© monsitj / iStock / Thinkstock

Digitalisierung

DAS FORTSCHRITTS-VERSPRECHEN

Zwar drehte sich das offizielle Hauptthema der 6. Jahrestagung „House of Pharma“ im September in Frankfurt um den Pharmastandort Deutschland, aber letztlich stand das Schlagwort von der digitalen Revolution im Fokus des Interesses.

Seite 1/1 5 Minuten

Seite 1/1 5 Minuten

Insbesondere die Diskussion der dreiköpfigen Professorenrunde mit Steven Hildemann (Merck KGaA), Matthias Kleiner (Leibnitz Gesellschaft ) und Stefan Laufer (Uni Tübingen) machte rasch klar, dass sowohl aus Sicht der Wissenschaft als auch aus der Perspektive der Industrie große Zufriedenheit mit dem Pharmastandort Deutschland besteht. Gleichzeitig wurde auch deutlich, dass man auch auf hohem Niveau noch ein paar Stellschrauben nachziehen könnte. So ist zwar genug Geld im System, die Geldflüsse haben sich allerdings von der Grundlagenforschung hin zur Förderung von einzelnen Projekten verschoben. An diesem Punkt könnte sich eine Fehlentwicklung andeuten.

Eine Wunschvorstellung bestand darin, den Aktivitäten junger Wissenschaftler mehr Raum zu geben und die Hierarchien abzuflachen. Eine positive Entwicklung zeichnet sich im Kontext von Big Data bereits heute ab: Grenzen müssen überwunden und Kooperationen geschlossen werden. Es reicht nicht mehr, wenn man isoliert in den Bereichen Akademie, Industrie und Biotec nebeneinander her forscht. Ein begrüßenswerter Trend besteht auch darin, dass der Patient immer mehr ins Zentrum der Betrachtungsweise rückt. Und last but not least kam auch noch ein Vorschlag zur Sprache, der ein großes Forschungspotenzial in sich birgt: Die Erstellung eines Mortalitätsregisters, um von den Toten für die Lebenden zu lernen.

Digitale Revolution Ein echter Höhepunkt der Veranstaltung war das Gespräch zwischen der Redaktionsleiterin von „Zeit Doctor“, Claudia Wüstenhagen, und dem Chef der Hofmann-La Roche AG, Dr. Christoph Franz. Was das Gespräch auszeichnete, waren die präzisen Fragestellungen der Zeit-Journalistin in Verbindung mit äußerst konkreten Antworten des Roche-Mannes. Auf die Frage beispielsweise, ob er einen Schlüsselmoment nennen könne, der ihm die tiefgreifende Änderung verdeutlichte, die die digitale Revolution mit sich führen wird, verwies Franz auf die Erfahrung mit einem erst kürzlich gegründeten kleinen Start-ups innerhalb des eigenen Unternehmens. So war er eines Tages in den bescheidenen Räumlichkeiten dieses Start-ups und erfuhr, dass in den etwa 15 bis 20 Apparaten zur Segmentierung von Genomen eine Datenmenge bearbeitet wird, die etwa zehn Prozent der weltweiten Rechenkompetenz von Facebook entspricht. „Das ist ein Tsunami an Daten!“

Mit Digitalisierung meint man die zunehmende Nutzung digitaler Geräte, um Informationen zu sammeln, zu kommunizieren und sich zu verwalten. Im Bereich der Apotheke sind eigene Homepages, die Nutzung von Social Media und Shopapotheken erst der Anfang.

Immer weniger Tierversuche Franz verwies in diesem Zusammenhang auch darauf, dass es solche Datenmengen in Verbindung mit Forschungen der Zellkulturen ermöglichen werden, immer mehr Medikamente „in silico“ (wenn etwas ausschließlich im Computer simuliert wird) entwickelt werden können. Konkret bedeutet das, dass immer häufiger auf Tierversuche verzichtet werden kann. Eine weitere Frage der hochprofessionellen Moderatorin zielte darauf ab, den Stellenwert der digitalen Revolution einzuordnen. Dr. Franz erinnerte an mehrere Meilensteine der Medizin: die Entdeckung der Betäubungsmittel als Voraussetzung für die Entstehung der Chirurgie, die Standardisierung von Arzneimitteln und die Erfindung der Antibiotika.

Aus seiner Sicht wird auch die Digitalisierung große Fortschritte beispielsweise bei der Erforschung von Alzheimer mit sich bringen. „Es sollte uns gelingen, den Degenerationsprozess zunächst zu verlangsamen, bevor wir eventuell die Königsdisziplin der Heilung erreichen.“ Trotz aller Vorsicht zeigte er sich gleichzeitig auch optimistisch und verwies darauf, dass erst seit kurzer Zeit auch Hepatitis C heilbar ist – „eine Sternstunde der Forschung“. Ob er denn die neuen Player am Markt – Google, Facebook & Co. – als Konkurrenten sehe, wollte Frau Wüstenhagen mit Blick in die Zukunft wissen. Woraufhin Franz trocken feststellte, dass „jeder neue Mitbewerber eigene Fähigkeiten mitbringt. Sie stellen Mediziner ein, wir Informatiker. Wir wachsen beide aufeinander zu.“ Im übrigen sehe man die neuen Marktteilnehmer nicht nur als Konkurrenten, sondern auch als mögliche Partner. Allerdings „haben sie die besseren Möglichkeiten, leistungsfähigere Algorithmen zu entwickeln.“

Pay for performance Da im Lebenslauf von Dr. Christoph Franz auch Stationen außerhalb des Pharmabusiness wie etwa bei Lufthansa stehen, wurde er auch um eine vergleichende Einschätzung gebeten, für wie fortschrittlich er die Pharmabranche in Bezug auf die Künstliche Intelligenz (KI) hält. Insbesondere im Hinblick auf das Pricing räumte Franz der Transportbranche mehr Erfahrung ein. Allerdings eröffne die digitale Revolution auch in der Medizin eine neue Welt, Stichwort: pay for performance (leistungsabhängige Bezahlung). Bezahlt wird folglich nur, wenn der Patient von der Behandlung profitiert. In den Niederlanden gibt es zu diesem Thema schon einen ganz konkreten Praxisbezug: Wenn die Behandlung von Asthmapatienten keinen Erfolg bringt, erhalten die Kassen das Geld wieder zurückerstattet. Was er denn tun würde, wenn er Gesundheitsminister wäre, wurde Dr. Franz abschließend gefragt. Antwort nach kurzer Denkpause: „Ich würde die Leidensgeschichte der Gesundheitskarte beenden. Alleine von meiner Person dürfen gesundheitliche Aufzeichnungen in den Kellern von etwa 30 Arztpraxen verschüttet sein. Wir in Deutschland müssen unsere Datenschätze bergen.“

Fortschritte durch Immunonkologie Wird der Pharmaindustrie gerne vorgeworfen, dass jeder sein eigenes Süppchen kocht, ist die Allianz zwischen Merck und Pfizer ein Gegenbeispiel zu dieser These. Dass sich beide Firmen zu einer vorbehaltlosen Allianz im Kampf gegen den Krebs zusammengeschlossen haben, wurde in einem Workshop mit Dr. Jens Tuschler (Pfizer) und Dr. Oliver Wilbert (Merck) klar. So kooperieren die beiden Unternehmen bei der Weiterentwicklung der Immunonkologie insbesondere im Bereich der Forschung und Entwicklung sowie im Vertrieb. Ganz abgesehen davon, dass es auch ökonomisch sinnvoll ist, wenn nicht jedes Unternehmen eigene Studien erstellt, beschleunigen solche Allianzen den medizinischen Fortschritt, was gerade auch in der Immunonkologie große Hoffnungen weckt.

Wurde der Krebs bisher durch Herausoperieren, Bestrahlungen oder entsprechende Arzneimittel von außen bekämpft, besteht das Ziel der Immunonkologie darin, das körpereigene Immunsystem zu aktivieren, um die Krebszellen von Innen bekämpfen zu können. Zwar steht die Forschung noch am Anfang und hat aktuell noch mit dem Problem von Nebenwirkungen in Form von Überimmunreaktion zu tun. „Die Toxizitäten überlappen sich jedoch nicht“, sodass die Immunonkologie auch mit anderen Therapieformen kombinierbar ist.

E-Card: Österreich vorne? Zumindest wenn es nach Ansicht von Professor Dr. Karl Peter Pfeifer geht, dann ist die österreichische Elektronische Gesundheitsakte (ELGA) ein voller Erfolg. So wehrte er sich in einer Diskussion, bei der es darum ging, was die digitale Revolution den Patienten bringt, gegenüber Kritikern mit einem Bonmot: „Mir ist ein gläserner Patient lieber als ein toter.“ Gleichzeitig betonte er, dass die Patienten mit ELGA vollumfänglich Einblick in ihre Krankheit erhalten und auch die Hoheit über ihre Daten behalten. Letztlich bedeutet dies, dass sie auch ein Recht haben, ELGA komplett abzulehnen. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/17 ab Seite 140.

Claus Ritzi, Pharmajournalist (wdv)

×