke in Salzungen bei Apotheker Luther. Dennoch war Bechstein in seinem Beruf nicht zufrieden. Den apothekerlichen Pflichten widmete er sich nur notgedrungen, um in der Freizeit im Freundeskreis ansonsten zu träumen und Gedichte zu schreiben. 1829 erschien sein Gedichtband „Sonettenkränze“, auch die „Märchenbilder und Erzählungen“ kam in Leipzig heraus. Seine Leidenschaft als Dichter, Forscher und Sammler trat zunehmend in den Vordergrund.

Aussteiger aus der Pharmazie Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen wurde auf das junge Talent aufmerksam. Als Förderer der Kunst und Kultur unterstützte er Ludwig Bechstein mit einem dreijährigen Stipendium, was diesen bewog den Apothekerberuf aufzugeben und sich stattdessen bis 1831 in Leipzig und München dem Studium der Philosophie, Literatur und Geschichte zu widmen. Zurückgekehrt nach Meiningen beauftragte ihn sein Gönner zunächst mit der Ordnung des Heldburger Archivs. Kurz darauf erhielt er eine Anstellung als Kabinettsbibliothekar des Herzogs und zweiter Bibliothekar der Herzoglich-öffentlichen Bibliothek Meiningen.

Damit war Ludwig Bechstein in dem Umfeld angekommen, das seine Neigungen und Begabungen viel stärker förderte als die eher nüchterne Naturwissenschaft Pharmazie. 1832 gründete er den Hennebergischen Altertumsforschenden Verein Meiningen, dessen Direktor er wurde. Im gleichen Jahr heiratete er seine langjährige Freundin, die 24-jährige Caroline Wiskemann (1808 bis 1834), aus Philippsthal an der Werra, Tochter eines Mechanikers. Sie gebar 1833 Sohn Reinhold (1833 bis 1894), der die literarische Neigung und Begabung seines Vaters wohl erbte, denn dieser wurde später Germanistik-Professor in Rostock.

Ebenfalls 1833 wurde Ludwig Bechstein zum ersten Bibliothekar der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek in Meiningen befördert. Doch nach dem „Glücksjahr“ 1933 folgte das „Trauerjahr“ 1934, denn im Dezember 1834 verstarb Bechsteins junge Frau an einer Lungenerkrankung. Eine mehrmonatige Reise (gedruckte „Reisetage“) sowie ein geselliger Freundeskreis mit intensiver Korrespondenz halfen ihm über die Trauer hinweg. Im Juni 1836 heiratete Bechstein ein zweites Mal, Therese Schulz (1806 bis 1876), mit der er letztlich sieben Kinder hatte. 1840 wurde Bechstein zum Hofrat ernannt, 1845 erschien das „Deutsche Märchenbuch“, von dem bis 1853 allein zwölf Ausgaben folgten.

Wunschvorstellungen über politisches Handeln (erste Demokratiebestrebungen, Deutschland als Nation), aber auch pharmazeutische Reminiszenzen finden sich in seinen Märchenbearbeitungen, -sammlungen, aber auch den historischen Romanen, Novellen, dem 1853 erschienenen „Deutschen Sagenbuch“. 1854 kam ein Band mit „Hexengeschichten“ heraus. Seit 1847 war Bechstein beruflich zudem Leiter der Bibliothek des Hennebergischen Altertumsforschenden Vereins. Am 14. Mai 1860 starb Ludwig Bechstein schließlich in Meiningen nach längerer, schwerer Krankheit an Wassersucht (Aszites).

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/18 ab Seite 50.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

Ob „Der kleine Däumling“, „Aschenbrödel“ oder „Das Märchen vom Schlaraffenland“ – von all diesen Geschichten existieren verschiedene Erzähltraditionen. Doch erst Bechsteins Märchenbuch machte diese Geschichten – auch dank der wunderschönen Illustrationen des Malers und Zeichners Ludwig Richter (1803 bis 1884) zum Kinder- und Hausbuch der Nation. Bis weit in das frühe 20. Jahrhundert hinein blieb die Bechsteinsche Märchensammlung weitaus beliebter als die der heute viel bekannteren Brüder Grimm.

Das Sammeln und Verfassen von Märchen machte aber nur einen sehr kleinen Teil von Bechsteins literarischer Tätigkeit aus. Sein umfangreiches Werk zählt neben rund 150 Märchentexten etwa 2300 Sagen, jede Menge Reiseberichte, Balladen, Sonette, Romanzen, Erzählungen und historische Romane bis hin zu Schauergeschichten und Totentänzen. Doch wie kam es dazu, dass ein gelernter Apotheker zum beliebtesten Märchenherausgeber des 19. Jahrhunderts wurde?

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