Haus auf grüner Wiese. © TT / iStock / Getty Images Plus
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Coronasituation in Schweden

DER BEQUEME SONDERWEG

Offene Geschäfte, keine Maskenpflicht und auch keine Ausgangssperre. Darf ich vorstellen: Der schwedische Sonderweg. Ist die Strategie aufgegangen? Ein Einblick in den Corona-Alltag im schwedischen Jönköping.

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Wie kein anderes Land in Europa hat Schweden seit Beginn der Corona-Pandemie von harten Maßnahmen abgesehen und stattdessen auf die Einsicht seiner Bürgerinnen und Bürger gesetzt. Mit 617 869 Infizierten und insgesamt 12 487 Toten (Stand: 16.2.) ist Schweden mit einer Gesamtbevölkerung von 10,3 Millionen der absolute Spitzenreiter unter den skandinavischen Ländern. Aber davon merke ich, als ich im August 2020 für mein Studium nach Jönköping ziehe, erstmal nichts. Noch an die Corona-Maßnahmen in Deutschland gewöhnt, steige ich ganz selbstverständlich mit Mund-Nasen-Schutz in den Bus, der mich im Anschluss an meinen Flug von Göteborg nach Jönköping bringt.

Der Fahrer schaut mich etwas verständnislos an, als wolle er mir sagen, hier gibt es kein Corona, du kannst die Maske jetzt ruhig abziehen. Im ganzen Bus bin ich die einzige Person mit einer Gesichtsbedeckung. Auch in der 90 000-Einwohner-Stadt im südschwedischen Småland angekommen, scheint keiner so wirklich etwas von einer Pandemie wissen zu wollen. So gehe ich in den darauffolgenden Wochen für Vorlesungen in die Universität, knüpfe neue Kontakte und schaue mir die Gegend an. Auch wenn größere Veranstaltungen offiziell abgesagt wurden, gibt es häufig Feiern. Ein fast normales Auslandsstudium.

Schweden, das gelobte Land Schweden kommt mir vor wie eine wunderbare Parallelwelt, ganz frei von Corona. Bis auf Schilder in der Universität, die zum Händewaschen und Abstand halten aufrufen und Desinfektionsspender hier und dort, erinnert kaum etwas daran, dass gerade Pandemie ist. Trotz schlimmer Schlagzeilen aus aller Welt und den Berichten von Freunden und Verwandten aus Deutschland im Hinterkopf, lebt es sich gut. Und da sich in meinem Umfeld keiner wirklich einschränkt, höre ich irgendwann auf, das groß zu hinterfragen. Während ich anfangs noch automatisch meinen Mundschutz im Supermarkt und anderen Geschäften über das Gesicht ziehe, bleibt er nach ein paar Tagen in der Jackentasche und schließlich ganz zuhause. Und das schlechte Gewissen irgendwann auch.

Das sonst so vorbildliche Schweden, bekannt für Fortschrittlichkeit bei Themen wie Bildung, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit, ist mit seiner Corona-Politik in einer absoluten Außenseiterrolle. Uns wird spätestens klar, dass es Maßnahmen in anderen Ländern nicht ohne Grund gibt, als wir Ende Oktober den ersten Corona-Fall bei uns im Wohnheim haben. Mit sehr viel Glück bleibt es bei diesem einzigen Fall in der Studierendenunterkunft. Aber ab da häufen sich die Fälle im Bekanntenkreis und die Zahl der Infizierten schießt in die Höhe. Mit den steigenden Zahlen im Herbst wird auch die Stimmung etwas ernster. Die Regierung um den schwedischen Ministerpräsident Stefan Löfven appelliert eindringlich an die Bevölkerung die sozialen Kontakte einzuschränken und Abstandsregeln zu befolgen. Auch die Uni findet fortan online statt.

Mit schlechtem Beispiel voran In einer Fernsehsendung im Dezember erklärt selbst König Carl XVI. Gustav den schwedischen Sonderweg für gescheitert. Die Zahl der bestätigten Corona-Fälle ist am Jahresende sehr hoch, das Gesundheitssystem stark belastet. Als Reaktion darauf weicht die Regierung ab Mitte November nun doch etwas von ihrem lockeren Corona-Kurs ab: Neben den Empfehlungen werden erstmals verbindliche Einschränkungen verhängt. Weniger Personen im Restaurant, kein Alkoholausschank nach 22 Uhr und eine Maskenempfehlung. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, in denen beispielsweise die Mund-Nasen-Bedeckung längst zum Stadtbild gehört, nur minimale Eingriffe.

“You should, on weekdays 7-9 am and 4-6 pm, use a face mask when travelling on public transport where a seated ticket is not offered”, wird ab dem 30. Dezember in öffentlichen Verkehrsmitteln empfohlen. Bloß eine Richtlinie also, die so viel heißt wie: Zur Rush-Hour wäre es nett, wenn Sie eine Maske tragen würden. Aber auch nur, wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht. Wie gut das umgesetzt wird, sieht man am Beispiel von Johan Carlson, schwedischer Generaldirektor des Gesundheitsamtes. Dieser hatte Ende Januar für einen Aufreger gesorgt, als er, ungeachtet der Empfehlung seiner eigenen Behörde, ohne Mund-Nasen-Schutz zur Hauptverkehrszeit am Stockholmer Hauptbahnhof gesichtet wurde.

Neues Jahr, neue Regeln? Im neuen Jahr kündigt die Regierung an, es soll nun Schluss sein mit den bloßen Empfehlungen und gesetzlich bindende Regulierungen her. Am 10. Januar ist deshalb ein vorrübergehendes Pandemiegesetz („Pandemilagen“) in Kraft getreten, das bis Ende September 2021 gültig ist und mehr Befehlsgewalt geben soll. Die neuen Regeln beinhalten bisher eine stärkere Regulierung der Anzahl an Besuchern in Geschäften, Fitnessstudios und Restaurants sowie ein Alkoholausschankverbot ab 20 Uhr abends bis 11 Uhr morgens. Außerdem sind nicht mehr als acht Personen bei einem öffentlichen Event erlaubt – für den privaten Bereich gilt das allerdings nicht.

Wer aus dem Ausland einreist, muss inzwischen immerhin einen negativen Corona-Test vorweisen. Quarantäneverpflichtungen gibt es nicht, aber einen Einreisestopp aus Dänemark, dem Vereinigten Königreich und Norwegen, zunächst bis zum 31. März. Von der Möglichkeit beispielweise Shoppingcenter zu schließen, wurde noch kein Gebrauch gemacht. Von seinem lockeren Kurs abgekommen ist Schweden mit diesen Neuerungen somit bisher nicht. Also wer sich Sorgen gemacht hat, in Zukunft mit starken Einschränkungen leben zu müssen, kann aufatmen: Es bleibt bequem.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 03/2021 ab Seite 100.

Leoni Bender, freie Journalistin

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